Kritik

Radikale Performance: Diese Aufführung im Volkstheater schockiert das ganze Publikum

So eine Performance hat das Volkstheater in München sicher noch nicht gesehen. Mit ihrem Beitrag hat die brasilianische Künstlerin Carolina Bianchi eine Vergewaltigung auf die Bühne des Radikal-Jung-Festivals gebracht. Das Publikum ist überwältigt und verstört zugleich.
Anne Fritsch |
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Die Schauspielerin Carolina Bianchi mixt sich K.o.-Tropfen in den Drink, um danach bewusstlos ihre eigene Vergewaltigung nachspielen zu lassen.
Die Schauspielerin Carolina Bianchi mixt sich K.o.-Tropfen in den Drink, um danach bewusstlos ihre eigene Vergewaltigung nachspielen zu lassen. © Christophe Raynaud de Lage

München – Eine Frau nimmt K.o.-Tropfen. Sie werden ihr nicht untergemischt ins Getränk in einem unaufmerksamen Augenblick in einem Club. Sie mixt sie sich selbst in ihren Gin Tonic. Bei vollem Bewusstsein. Vor allen Augen. Allein diese Aktion ist krass. Eine Selbstermächtigung? Oder einfach eine große Dummheit? Die brasilianische Künstlerin Carolina Bianchi jedenfalls macht in "The Cadela Forca Trilogy – Chapter 1: The Bride and the Goodnight Cinderella" genau das. Und das Publikum beim Radikal-Jung-Festival am Münchner Volkstheater erlebt am letzten Abend die vielleicht radikalste Performance, die in diesem Rahmen je zu sehen war.

Bianchi tritt in weiß gekleidet auf die Bühne, berichtet davon, dass sie irgendwann aus einer Bewusstlosigkeit aufwachte, ihr Körper voller Verletzungen war, sie brutal missbraucht worden war. Seitdem sucht sie nach einer Erinnerung an das, was geschehen ist und findet sie nicht. Sie recherchiert zu Missbrauch, Femizid und Künstlerinnen, die sich dem in ihrer Kunst stellen. So die Aktionskünstlerin Pippa Bacca, die im Rahmen ihrer Kunstaktion "Bräute on Tour" in einem Brautkleid durch die Türkei trampte. Vorgabe: Sie steigt in jedes Auto, dokumentiert ihren Trip mit der Kamera. In der Nähe von Istanbul wurde sie 2010 ermordet.

Reenactment  einer  Vergewaltigung

Bianchi sitzt an einem weißen Tisch auf der großen Bühne des Volkstheaters, kurz nach Beginn ihrer Lesung trinkt sie den Gin Tonic, der mit einer Mischung aus Beruhigungsmitteln versetzt ist, die beinahe zynisch nach der schlafenden Märchenprinzessin Cinderella benannt ist: Boa Noite Cinderela. Sie wird lesen, bis sie einschläft. Die Performance wird andauern, bis sie aufwacht. Wenn ich nicht aufwache, bleiben wir ewig hier, sagt sie. Und es klingt nicht nur wie ein Scherz. Nach ungefähr 20 Minuten singt sie einen Karaoke-Song, tanzt über die Bühne, und ihre Bewegungen werden ausholender, sie muss sich am Tisch festhalten, als sie sich wieder setzt. Kurz bevor sie einschläft, legt sie sich auf den Tisch, schafft das gerade noch so, ohne herunter zu fallen.

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Ihr Ensemble übernimmt, trägt die Bewusstlose über die Bühne, entkleidet sie, zieht ihr ein Nachthemd über, legt sie auf eine Matratze. Um sie herum: Party, Exzess, laute Musik, Einzelperformances. Schließlich heben sie die Bewusstlose auf die Motorhaube eines Autos, spreizen ihre Beine und führen ihr ein Endoskop in die Vagina ein, filmen ihren Gebärmutterhals.

Bianchi muss beim Applaus gestützt werden

Die Bilder aus ihrem Inneren werden auf eine Leinwand übertragen. Die Performance wird zum Reenactment der Vergewaltigung. Aus dem Lautsprecher Carolina Bianchis aufgezeichnete Stimme. Nach circa eineinhalb Stunden Bewusstlosigkeit wird eine der Spielerinnen die Bewusstlose an den Zehen kraulen, bis sie langsam aufwacht. Das Publikum ist überwältigt, verstört auch. Bianchi muss von zwei Spielern gestützt werden beim Applaus. Das war kein Spaß.

Ein Publikumsgespräch ist natürlich nicht möglich. Schade. Wie sie selbst müssen nun alle selbst mit den Fragen fertig werden, die bleiben. Die Regie-Masterclass vergibt anschließend spontan einen Sonderpreis für diese Produktion, der Publikumspreis geht verdient an Jan Friedrichs Inszenierung von "Blutbuch" nach Kim de l'Horizon am Theater Magdeburg.

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2 Kommentare
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  • am 29.04.2024 03:25 Uhr / Bewertung:

    Bizarr

  • AufmerksamerBürger am 28.04.2024 23:33 Uhr / Bewertung:

    Was diese hohle Nuss da in dümmlichster Weise zu ihrem Spaß inszeniert, dürfen leider immer mehr Frauen, Merkel sei Dank, Tag für Tag in zunehmendem Ausmaß erleben. Ohne Applaus.

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