Kritik

Plácido Domingo singt im Münchner Nationaltheater

Bei einem Arienabend im Münchner Nationaltheater präsentiert sich der 82-jährige Opernsänger Plácido Domingo mit erstaunlich frischer Stimme.
Robert Braunmüller
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Applaus für den Star: Plácido Domingo mit dem Pianisten James Vaughan im Nationaltheater.
Applaus für den Star: Plácido Domingo mit dem Pianisten James Vaughan im Nationaltheater. © Wilfried Hösl

Als im April bekannt wurde, dass der Festspiel-Liederabend von Anja Harteros durch einen Auftritt von Plácido Domingo ersetzt würde, ging ein Naserümpfen durch die Operwelt: Muss das sein?

Die Auftritte des 82-Jährigen waren zuletzt kein Vergnügen mehr, zudem überschatteten alte Vorwürfe wegen sexueller Belästigung den Spätherbst seiner Karriere. Manche Veranstalter wurden vorsichtig, Domingo setzte seine Karriere in Usbekistan und Kasachstan fort.

Zum Staunen: Plácido Domingo ist Domingo geblieben

Neben den außermusikalischen Störgeräuschen bleibt ein künstlerisches Unbehagen. Es verstärkt sich, wenn man am CD-Stand im Nationaltheater das prominent platzierte Album "Baritenor" von Michael Spyres liegen sieht. Der singt mit enormem Stimmumfang Tenorrollen, an denen Domingo gescheitert ist ("Idomeneo") oder mangels leichter Höhe gar nicht erst versucht hat ("Der Postillion von Lonjumeau"). Und für Baritonarien hat er – im Unterschied zu Domingo – andere Farben, die nicht ständig an einen Tenor denken lassen.

In derlei trübe Gedanken hinein erscheint Domingo, von herzlichstem Applaus umrauscht auf der Bühne und beginnt den Monolog des Gérard aus "Andrea Chenier". Und das Staunen ist groß: Domingo ist zwar immer noch kein Bariton. Abgesehen von minimalen Rauheiten ist Domingo mit bronzenen Schmelz und schönster Patina Domingo geblieben.

Plácido Domingo bewies, dass die Musik ihn jung gehalten hat.
Plácido Domingo bewies, dass die Musik ihn jung gehalten hat. © Wilfried Hösl

Plácido Domingo singt große Melodien, keine Arien

Auch der Ausdruck stimmt. Die breiten Melodien phrasiert er nicht so kurzatmig wie zuletzt. Sofort schlug der Respekt vor dem Mythos in Begeisterung um. Domingo erinnerte ergriffen daran, dass er sich in München seit einem halben Jahrhundert heimisch fühlt: Im Januar 1972 debütierte er als Rodolfo in "La bohème" – in der Inszenierung von Otto Schenk, die wie Domingo zur Legende geworden ist, der die Zeit nichts anhaben kann.

In der heiklen Kadenz am Ende der Arie des "Macbeth" schien Domingo kurz die Stimme wegzubrechen. Aber er meisterte das so professionell wie seine Probleme mit der tiefen Lage. Dass er Figuren wie Gérard, Macbeth oder Luna ("Il trovatore") auch musikalisch verkörpern würde, dürften allerdings nicht einmal seine härtesten Fans behaupten. Alles Dunkle, was im stimmlichen wie charakterisierenden Sinn zu diesen Figuren gehört, findet nicht statt: Domingo singt große Melodien, keine Opernarien. Was ja auch schön sein kann.

Unterstützung für Domingo von Jennifer Rowley und James Vaughan

Die amerikanische Sopranistin Jennifer Rowley gab, was man im Popgeschäft den Supporting Act nennt. Sie schluchzte sich solide durch die Arien der Maddalena und der Manon Lescaut.

Die Leonora aus "Il trovatore" lag ihr erheblich besser, der Pianist James Vaughan schaffte es sogar in einem Zwischenspiel von Puccini, ein ganzes Orchester einigermaßem angemessen zu ersetzen.

Sänger und Pianist: Plácido Domingo mit James Vaughan.
Sänger und Pianist: Plácido Domingo mit James Vaughan. © Wilfried Hösl

Nach der Pause folgten Arien und Duette aus bequemer zu singenden Zarzuelas, darunter den Evergreen "No puede ser!" von Pablo Sorozábal. Das Nationaltheater tobte.

Und dann das Comeback des Tenors! Der für "Granada" erforderliche Überschwang ist ihm nicht mehr gegeben. Aber das Stück wirkt trotzdem.

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Die Musik hält Plácido Domingo jung

Deutsch wird Domingo nicht mehr lernen. Egal. Franz Lehárs Melodien will niemand gesprochen hören. Dafür aber gerne getanzt. Bei "Lippen schweigen" walzerte er mit Jennifer Rowley über die Bühne. "Dein ist mein ganzes Herz" begann er hinreißend allein. Nach dem Mittelteil trat vorsichtshalber die Sopranistin auf, um den Schluss in ein Duett zu verwandeln.

Aber Domingo hatte es nicht nötig, sich hinter seiner Partnerin zu verstecken: Er schmetterte den Schluss wie in alten Zeiten. Musik und Auftritte halten eben jung, auch wenn man sich fragen kann, wie lange das noch weitergehen soll. Aber lieber begeistert er uns mit seinem Singen, als dirigierend zu langweilen.

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