Schauburg: Das Erwachsenwerden in der Pandemie
Oskar Maria Graf beschrieb den ältesten Sohn Thomas Manns als "das vollendete Bild eines jungen Mannes von Welt: Sauber wie aus dem Ei gepellt, lässig, elegant gekleidet, schlank und rank sozusagen." Andererseits fand der Zeitgenosse vom Starnberger See, Klaus Mann habe "etwas überhitzt Intellektuelles und vor allem etwas merkwürdig Unjugendliches".
Sehr jugendlich, aber weit entfernt von der mondänen Eleganz, wie sie zwischen den Weltkriegen in Münchner Künstlerkreisen gepflegt wurde, sind die beiden Schüler und sieben Schülerinnen, die sich zu einem ungewöhnlichen Projekt der Schauburg zusammenfanden. Regisseurin Ulrike Günther und Dramaturgin Anne Richter spielen am Elisabethplatz dieses Mal nicht nur Theater für junge Menschen, sondern vor allem mit einem im vorigen Herbst aus dem Zielpublikum gebildeten Ensemble. Ausgangspunkt war die Frage, was Teenies lesen, wenn sie eine Pandemie dazu verdonnert, monatelang zu Hause zu bleiben. "Treffpunkt im Unendlichen" von Klaus Mann, das 1932 und damit am Vorabend der NS-Diktatur erschien, gehörte wohl nicht dazu.
Schauburg München: Das Smartphone wird zum gestalterischen Werkzeug
Aber die lebendige Schilderung des bunten Lebens am Ende der "goldenen Zwanziger" und auch das Münchner Lokalkolorit ist keine schlechte Wahl für krisengeschüttelte Zeiten und nicht nur für den heranreifenden Leser. Von der literarischen Vorlage mit ihren Einblicken ins Erwachsenwerden und in die fordernde Arbeitswelt der bereits Erwachsenen vor rund 100 Jahren emanzipiert sich die sympathische Truppe schnell und entwickelt den Blick auf die Jugendlichen von gerade eben jetzt.
Das Smartphone wird zum gestalterischen Werkzeug, wenn Szenen vom Telefon aufgenommen und übergroß auf eine Projektionsfläche übertragen werden und damit ganz dicht an die Betrachtenden heran rücken. Ebenso lässt sich auf der großen Leinwand das Entstehen einer Kreidezeichnung beobachten, die sich ganz allmählich von der Darstellung einer freundlich lächelnden jungen Frau in einen hohl grinsenden Totenschädel verwandelt.
Authentische Äußerung eines Lebensgefühls
Klaus Manns Text verschwindet innerhalb der rund 60 Minuten völlig und es wird Platz für improvisatorisch entwickelte Dialoge, Monologe und Songs, bei deren gesangliche Qualität noch Luft nach oben besteht. Der Spaß, den die Mitwirkenden hatten und jetzt in den Vorstellungen haben, teilt sich mit. Doch das Impulsive, Wütende und Überraschende, das Theaterarbeit an Gegenwartsthemen mit Laien aus Sekundär- und Oberstufe auch hervorbringen kann, ist hier mehr Zitat als authentische Äußerung eines Lebensgefühls.
An die klagende Distanzierung von den Werten der Eltern, die mit Autos, Reihenhäuschen und einem Job, der sie eigentlich nie interessiert hat, eher die Ursache einer Katastrophe wie die Klimakrise sind als deren Lösung, ist unbestreitbar richtig, fühlt sich hier aber an wie das nächste Kreuzchen auf der Todo-Liste. Immerhin zitieren die Schüler auch den bei heutigen Rappern wieder Hoch im Kurs stehenden Rio Reiser, der mit "Wir haben nichts zu verlieren außer uns'rer Angst" schon vor einem halben Jahrhundert den Kampf ums Paradies besang.
Schauburg, wieder am 20. Juni, 11 und 19 Uhr, 17. Juli, 18 Uhr, 18. Juli, 11 und 19 Uhr, Telefon 08923337155
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