So ist der "Feurige Engel" von Sergej Prokofjew in der Regie von Barrie Kosky
Ein Hauch von Christopher Street Day: Sergej Prokofjews Oper "Der feurige Engel", inszeniert von Barrie Kosky und dirigiert von Vladimir Jurowski im Nationaltheater
Was ist mit den Premierenbesuchern im Nationaltheater los? Da stellt eine fette Bockwurst das Gemächt dar. Der Teufel beißt hinein, umgeben von untenrum nachlässig gekleideten Herren in Strapsen. Am Ende erscheint der Damenchor als vervielfältigter Menschensohn mit Dornenkrone und blutbespritztem Hemd. Und kein Katholik fühlte sich provoziert.
Ist München bunter geworden? Es wurde halt nicht Wagner, Mozart oder Richard Strauss gespielt, wo jeder Zuschauer weiß, wie es ausschauen muss. Sondern eine expressionistische Oper von Sergej Prokofjew als späte Münchner Erstaufführung.
Die Musik als Schlag in die Magengrube
Der Anfang der 1920er Jahre komponierte „Feurige Engel“ erzählt von einer Frau, die von Dämonen und religiösem Wahn geplagt wird. Am Ende muss der Inquisitor geholt werden, weil Renata ein Nonnenkloster mit ihrem Wahn angesteckt hat. Dass dergleichen mit unterdrückter Sexualität zu tun haben könnte, hat sich nach einem Jahrhundert Psychotherapie bis in die Münchner Nobelvororte herumgesprochen. Da schockt ein sanft blasphemischer Hexensabbat bei diesem vom Textbuch mit Gretchens Wahnsinn kurzgeschlossenen Stoff nun wirklich keinen mehr.
Der Regisseur Barrie Kosky liefert in der zweiten Hälfte des Abends, wofür er berühmt ist: eine maßvoll schwule Revue mit Herren im Kleid und in Lederklamotten. Bis dahin konnte mancher Besucher den verstohlenen Blick auf die Uhr nicht unterdrücken. Aber für Kenner brachte der Chef von Berlins Komischer Oper die widersprüchliche Psychologie der Hauptfiguren als Zimmerschlacht präzise auf die von Rebecca Ringst gestaltete Bühne.
Ruprecht ödet sich anfangs in einem mit falschen Stilmöbeln ausgestatteten Luxushotel selbst an. Dann kriecht Renata aus dem Bett. Und es entwickelt sich ein Psychodrama zwischen Lust, Frigidität und Begehrlichkeit. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir da ein zum gegenseitigen Verderb aneinandergekettetes Ehepaar vor uns sehen.
Wenn der Spuk verflogen ist, stehen die beiden ausgebrannt im leeren Zimmer. Das ist stärker als die erwartbare Orgie, die in ihrer Schalheit wie üblich hinter dem zurückbleibt, was das Hirntheater jedem halbwegs fantasiebegabten Zuschauer vorgaukelt.
Prokofjews Oper und Koskys Inszenierung lassen offen, ob Dämonen und Engel existieren. Vielleicht wabern sie auch nur durch Ruprechts Wodka-Rausch: eine Gratwanderung gefährlich nah an der Beliebigkeit, etwa in der Szene mit Agrippa von Nettesheim oder dem müden Hexensabbat von Faust und Mephistopheles.
Stimmwucht ist die erste Voraussetzung für eine Oper, in der Kirchenglocken klingen, als würde Panzerstahl industriell gehärtet. Evgeny Nikitin, das Mannsbild mit der Riesenstimme, verwandelt den schwachen Macho Ruprecht in eine Figur aus Fleisch und Blut. Ebenso phänomenal und kraftvoll in der Darstellung verklemmter Ekstase: Svetlana Sozdateleva. Sie ersetzte die ursprünglich vorgesehene Evelyn Herlitzius mehr als prächtig. Zwei Stunden steht sie fast ununterbrochen auf der Bühne und singt stählern-präzise, ohne jemals russisch zu flackern. Eine Hochdramatische mit lyrischen Qualitäten und deshalb eine wahre Seltenheit.
Barrie Kosky über seine Inszenierung der Oper "Der feurige Engel"
Drum herum, wie an der Staatsoper selbstverständlich, viel Luxus in den kleinen Rollen: Kevin Conners (Mephistopheles), Elena Manistina (Wahrsagerin) und Heike Grötzinger (Wirtin) liefern präzis umrissene Charaktere. Für den kurzen Kraftauftritt des Agrippa bot die Staatsoper sogar den anderswo als Otello und Canio besetzten Charakterheldentenor Vladimir Galouzine auf.
Man kann Prokofjews wilden, hysterischen Furor abmildern. Aber damit verkleinert man diese Musik. Diesem Vorwurf wollte sich der Dirigenten Vladimir Jurowski keinesfalls aussetzen. Er entfesselt mit dem Bayerischen Staatsorchester Prokofjews Heftigkeit in voller, notfalls auch schrill-brutaler Lautstärke.
Aber diese Musik ist mit der Brechstange komponiert. Trotz dick aufgetragener Paukenwucht, Tuba-Bassgedröhn und schneidenden Trompeten sorgte Jurowski für eine frappierende Durchhörbarkeit. Im Graben des Nationaltheaters möchte man nicht ohne Gehörschutz sitzen: Schon im hinteren Parkett klingeln einem die Ohren, wenn Soprane im Chor mit Blech und Streichern wüten.
Die Musik wirkt wie ein Schlag in die Magengrube des Hörers. Aber man geht nicht k.o davon. Das Stahlbad vertreibt ein bisweilen flaues Gefühl beim Blick auf die Bühne. Prokofjew ist, wenn man ihn wie Jurowski ernst nimmt, ohnehin keine Musik für Sensibelchen. Aber die sind in München eh eine Minderheit.
Wieder am 3., 6., 9. und 12. 12. im Nationaltheater, Karten unter Telefon 2185 1920. Livestream auf Staatsoper.tv am 12. 12., 19 Uhr