Barrie Kosky über "Der feurige Engel" von Sergej Prokofjew
Ein bisschen brutal, aber sexy: Regisseur Barrie Kosky über Sergej Prokofjews Oper „Der feurige Engel“, die am Sonntag zum ersten Mal in München gespielt wird
Achtzehn Monate seines Lebens verbrachte der russische Komponist Sergej Prokofjew in der Villa Christophorus im oberbayerischen Ettal. Hier heiratete er 1923 seine erste Frau und arbeitete an der Oper „Der feurige Engel“, die aber erst 1954 in Paris uraufgeführt wurde. Barry Kosky inszeniert die Münchner Erstaufführung, Vladimir Jurowski dirigiert. Premiere ist am Sonntag um 19 Uhr im Nationaltheater.
AZ: Herr Kosky, wer ist dieser feurige Engel?
BARRIE KOSKY: Die Geschichte dieser Oper ist ganz einfach: Eine Frau glaubt, dass sie seit ihrer Kindheit von einem Engel begleitet wird. Die Beziehung ist manchmal religiös, manchmal sexuell, manchmal gewalttätig. Und es wird in den zwei Stunden dieser Oper nicht klar, ob es sich um eine Erfahrung oder um eine Fantasie handelt. Am Ende wird sie von einem Inquisitor verbrannt – aber nicht in meiner Inszenierung.
Lassen Sie den feurigen Engel auftreten?
Ich habe vier Inszenierungen dieser Oper gesehen – alle mit Engel. Ein fataler Fehler! Wer will einen Statisten mit feurigen Flügeln sehen? Ich finde es viel interessanter, sich auf die Emotionen der Hauptfigur Renata zu konzentrieren.
Der aus Amerika nach Köln zurückgekehrte Ruprecht verliebt sich in sie. Bisweilen ist deshalb zu lesen, das Stück hätte mit Migration zu tun.
Absolut nicht! Man muss aufpassen, dass man dieses wichtige Thema nicht schwach macht, indem man es überall hineinmischt.
Steckt in der Oper nicht viel 19. Jahrhundert – die sexuell unbefriedigte, hysterische Frau?
Ja und nein. „Der feurige Engel“ steht in der großen Tradition der russischen Oper und Literatur. Sie verbindet Folklore, Religion, Psychologie und Groteske miteinander. Viele Menschen halten diese wilde Mischung für verrückt. Die Russen finden das ganz natürlich – ich übrigens auch.
Und die Hysterie?
Natürlich ist das ein männlicher Blick auf die Frau. Aber die Figur wirkt authentisch. Ihre Hysterie ist eine Leidenschaft an der Grenze zum Wahnsinn. Prokofjew schildert das durch eine sehr aufgeregte Musik, die man hysterisch nennen könnte. Aber es ist der Job des Regisseurs und der Darsteller, Hysterie, Leidenschaft und Wahnsinn glaubhaft auf die Bühne zu bringen. Und letztlich sind das doch Themen, die in der Oper von Anfang an wichtig waren.
Prokofjew hat den „Feurigen Engel“ nie auf der Bühne gesehen. Warum eigentlich?
Im 20. Jahrhundert gibt es eine lange Tradition unfertiger, aber genialer Opern wie „Turandot“, „Lulu“ oder „Moses und Aron“. Prokofjew hat den „Der feurige Engel“ zwar vollendet. Aber Renata ist eine echte Killer-Partie, um die sich die Sopranistinnen gewiss nicht gerissen haben. Und in der Sowjetunion, in die er 1936 zurückkehrte, war der Stoff dieser Oper suspekt. Um die Musik zu hören, hat Prokofjew einzelne Themen in seiner dritten Symphonie verarbeitet.
Prokofjew hatte überhaupt Pech mit seinen Opern – nur die „Liebe zu den drei Orangen“ war zu seinen Lebzeiten ein Erfolg.
Ich finde alle diese Werke fantastisch. Auch die „Verlobung im Kloster“, „Krieg und Frieden“ und „Semjon Kotko“ möchte ich noch inszenieren. Prokofjew hatte einen untrüglichen Sinn für Theater, gerade weil er viel Ballettmusik komponiert hat. Das unterscheidet ihn von vielen anderen Komponisten, die interessant geschrieben haben, aber ohne Gespür für die Bühne. Der „Feurige Engel“ klingt manchmal etwas brutal, aber trotzdem ist das eine sehr sexy Musik.
Wollten Sie die Oper inszenieren oder war das eine Idee des Intendanten?
Ich habe 1988 eine Inszenierung von David Pountney in Australien gesehen. Seitdem fasziniert mich diese Oper. Ich habe sie oft angeboten, aber niemand wollte sie machen. In meiner zweiten Spielzeit als Intendant an der Komischen Oper hätte ich den „Feurigen Engel“ gerne selbst inszeniert. Aber da bekam ich die Rechte für die „West Side Story“. Darauf habe ich genauso lange gewartet. Daher musste ich Prokofjews Oper an einen anderen Regisseur abtreten. Was mich anfangs geärgert hat. Aber dann kam ich mit Herrn Bachler ins Gespräch.
Fühlen Sie sich durch Ihre Erfolge mit Operetten an der Komischen Oper ein wenig auf dieses Genre festgelegt?
Sie gehören zur Tradition meines Theaters. Ich habe versucht, die Meisterwerke der Berliner Tradition wiederzubeleben. Aber ich habe 80 Opern inszeniert und nur vier Operetten. Dieses Genre hat leider einen schlechten Ruf durch schlecht gesungene, schlecht gespielte und schlecht inszenierte Aufführungen. Aber ich halte es da mit meinen Vorbildern Walter Felsenstein und Max Reinhardt.
Was war deren Maxime?
Sie sind davon ausgegangen, dass alle Formen des Musiktheaters Äste vom gleichen Baum sind. Schubladen sind mir egal. Ich mache den „Feurigen Engel“ so gerne wie eine Operette von Kálmán oder „Tristan und Isolde“. Dieser bis heute weit verbreitete Snobismus in der deutschen Kultur macht mich wahnsinnig.
Man leidet halt in vielen Operettenaufführungen.
Operette ist ein ganz eigenes Fach mit einem spezifischen Handwerk, gesungen und gespielt von ganz besonderen Menschen. Man muss das studieren wie Barockmusik. Wenn man sich mit historischen Aufnahmen beschäftigt, dann lernt man: Die Ironie und Leichtigkeit kommt durch den Text. Es ist pervers, wenn Opernsänger Operetten singen. Fritzi Massary oder Max Hansen sind auch nie mit Wagner aufgetreten. Und man muss die Werke im großen Stil wie in den Zwanziger Jahren spielen.
Kann man als Intendant eigentlich so lange weg sein, um auswärts zu inszenieren?
Es ist ein Missverständnis, dass ein Mann ein Haus allein leitet. Außerdem plane ich das lange im Voraus. Ich war fast jedes Wochenende in Berlin. Und es gibt moderne Technologien wie Skype und Mail. Das ist fantastisch für reisende Intendanten. Und manchmal ist es auch gut, wenn Papa mal weg ist.
Premiere am Sonntag, 19 Uhr, im Nationaltheater. Auch am 3., 6., 9. und 12. Dezember, Karten unter Telefon 2185 1920. Livestream auf Staatsoper.tv am 12. 12., 19 Uhr
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