Verdis "Nabucco", inszeniert von Christian Stückl - die AZ-Kritik

Fast so schön wie in Verona: Christian Stückl inszeniert Verdis Oper „Nabucco“ im Passionstheater von Oberammergau
Robert Braunmüller |
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Die vier Stunden Autofahrt nach Verona kann man sich ab sofort sparen. 60 Minuten auf der Garmischer Autobahn und ein paar Kurven reichen. Denn Christian Stückl hat die italienische Opern-Arena am Alpenhauptkamm gespiegelt und ins Passionstheater von Oberammergau versetzt. Menschen, Massen und Babylons König hoch zu Ross gibt es zu bestaunen. Stehende Ovationen waren in der Premiere sein Lohn.

Verdis Oper „Nabucco“ ist auch jenseits von „Va pensiero“ vor allem ein Chorstück. Stückl hat wieder das ganze sangesfähige Dorf mobilisiert, weitere Massen in der näheren Umgebung eingeworben und dezent mit Profis aus München und Augsburg versetzt. Der von Markus Zwink geformte Chor singt ausgezeichnet. Und er reagiert auf das Geschehen lebendiger, als das in manchen Profi-Theatern üblich ist.

Sandalen und Kinder

All das ist prächtig anzusehen wie in einer Inszenierung von Franco Zeffirelli. Oder in einem Sandalenfilm. Nabucco wirkt einem Renaissance-Gemälde entsprungen, alle anderen tragen zeitlose Gegenwart. Wenn Jehova den Blitz herunterfahren lässt, um Nabuccos Hochmut zu strafen, sorgt die Pyrotechnik für einen gewaltigen Feuerball. Herzige Kinder treten auch auf.

Wer eine Oper einfach nur genießen will, dem bereiten Stückl und der Passionsausstatter Stefan Hageneier ein Festmahl. Es gibt nicht mal einen Hauch von Regietheater. Wir Großstädter aber fragen uns: Will Stückl wahrlich als Zeffirelli 2.0 enden? Kann man im Juli 2015 den Tempel von Palmyra mit fußballspielenden Knaben als Idyll auf die Bühne wuchten, ohne nähere Anspielungen auf das, was sich in Syrien abspielt?

Herumfuchteln und Herumstehen

Schlimmer noch: Im vierten Akt bekehrt sich Nabucco von Baal zu Jehova und krakeelt als Gotteskrieger herum. Das steht so bei Verdi und es ist schlimm genug. Aber muss da am Beginn des 20. Jahrhunderts wirklich der Sänger mit dem Schwert vor dem mit Sturmgewehren bewaffneten Chor herumfuchteln? Ohne jeden szenischen Zwischenruf, wie in der Mailänder Scala vor 150 Jahren?

Lesen Sie auch: Christian Stückl im Interview über Verdis "Nabucco" in Oberammergau

Allerdings: Jeder, der „Nabucco“ schon ein paarmal gesehen hat, weiß auch, dass das Inszenieren dieser frühen Verdi-Oper nicht vergnügungssteuerpflichtig ist. Es ist ein plakativer Bibel-Comic voller Unwahrscheinlichkeiten. In jedem Akt werden Hinrichtungen befohlen, aber anders als im echten Orient laufen die Leute im nächsten Akt immer noch putzmunter und fanatisch schimpfend herum.

Solide Sänger

Stückl versuchte dem Stück mit handwerklich solider Psychologie beizukommen, was kaum funktioniert. Aber die meisten Besucher der Aufführung werden sich ohnehin an die Massenregie halten, und die gelang dem Intendanten des Münchner Volkstheaters ungewöhnlich gut.

Die musikalische Seite ist solide. Evez Abdulla singt die Titelrolle mit robuster Kraft. Irina Rindzuner schafft die Extrem-Töne der Abigaille nicht wirklich schön, aber mit starkem Ausdruck. Die Wiederholung ihrer Cabaletta war unnötigerweise gestrichen. Das Liebespaar Fenena und Ismaele hat Verdi eher stiefmütterlich behandelt. Virginie Verrez und Attilio Glaser machen das Beste draus. Talia Or darf als Anna außerhalb des Ensembles nur einen entscheidenden Satz singen. Aber aber den macht die Sängerin zum Drama.

Lauter Theaterwahnsinnige

Die Neue Philharmonie München klingt ein wenig flach aus dem Orchestergraben. Das wird an der Akustik liegen. Der Lette Ainars Rubikis dirigiert straff und rhythmisch federnd – ein wenig wie Riccardo Muti. Die Solisten werden verstärkt, anfangs diskret, später mehr für Schwerhörige. Aber das werden die Oberammergauer im Lauf des Juli noch in Griff kriegen.

Die Mitwirkung des ganzen theaterwahnsinnigen Dorfes ist das Alleinstellungsmerkmal der Marke Oberammergau. Das haben sie, trotz Erl in Tirol, der übrigen Opernkonkurrenz am Alpenrand voraus. Und deshalb dürfte mit Fortsetzungen zu rechnen sein. Wenn genügend Touristen und Einheimische Verdis Lockruf folgen.

Wieder am 17.,19., 24. und 26. Juli, 20 Uhr. Karten 29 bis 94 Euro. Karten bei Münchenticket und unter Telefon 08822 9458888. Shuttlebus ab ZOB um 16.30 Uhr

 

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