So ist "Indika" von Sankar Venkateswaran - die AZ-Kritik

Der indische Regisseur Sankar Venkateswaran entführt mit „Indika“ in die antike Geschichte seines Heimatlandes
Michael Stadler |
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Magdalena Wiedenhofer in "Indika".
Arno Declair Magdalena Wiedenhofer in "Indika".

Wer König sein und ein neues politisches System einführen möchte, der muss für Kraftaufwendungen bereit sein, die eher ein Ochse bewältigen kann. Ganz anschaulich macht das Regisseur Sankar Venkateswaran auf der Bühne des Volkstheaters: Aus den Wänden eines zum Publikum offen stehenden Kastens löst Mehmet Sözer von hinten einzelne Holzplatten heraus, lässt sie ins Innere hineinkrachen, laut, als ob da eine Schlacht tobt. Seine Mitspieler türmen die Platten in der Mitte zu einer Art Skulptur auf, wohl sinnbildlich für ein neues Staatsgebilde.

Lesen Sie auch unser Interview mit Sankar Venkateswaran

An Seilen zieht Sözer den Kasten, an dessen Boden Rollen befestigt sind, im Schweiße seines Angesichts nach vorne – ein Anführer mit vollem Körpereinsatz. Aber Obacht: Fortschritt erfordert nicht nur Muskeln, sondern auch Köpfchen. Die Planungshoheit hat laut dieser Inszenierung nicht der Mann, der 320 vor Jesus Christus das nordindische Reich Maurya begründete. Nein, nicht jener Chandragupta war es, den Mehmet Sözer in diesem Moment spielt, sondern sein durchtriebener Mentor, der Brahmane Kautilya, der die neue Staatstheorie ausheckte und mit seinen Ratschlägen alle, auch den König, auf Linie brachte.

Eine Säule des Ensembles

Pascal Fligg spielt diesen Kautilya. Er spielt als Einziger durchgängig eine Rolle, während die anderen wechselweise in die Figuren schlüpfen. Venkateswaran hat mit den Dramaturgen Nikolai Ulbricht ein Kapitel indischer Geschichte zu einem schmalen Text umgewandelt, von dem ausgehend er unter dem Titel „Indika“ mit sieben DarstellerInnen munter weiter probierte.

Geschichte, so drängt es sich hier auf, spult sich im Grunde automatisch ab, ist Veränderung per se: Auf den einen Umsturz wird irgendwann der nächste folgen. Die Protagonisten dieses historischen Dauerdramas sind austauschbar – bis auf die Denker im Hintergrund. Die sind rar gesät – genauso, wie es so gewiefte Schauspieler wie Pascal Fligg, eine stabile Säule im Ensemble des Volkstheaters, nicht alle Tage gibt.

In jeder Hinsicht hat er eine Führungsposition inne: Während des Einlasses steht Fligg schon rechts auf der Bühne und zählt leise vor sich hin, und je nachdem, ob die Zahlenfolgen auf- oder absteigen, heben und senken sich die Körper der anderen ruhig und kontrolliert im Yoga-Style. Um Stille und Langsamkeit geht es Sankar Venkateswaran laut Interviews und Programmheft, und die Entschleunigung bis hin zum Zeitlupentempo ist gar nicht schlecht, um der fremdländischen Historie folgen zu können.

Mechanismen der Macht

Was gehen mich die Turbulenzen im Maurya-Reich und diese Figuren mit ihren knuddlig klingenden Namen überhaupt an, mag mancher sich fragen, besonders, wenn man die Indienbegeisterung von Volkstheater-Chef Christian Stückl nicht von Grund auf teilt. Aber gerade weil Venkateswaran vor allem mit den Körpern erzählt, weist diese Geschichte über sich hinaus auf die generellen Mechanismen von Macht.

Bevor er zum König werden kann, muss Chandragupta seine Feinde untereinander ausspielen und taktisch klug eine Heirat eingehen – seine eigentliche Liebe bleibt dabei auf der Strecke. Venkateswaran stückelt die Trennungsszene mit kurzen Blacks, positioniert das Paar im Raum, lässt Chandragupta, hier gespielt von Silas Breiding, plötzlich verschwinden, wieder auftauchen, ins Leere laufen und erzählt so schlaglichthaft und vornehmlich physisch von Verlust und Abschiedsschmerz.

Ein Update für das System

Nina Steils blickt als Verlassene schon mal traurig gen Himmel, ihre Handfläche zeigt nach oben – kein Tropfen Regen fällt, was eine Vorausschau auf späteres Unheil ist. Chandragupta wird später als Herrscher in einem Schauer von Goldtalern stehen, aber die „Trickle-down“-Theorie, die hier ein Bild finden mag, funktioniert nicht: Chandragupta erzeugt Wohlstand, aber der sickert nicht zu seinem Volk durch. Es bleibt arm und leidet unter einer Dürre, die wie eine Strafe der Götter das ganze Reich befällt. Magdalena Wiedenhofer tritt als eine Art Mutter Erde auf, der Chandragupta nichts entgegenzusetzen hat. Dass sein Mentor ihn schlecht beraten hat und das politische System schon wieder ein Update braucht, erkennt der König dann endlich. Der letzte Trick aber gehört Pascal Fligg.

Dass die Geschichtsnachlese eher abbricht als zu einem Ende findet, ist eins der wenigen Mankos dieses Abends, der mit seiner Ruhe, dem weitgehenden Ernst der Darstellung, dem Mut zum symbolhaften Körperspiel einnimmt. Eine sanfte, kulturell übergreifende Handschrift zeigt das Volkstheater mit Sankar Venkateswaran. Und da Chandraguptas Lebensgeschichte noch nicht fertig erzählt ist, lässt sich durchaus sagen: Fortsetzung erwünscht.

Volkstheater, heute, 19.30 Uhr; dann 1. und 6. Juni, 19.30 Uhr; 24. Juni, 20 Uhr; Karten unter Telefon 523 46 55

 

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