So hat Christian Stückl "Kaiser und Galiläer" von Ibsen inszeniert
Oberammergau - In der deutschen Übersetzung taucht 1888 zum ersten Mal der unselige Begriff vom „Dritten Reich“ auf. Auch sonst hat „Kaiser und Galiläer“ einen leichten Hautgout: Zehn ziemlich unlesbare Akte umfasst dieses Doppeldrama. Henrik Ibsen hielt es angeblich für sein bestes. Doch danach ließ er die Antike hinter sich und wandte sich gegenwärtigen bürgerlichen Lebenslügen zu. Letzte Aufführungen von „Kaiser und Galiläer“ scheint der deutsche Theater-Expressionismus gewagt zu haben.
Wenn man dieses Monsterwerk heute noch spielen kann, dann in Oberammergau. Es geht um das morsche Römische Reich nach der Anerkennung des Christentums. Held ist der Kaiser Julian, der letzte aus der Dynastie des großen Konstantin. Er versuchte eine Renaissance des Heidentums. Die trug ihm den Beinamen „Apostata“ ein – der Abtrünnige. 365 zog Julian, wie Alexander der Große, gegen die Perser. Am Tigris traf ihn ein (christlicher?) Speer. Sein letzter Satz soll „Du hast gesiegt, Galiläer“ gewesen sein.
Auf der Bühne trägt man Gehröcke, Soutanen, Kampfanzüge und Indisches (Ausstattung: Stefan Hageneier). Viele Zeiten fallen in eins: Hinter Stoffbahnen mit einem Christusmonogramm schimmert die Tempelarchitektur der „Nabucco“-Aufführung durch. Wenn christliche Bücher verbrannt werden, kommt die jüngere deutsche Vergangenheit ebenso ins Spiel. Und die fanatische Intoleranz aller politischen Religionen.
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„Kaiser und Galiläer“ ist eine Mischung aus Historie und Ideendrama – Formen, mit denen sich das heutige Theater schwertut. Oberammergau nicht: Hier erwartet man geradezu Rededuelle zwischen Bischöfen und Heiden. Aufmärsche, Chöre und Massenszenen ebenfalls.
Christian Stückl inszeniert das Stück wie ein Königsdrama von William Shakespeare – samt einer Geisterszene wie in Shakespeares „Macbeth“. Und er hat keine Scheu vor rhetorischem Pathos. Ibsens Papierberge wurden auf knappe drei Stunden mit Pause eingeebnet. Noch ehe der erste Satz gesprochen ist, hat man schon 30 gestrichene Druckseiten hinter sich. Manchmal auf Kosten der Verständlichkeit: etwa beim Orts- und Machtwechsel nach dem Tod des misstrauischen Kaisers Constantius II., den Stückls Vater Peter etwas zu gütig und freundlich anlegt.
Alle Rollen werden von Mitwirkenden der Passion verkörpert. Frederik Mayet, der Jesus von 2010 sowie Künstlerischer Direktor und Pressesprecher des Münchner Volkstheaters, spielt den Julian mit flackerndem Blick als gefährdeten Idealisten. Abdullah Kenan Karaca, der zweite Spielleiter von 2020, ist Gregor von Nazianz – einer von Julians schärfsten Gegnern.
Die Rückkehr der alten Götter
Auch das ominöse „Dritte Reich“ hat Stückl im Griff – und nicht nur als Bücherverbrennung. Ibsen meinte damit eine nietzscheanisch angehauchte Synthese aus Heidentum und Christentum, einen welterlösenden Gott-Kaiser. Vertreten wird diese Idee vom Mystiker Maximus, den Stefan Burkhart (Pilatus von 2010) mit Autorität, mächtigem Vollbart, einer bunten Holzperlenkette und einer leichten Spur Zwielichtigkeit verkörpert, wie sie indischen Gurus innewohnt.
Nach der Rückkehr der alten Götter tragen Julian und seine Anhänger Zauselbärte. Wer nie von der gegen die Christen gerichteten Schrift des Kaisers „Über die Barthasser“ gehört hat, wird das eher albern finden. Aber Mayet durchlebt den Cäsarenwahnsinn und die Hybris Julians so zwingend, dass das nicht weiter stört.
In „Kaiser und Galiläer“ wird viel deklamiert und geschritten. Nahezu alle Darsteller können verbergen, dass Ibsen vor allem tönende Ideen und kaum Menschen aufmarschieren lässt. Auf die Idee, dass keine Schauspielprofis auf er Bühne stehen, kommt man höchstens bei Nebenfiguren.
Wer das Spektakel sucht, mag von der dichten Aufführung möglicherweise enttäuscht sein. Für die späte Antike und ihre Spannungen sollte man sich schon interessieren. Auch dann wird man das Gefühl nicht los, dass sich Ibsen bis zur „Nora“ oder zum „Volksfeind“ gewaltig gesteigert hat.
Passionstheater Oberammergau, 2., 15., 16., 21., 22., 23. Juli 20 Uhr. Bus ab ZOB München, 16.30 Uhr, Karten von 19 bis 49 Euro bei münchenticket