Trap-Oper "cloud*s*cape" im Volkstheater: Ausgefuchster Aktivismus

Noch einmal eine gut gefüllte Premiere: Die Trap-Oper "cloud*s*cape" im Volkstheater.
von  Michael Stadler
Andreas Posthoff als Zukunftsminister Dr. Kassler auf der Bühne 2 des Münchner Volkstheaters.
Andreas Posthoff als Zukunftsminister Dr. Kassler auf der Bühne 2 des Münchner Volkstheaters. © Arno Declair

München - Wer nach dem Auftritt von Markus Söder am letzten Freitag sehen wollte, wie Kultur Menschen mobilisiert, der musste am Circus Krone vorbeifahren. Dort schlängelte sich eine Menge um den ganzen Block, harrte dem etwas langwierigen Impfausweis-Check, um dann ins Zeltinnere vordringen zu können, wo Josef Hader sein Solo "Hader on Ice" spielte. Ein Blockbuster ist Hader da mal wieder gelungen, im wortwörtlichen Sinne.

"cloud*s*cape": Zur Hälfte ein Konzert

Ebenso gefüllt waren die Zuschauerränge im mittleren Bühnenraum des neuen Volkstheaters im Schlachthofviertel, das derzeit eh schon ziemlich gebeutelt ist, da die Hauptbühne wegen eines Wasserschadens derzeit nicht bespielt werden kann. Über 200 Plätze verfügt die intakte Bühne 2. Wenn am nächsten Mittwoch die neuen Corona-Reglungen in Kraft treten, dürfen hier aber nur noch ein Viertel belegt werden. Also: 50 Plätze.

Was der Stimmung, die ein Projekt wie "cloud*s*cape" des Duos Philipp Wolpert (Regie) und Tobias Frühauf (Text und Dramaturgie) erzeugen möchte, sicherlich abträglich ist. Schließlich ist diese "Trap-Oper" zur Hälfte ein Konzert, das fünf Spieler gemeinsam mit Rapperin Antifuchs und Michel Schulze an den Drums furios performen. Zum Energieaustausch braucht es einen gut gefüllten Saal, selbst wenn das Publikum sich bei der Premiere nicht von den Sitzen reißen ließ.

Partygefühl, das zum Mittanzen einlädt

Bei anderen Projekten von Wolpert und Frühauf soll genau das passiert sein. Unter dem Label "Tacheles und Tarantismus" durchmischen die beiden jungen Theatermacher - Wolpert ist 24, Frühauf 27 Jahre - klassische Schauspielformen mit zeitgenössischer Musik wie Trap, einer eher düsteren, nichtsdestotrotz mitreißenden Südstaaten-Variante des Hip-Hop, und erzeugen dabei ein Partygefühl, das durchaus zum Mittanzen einlädt. Wobei sie den Vergnügungstrieb ihrer Generation angesichts der Weltlage, die sie in "cloud*s*cape" ins Dystopische weiterdenken, durchaus kritisch hinterfragen.

Darum geht es in Trap-Oper "cloud*s*cape"

So ist die Truppe junger Umweltaktivisten, die unter dem Namen "Unswelt!" für eine bessere Zukunft kämpfen wollen, vor den Verlockungen des Konsums keineswegs gefeit. Ein bisschen Egoismus darf sein. "Ich bin für die Umwelt, ja", stellt Lennart (Alexandros Koutsoulis) fest. "Aber ich will auch Spaß haben und in den Urlaub fliegen, solange es die schöne Natur in anderen Ländern noch gibt."

Kurze Hosen trägt Lennart, hat einen riesigen Gameboy umhängen, was ihn als Nerd erscheinen lässt, der den Neunzigern nachhängt. Kostümbildnerin Denise Heschl, mit Jakob Brossmann auch für die Bühne zuständig, markiert die verschiedenen Charaktere deutlich durch ihren jeweiligen Look. So wirkt "Unswelt!"-Leaderin Susan mit ihren gedeckt farbigen Anzügen wie eine leicht biedere Geschäftsfrau, der Thea Rasche zudem die kantige Überzeugungsgestik einer Politikerin Merkelschen Formats gibt.

Abgerissener, stachliger, punkiger sieht hingegen Gruppenneuzugang Charlie (Liv Stapelfeldt) aus, die sich angesichts der labernden Möchtegernprotestler für einen aggressiveren Rebellionsgeist einsetzt. Schließlich ist die Apokalypse bereits in vollem Gange: Ein Wolkenkratzer-Panorama unter sengender Sonne projiziert Videokünstler Michal Strychowski als flimmerndes Video-Bild auf die Leinwand, welche hinten die Bühne abgrenzt. Auf einem Baugerüst hangeln sich die Darsteller herum, in einem erhöhten Glasbüro steht bevorzugt Zukunftsminister Dr. Kassler, dessen Land Rover vorne links platziert ist, während rechts eine Couch und ein Bildschirmhaufen ein Glotz-Arrangement bilden.

Die Polkappen sind am Schmelzen, das Gletscherwasser hat der gewiefte Kassler in die zentrale Wüstenstadt transportieren lassen, womit zwar die durstigen Kehlen der Elite befeuchtet, aber die Menschen auch vergiftet werden können, da laut Susan "prähistorische Keime" in dem Eis konserviert sind. Als nächstes großes Ding lässt Kassler seine eigene Fastfood-Kette auf die tumben Konsumenten los, mit von Gletscherwasser veredelten Burgern. Und in der Cloud lauert auch noch ein virtueller Kosmos, der die User zur Realitätsflucht verführt, von Michal Strychowski eindrücklich animiert.

Jonathan Müller lässt auf der Bühne die Sau raus

Für die Aktivisten gibt es also eigentlich einiges zu tun. Als Antriebsfeder bietet sich ein Influencer und Rapper namens AK-47 an, der mit 300.000 Followern im Rücken für den nötigen Buzz sorgen könnte. Jonathan Müller lässt in dieser Rolle die Sau raus, strahlt mit blau gefärbter Stoppelfrisur, Herzchen und Barcode auf der Backe, Trendklamotten plus Goldkettchen die oberlässige Attitüde eines Lifestyle-Gurus aus, der fulminant rappen kann und mit seinem Charisma jede und jeden flachlegt, aber am Ende doch nur das hohle Produkt einer Bling-Bling-Gesellschaft ist, an die er sich bereitwillig verkauft.

Dr. Kassler setzt AK-47 als Maulwurf in der "Unswelt!"-Truppe ein, schenkt ihm dafür seine Gold-Uhr und hat Zugang zu den Social-Media-Profilen des Influencers, was für den die ultimative Bedrohung darstellt. Andreas Posthoff gibt den Machtpolitiker als herrlich schmierigen Schergen, der selbstsicher zum Trap mitgroovt, aber letztlich den Eindruck einer Inszenierung vervollständigt, die mit dicken Strichen Typen zeichnet, die auch einem Comic entsprungen sein könnten.

Einblicke in die Dunkelheit und Leere mancher Seele

Bei den Songs bedient Philipp Wolpert sich einer Videoclip-Ästhetik, die einen mit tollen Oberflächenreizen, von den Kostümen bis hin zu den Bildern, überschwemmt. Zum steten Beat des Drum-Computers bieten die gesungenen Zeilen jedoch tiefere Einblicke in die Dunkelheit und Leere mancher Seele: "Doppelmoral in meinem Doublecup/Meine Träume schmecken nach Bubblegum" rappt Antifuchs und verbirgt ihr Gesicht konstant hinter ihrer schwarzen Fuchsmaske. Sie bleibt maskiert. Entlarvt werden die anderen.

Die Umweltaktivisten lassen sich zum radikalen Handeln verführen, während AK-47 seine moralische Seite entdeckt. Dr. Kassler triumphiert dennoch, aber er hat eine Schwachstelle und zwar sein Alter, genauer: sein altes Herz. Die jungen Theatermacher kennen da keine Gnade, aber immerhin, sie nehmen auch die "Friday for Future"-Generation aufs Korn, um die es ja während der Pandemie leider ziemlich ruhig geworden ist. Ein bisschen kraftlos inszeniert wirken dann auch manche der von Frühauf geschriebenen Spielszenen, die Wolpert zudem allzu schematisch mit den Songs abwechseln lässt.

Musikalisch reißt diese Trap-Oper aber mit. Am Ende traut man dem Ensemble und vor allem Antifuchs zu, dass sie ihre Altersgruppe anstacheln könnten, mal wieder zu rebellieren. Was angebracht wäre: Einige Politiker haben ja angeblich das Gemeinwohl im Blick und dämmern dennoch der Apokalypse entgegen, um zwischendurch festzustellen, dass es eigentlich schon zu spät ist.


Volkstheater, Tumblingerstr. 29, Bühne 2, nächste Aufführungen: Di und Mi, 20 Uhr, 089 - 523 46 55

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