Kritik

Il Trittico: Himmelfahrt mit Überraschung

Christof Loy inszeniert bei den Salzburger Festspielen Giacomo Puccinis Operntrio "Il Trittico" in veränderter Reihenfolge.
Regine Müller |
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Asmik Grigorian mit Joshua Guerrero in Puccinis "Il tabarro" bei den Salzburger Festspielen.
Asmik Grigorian mit Joshua Guerrero in Puccinis "Il tabarro" bei den Salzburger Festspielen. © Monika Rittershaus/Salzburger Festspiele

Die Dramaturgie des Musiktheater-Programms der Salzburger Festspiele kreist auch mit ihrer zweiten Neuproduktion um letzte Dinge: Nachdem der Doppelabend mit Béla Bartóks "Herzog Blaubarts Burg" und Carl Orffs Opernoratorium "De temporum finde comoedia" in der Regie von Romeo Castellucci unter der musikalischen Leitung des umstrittenen Teodor Currentzis in der Orff-Hälfte zum esoterischen Spektakel mit zweifelhaftem Erlösungsangebot geriet, versprach nun der Verismo-Meister Giacomo Puccini mehr Diesseitigkeit.

Eskalierende Entwicklung durch umgestellte Reihenfolge

Bei genauem Hinsehen geht es aber auch bei Puccinis an Dantes "Divina Comedia" angelehnter Trilogie um Schuld, Leiden, Tod und die Hoffnung auf Erlösung. Und erst recht gibt die in Salzburg gezeigte umgestellte Reihenfolge der drei Teile dem Ganzen eine sogartige, auf Jenseitshoffnungen hin eskalierende Entwicklung.

 

"Gianni Schicchi" als Satyrspiel 

Regisseur Christof Loy setzt die sonst abschließende Komödie "Gianni Schicchi" um eine habgierige Nachkommen-Sippe eines vermögend Verblichenen und den schlitzohrigen Titelhelden an den Anfang - sozusagen als Satyrspiel - , lässt dann den sonst zum Auftakt gegebenen Verismo-Reißer "Il Tabarro" um eine tödlich endende Dreiecksbeziehung in prekärem Milieu folgen, und endet mit "Suor Angelica", sonst wenig geliebtes und oft genug unterbelichtetes Mittelstück des Trios.

Eine Szene aus "Gianni Schicchi".
Eine Szene aus "Gianni Schicchi". © Monika Rittershaus/Salzburger Festspiele

Das funktioniert schlüssig, weil Loy sein Konzept ganz auf den Star des Abends zuschneidet, die in Salzburg vor vier Jahren als Salome zu Weltruhm gelangte Sopranistin Asmik Grigorian. Bei "Il Trittico" verkörpert sie nun alle drei herausragenden Frauenrollen und legt damit eine überzeugende Steigerung hin: von der lyrisch-anschmiegsamen, eher nebensächlichen Lauretta in "Gianni Schicchi" über die lebenslustige, in unglücklicher Ehe gefangene Giorgetta bis hin zur verhärmten Nonne Angelica, deren tragischer Leidensweg im Selbstmord gipfelt.

Gelungen: Christof Loy gleitet nicht ins Süßliche

Diese Abfolge ist ein Drahtseilakt, denn sie könnte in der Leidens-Apotheose der Nonnen-Oper auch den alten Kitsch-Verdacht gegen Puccini bestätigen. Aber Loy gelingt das Kunststück, nicht ins Süßliche abzugleiten, obwohl er die enge Klosterwelt der "Suor Angelica" nicht ironisch oder anklagend vorführt, sondern ihre Riten und zweifelhaften Versprechungen ernst nimmt, ohne unglaubwürdig zu werden.

Die Bühne in "Suor Angelica".
Die Bühne in "Suor Angelica". © picture alliance/dpa/APA

Der Abend beginnt mit der Komödie um die Erben des alten Buoso, eines Aristokraten im Florenz der Renaissancezeit, der sein Vermögen Klosterbrüdern vermacht hat, statt seiner habgierigen Sippe. Das vielstimmige Gezerre ums Erbe inszeniert Loy in einem nüchternen Raum (Bühne: Étienne Plus) mit riesigem Bett elegant und mit leichter Hand, und bändigt klug das spielfreudige Ensemble.

Grigorian hat als Lauretta hier einen eher herben Auftritt, ihre Ohrwurm-Arie "O mio babbino caro" singt sie schlank und ganz unprätentiös, ohne die üblichen Drücker und Schleifer, Misha Kiria ist ein baritonal wohlklingendes, mehr solides als auftrumpfendes Schlitzohr Gianni Schicchi, Alexey Neklyudovs Tenor als Laurettas Liebhaber Rinuccio ist dagegen etwas eng mensuriert, das restliche Ensemble grandios.

Szenerie bleibt trotz hyperrealistischer Elemente immer erkennbar Theaterbühne

Für "Il Tabarro" hat Étienne Plus einen realistischen Kahn auf die Bühne gewuchtet, vom prekären Pariser Schlepper-Milieu des frühen 20. Jahrhunderts - Puccinis Gegenwart also, die im damals aufkommenden Film noir so atmosphärisch eingefangen ist - sieht man allerdings kaum etwas. Die Szenerie bleibt trotz hyperrealistischer Elemente immer erkennbar Theaterbühne, das Spiel bleibt Spiel.

Als Giorgetta mit roten Schuhen kann Grigorian nun mehr Temperament zeigen. Auch ihr hell lodernder Sopran fühlt sich in mit der expressiven Partie ihrer in heimlicher Leidenschaft für Luigi entbrannten Figur hörbar wohler. Aber auch Joshua Guerrero kann sich als ihr Liebhaber Luigi mit wiederum zu leichtgewichtigem Tenor neben ihr nicht wirklich behaupten.

Loy lotet das Dreiecks-Drama akribisch, aber mit reduzierten Mitteln klug aus, kleine, wie beiläufige Gesten und Blicke genügen, die erstorbene Ehe zwischen Giorgetta und Michele (solide: Roman Burdenko) zu zeichnen, über der wie ein dunkler Schatten der Tod des gemeinsamen Kindes liegt. Der Eifersuchtsmord am Liebhaber geschieht dann schnell, beiläufig und lässt fast ernüchtert zurück.

 Dramatischer Höhepunkt des Abends

Dann aber, diesmal in heller, puristischer Leere das Nonnendrama: Suor Angelica ist Aristokratin, ihre Familie verbannte sie wegen ihres unehelichen Sohns ins Kloster, sie hat jahrelang keine Nachricht von ihrer Familie. Das Leben der Schwestern schildert Puccini allzu ausführlich mit lichten Gesängen zu alltäglichen Verrichtungen. Dann kommt überraschend die hartherzige Tante Angelicas zu Besuch und berichtet vom Tod ihres Sohnes. Die brutale Konfrontation zwischen der grandiosen Karita Mattila als Tante und Grigorian ist der dramatische Höhepunkt des Abends, die Tante lässt einen Koffer zurück, darin finden sich ein Teddybär, ein schwarzes Etuikleid und Zigaretten. Allein gelassen in ihrer Verzweiflung, streift Grigorian den Habit ab, zieht das Kleid über und zündet sich eine Zigarette an, als würde sie zurückspazieren in ihr altes Leben.

Diese überraschende Pointe wäre eine ironische Brechung, die Loy aber alsbald kassiert, denn nun will sie sich vergiften, gewahrt, dass Suizid eine Todsünde ist und blendet sich zur Sühne mit einer Schere wie Ödipus. Sterbend läuft ihr ein kleiner Junge in die Arme, den sie nicht mehr sehen kann.

Kluger, sehr klassisch inszenierter Abend, der mitreißt, aber nicht abhebt

Grigorian findet jetzt zu ihrer Bestform und fesselt mit bannender Bühnenpräsenz. Franz Welser-Möst am Pult der Wiener Philharmoniker dirigiert einen schlanken, teils impressionistischen Puccini, der subtil klingt und sich allen Konventionen verweigert. Allerdings klingt manches dann auch eine Spur zu sachlich, die Italianitá bleibt auf der Strecke, was freilich auch für Grigorians gleißenden Sopran gilt. Fazit: Ein kluger, sehr klassisch inszenierter Abend, der mitreißt, aber nicht wirklich abhebt.


Wieder am 9., 13., 18. und 21. August im Großen Festspielhaus, alle Vorstellungen sind bereits ausverkauft

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