Kritik

"Rheingold" in Bayreuth: Die Kinder erben die Welt

Bayreuther Festspiele: Buhs und Begeisterung für das "Rheingold", den Auftakt zum neuen "Ring des Nibelungen" von Valentin Schwarz und Cornelius Meister.
Walter Weidringer |
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"Rheingold" bei den Bayreuther Festspielen 2022.
"Rheingold" bei den Bayreuther Festspielen 2022. © Enrico Nawrath

Bayreuth - Vorsicht, Familiensaga: Schon im Mutterleib konnten sich diese Zwillinge nicht ausstehen! Während aus Kontrabasstiefen das Es-Dur-Gewoge des "Rheingold"-Vorspiels aufsteigt, keilern sich schon die Embryonen. Ein Faustschlag ins Auge, ein Tritt zwischen die Beine.

Kindesentführung steht für gestohlenes Rheingold

Die ungleichen Brüder Wotan und Alberich sind es, die beide ihre Wunden davontragen: eine Narbe im Gesicht der eine, der andere vermutlich Impotenz. Da haben die Rheintöchter was zu lachen, wenn Alberich, nun ein langmähniger, weißbärtiger Spät-Revoluzzer in Jeans und Lederjacke, amouröse Zuwendung sucht. Sie sind übrigens Kindermädchen, die an einem Pool vor einer Wüstenei auf ihre Schützlinge achten.

Das "Rheingold" in der Inszenierung von Valentin Schwarz.
Das "Rheingold" in der Inszenierung von Valentin Schwarz. © Enrico Nawrath

Einer von diesen sitzt abseits, in gelbem T-Shirt und Kappe. Er wird sich bald darauf, und das ist die zentrale Volte dieser Inszenierung von Valentin Schwarz, als das personifizierte Rheingold entpuppen. Denn der Raub des Goldes ist hier eine Kindesentführung.

Der Kleine, dem Stockholm-Syndrom unterlegen und unter Alberichs Anleitung zum Berserker geworden, tyrannisiert dann die Mädchen in Nibelheims Hort. Gut möglich, dass der verhaltensauffällige Dreikäsehoch zu Hagen heranwächst. Hort als Schatz, Hort als Betreuungsstätte? Ja, auch diesen wortspielerischen Doppelsinn legt die Inszenierung nahe.

Und haben wir in diesem Hort auch schon die kindlichen Walküren kennengelernt? Erda, die füllig tönende Okka von der Damerau, als Hausdame eine stumme, passiv resistente Zeugin des Geschehens auf lichten Höh'n, verlässt jedenfalls am Ende die Götter mit einem dieser Mädchen, das zuvor als Bezahlung für die Riesen hätte herhalten müssen. Brünnhilde?

Die Zukunft gehört den Kindern

Aber das sind Spekulationen. Gesichert wirkt vorerst: Das Gold, der Ring, das bedeutet bei Schwarz die nächste Generation. Der Welt Erbe, es gehört den Kindern, es sind die Kinder. Dabei sind sie rechtlos, jeder kann sie auf seine Seite ziehen, sich zurichten. Das klingt viel philosophischer und politischer, grüner und "woker", als man es auf Andrea Cozzis Bühne zunächst zu sehen bekommt.

Sind die Götter längst unfruchtbar in dieser Dystopie? Kann einzig geraubter Nachwuchs für Fortbestand der Dynastie sorgen? Geraubt von wem? Das entwickelt zunächst Spannung, weil man wissen will, wie Schwarz den Einfall logisch durchhalten kann. Doch dann bleibt doch zu viel ungelöster Rest übrig und das Interesse flaut ab.

Mit der Entrümpelung des altgermanischen Brimboriums ist seinerzeit Wieland Wagner in "Neu-Bayreuth" angetreten - was den Nebeneffekt hatte, dass es die Diskussion von der Nazivergangenheit ab- und auf das Werk zurücklenkte. Mittlerweile gehört nun auch Wotans Speer zum alten Eisen, und Ring und Tarnhelm gleich dazu.

Fabelwesen und Götter werden zu Menschen

Schwarz braucht sie nicht mehr bei seiner Interpretation, die auf inszenatorischen Serpentinen zwischen wörtlich genommenen, umgedeuteten sowie auch eher übergangenen Passagen des Textes kurvt, dabei aber auch gehörig schlingert. Pistolen zeigen die Macht an, für Donners Hammer reicht ein Golfschläger. Doch ob der "Ring" als Mini-Serie über einen mafiösen Clan trägt?

Das "Rheingold" in der Inszenierung von Valentin Schwarz.
Das "Rheingold" in der Inszenierung von Valentin Schwarz. © Enrico Nawrath

Denn zusammen mit Riesen, Zwergen, Nixen sind auch die Götter hier Menschen wie du und ich - plus fettem Konto und der unvermeidlichen Nadelstreif- und Abendkleid-Dekadenz natürlich, wobei Wotans Geldadel eher unter "neureich" firmiert. In der Bücherwand herrscht Ordnung nach Farben, er selbst spielt lieber Tennis und trainiert den Bizeps.

Der Gesang lässt teils zu wünschen übrig

Egils Silins als Wotan macht Dienst nach Vorschrift, mit Schwächen im Parlando und in der Tiefe, wenig nuanciertem Vortrag - aber überraschend imposantem Schluss. Sprachliche Defizite zeigt auch Olafur Sigurdarson, der als Alberich dennoch auf Anhieb zum Publikumsliebling avanciert.

Überhaupt ist dringend zu hoffen, dass diese Premiere nichts über das weltweite Niveau des Wagnergesangs im Jahr 2022 aussagt: Allgemein wird gestemmt, gepresst, gekräht und gewackelt, fallweise auch unter der erforderlichen Tonhöhe. Das meiste von dem, was man Ausdruck nennen möchte, erwächst aus spezifischen stimmlichen Mängeln. Immerhin zeigt Sigurdarson in seinen besten Momenten einen durchschlagskräftigen, zu Leidensexpression fähigen Bariton.

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Unter vokalem Dauerhochdruck steht dagegen Daniel Kirch als Loge, Wotans Winkeladvokat im dunkelblauen Zweireiher, der die langen fettigen Haare mit Cher-Gesten nach hinten wirft und unmotiviert kichert: forcierte Grobschlächtigkeit ohne jede Ironie. Zum Regenbogen-Finale beäugt die verkommene Göttergesellschaft eine moderne Lampe, während Wotan auf der Balustrade tänzelnd von einer großen Zukunft träumt.

Einiges läuft auch gut, viel aber auch nicht 

Da steigt dann auch Cornelius Meister bei seiner zuvor betont flotten, auf sportiven Fluss bedachten Lesart plötzlich auf die Tempobremse: zugunsten von breit zelebriertem Brimborium. Gewiss, unter seiner Leitung blitzen immer wieder überraschende Nebenstimmen und Instrumentalfarben hervor - doch zugleich wundert man sich, wieviel wackeln kann, Unebenheiten und veritable Schmisse inklusive.

Wie soll das weitergehen mit dieser Inszenierung, die vorab als "Netflix-Ring" gehandelt wurde? Fortsetzung folgt!


BR Klassik überträgt zeitversetzt. Als nächstes folgt am Mittwoch ab 20 Uhr "Siegfried", "Götterdämmerung" am Freitag ab 16 Uhr auch als Video-Livestream

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