Musical "Hair" kommt wieder nach München: Die Zeiten ändern sich, die Themen bleiben aktuell

Ron Williams spielte in der ersten deutschen Produktion von "Hair". Jetzt kommt das Musical mit Savio Byrczak ins Deutsche Theater nach München.
Adrian Prechtel
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Willkommen im "Age of Aquarius": Julia-Elena Heinrich als Sheila und Savio Byrczak als Hud.
Willkommen im "Age of Aquarius": Julia-Elena Heinrich als Sheila und Savio Byrczak als Hud. © Tobias Witzgall / DT

Das Musical "Hair" war von den Schauspielern Gerome Ragni und James Rado als kleines autobiografisch inspiriertes Off-Broadway-Musical entwickelt worden. Doch durch seine Wildheit, seine experimentelle Erzählform und seine politische Schlagkraft wurde "Hair" bei der Premiere am Broadway 1968 zum Skandal – und schnell zum Welthit.

Gleich nach der Premiere am 29. April erwarb der Schweizer Impressario Werner Schmid die Rechte für den deutschsprachigen Raum. Ron Williams – Sänger, AFN-Moderator, Bandleader – spielte am 24. Oktober 1968 bei der Deutschlandpremiere im Theater an der Briennerstraße die Rolle des Hud. Jetzt, 55 Jahren später, übernimmt sie der Hamburger Savio Byrczak. In München trafen sie zum ersten Mal aufeinander und erzählten sich von ihren "Hair"-Erfahrungen.

Ron Williams und Donna Summer: Bei der ersten Probe für "Hair" funkte es

RON WILLIAMS: Mich hat Werner Schmid im Mai 1968 in Ascona angerufen, wo ich meine Band Ronny Williams and the Soul Flowers hatte. Ich wusste gar nicht was "Hair" war. In Zürich war dann das Casting im Kindli, seinem Lokal. Ich kam geschniegelt im grauen Anzug, Regisseur Bertrand Castelli aus New York saß auch da neben vielen japanische Touristen im Club. Ich habe einen Song gesungen und: Engagiert! Donna Summer war schon in New York gecastet worden für Europa – als Donna. Wir kamen bei der ersten Probe zusammen und waren drei Jahre ein Paar. Und wo kommst Du her?

Ron Williams und Donna Summer 1968 , die durch "Hair" in München für drei Jahre ein Paar wurden.
Ron Williams und Donna Summer 1968 , die durch "Hair" in München für drei Jahre ein Paar wurden. © Ron Williams

SAVIO BYRCZAK: Kenia.

WILLIAMS: Ich meine hier!

BYRCZAK: Kenia sage ich nur einer anderen Person of Color. Ich komme aus Hamburg, ich wurde mit 13 Monaten adoptiert.

WILLIAMS: Ich kann mich erinnern, dass sie in Wien bei den Aufführungen zu uns gerufen haben: "Ihr gehört in die Gaskammern, ihr Hippies." – "Euch Gammlern hätte der Hitler schon gezeigt, wo’s langgeht." Aber es war eine Zeit des Aufstands: 68er-Studentenrevolte, weltweite Proteste gegen den Krieg in Vietnam, täglich Schlagzeilen über Tote, dann der Einmarsch der Russen in der Tschechoslowakei.

Unsere Band war daher und hat sich zu uns gerettet. Es war eine Stimmung gegen die Spießer und Reaktionäre, das kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Im Zuschauerraum konnte man das spüren. Wir haben an den Abenden nicht alle für uns gewonnen, aber doch einige dazugewonnen. Wenn wir dann am Abend noch wohin gingen, kamen wir entweder nicht rein oder waren willkommen. Dazwischen gab es nichts! Aber wir haben das lachend genossen. Ich war 26.

Krieg, Umwelt, sexuelle Befreiung: Die Themen in "Hair" sind aktuell wie nie

BYRCZAK: Ich bin 24.

WILLIAMS: Du wärst heute mein Enkel. Aber das ist doch super, dass es weiter geht - auch mit "Hair". Es gibt eine kurze Doku über die Premiere, wie da die Münchner völlig irritiert sind: "Des is ja a Schülervorstellung", "Schrecklich laut" und "Wie die angezogen sind!" Das war so intensiv und präsent, am Puls der Zeit und es wurde frei über Sex geredet. Und über die "vergiftete Erde" – da ging es also schon um die Umwelt. Was macht ihr jetzt, damit es heute wieder aktuell ist?

BYRCZAK: Du hast es doch gerade selbst gesagt: Krieg, Umwelt, sexuelle Befreiung: Genau das geht doch alles heute weiter. Und als Person of Color hast du immer noch Probleme. Und wenn man queer ist, erlebt man immer noch Ablehnung.

Im Deutschen Theater: Ron Williams (links), der 1968 den Hud spielte und Savio Byrczak, der die Rolle jetzt übernimmt.
Im Deutschen Theater: Ron Williams (links), der 1968 den Hud spielte und Savio Byrczak, der die Rolle jetzt übernimmt. © Susanne Brill

WILLIAMS: Ja, das Ganze ist 55 Jahre alt und man kriegt es nicht tot. Aber damals war es halt Zeitgeist.

BYRCZAK: Aber was ist es heute?

WILLAMS: Sehnsucht, denke ich. Vielleicht ein Anachronismus in Zeiten von TikTok und Instagra Weil wir damals wirklich bei Freunden am Boden rumgehangen sind, gegessen haben, geraucht haben oder sonst was… Es war ein echtes Zusammensein. Das scheint mir heute verloren.

"Hair" in München: "Es ist eben nicht nur 'Love and Peace' und so"

BYRCZAK: Stimmt nicht. Jede Generation findet irgendwie zusammen. Und wenn man auf der Loveparade ist oder beim CSD oder in einem Club. Da gibt es ja immer noch dieses Gemeinschaftsgefühl. Und die Hippies damals waren ja auch nur eine Minderheit. Unsere Inszenierung spielt schon damals, aber wir sprechen die Leute heute an.

Es ist eben nicht nur: Hihi, lasst uns eine rauchen, "Love and Peace" und so. Das, was den "Tribe" als unsere Gruppe im Stück umtreibt, muss immer noch als Forderung ans Publikum herangetragen werden: Stoppt den Krieg, überwindet endlich Diskriminierungen. Denn es ist ja so: Immer wenn man gerade mit den Emanzipationsbewegungen etwas weiter gekommen ist, kommt der nächste Zaun.

WILLIAMS: Aber man darf nicht daran verzweifeln, dass man das Paradies noch nicht erreicht hat. Und 1968 war der Vietnamkrieg in vollem Gange. Die Einberufung vom Bürgersöhnchen Claude im Stück war tödliche Realität. Das Verbrennen von Pässen und dem Einberufungsbescheid war eine hart bestrafte Straftat. Und er geht ja dann doch.

BYRCZAK: Und darüber sind wir, seine Freunde im Stück, enttäuscht, weil wir dachten, wir hätten ihn für die Kriegsverweigerung gewonnen, für unsere Ziele. Es ist wie ein Verrat. Aber wir lieben ihn ja! Und dann ist die Ungewissheit, was mit ihm passiert ist. Das alles macht den zweiten Akt extrem emotional.

Alle nackt: 24. Oktober 1968, Theater in der Briennerstraße: die Deutschlandpremiere von "Hair".
Alle nackt: 24. Oktober 1968, Theater in der Briennerstraße: die Deutschlandpremiere von "Hair". © Heinz Gebhardt / Imago

WILLIAMS: Ich wurde damals als Hud kopfüberhängend hineingetragen, so als provokant-ironische Tarzangeschichte, und habe als Schwarzer das Lied gesungen, "Ich bin ein Farbiger, Schwarzer, ein Neger." und konfrontiere das Publikum mit seinen rassistischen Projektionen. Das war eine Ohrfeige, ein Schock. Wir sind auch über die Stuhlreihen geklettert und gekrochen und haben das Publikum berührt.

BYRCZAK: Den Schock können wir heute nur anders herstellen, zum Beispiel mit einem Boot, bei "Manchester England, England". Da machen die Party und ich sage so nach dem Motto: "Hey, spinnt ihr? Ihr feiert auf einem Boot, und draußen auf dem Mittelmeer sterben Tausende!" Das sind aktuelle Botschaften. Und ich singe dann, ich bin ein Mensch, aber ihr nennt mich mit ganz anderen Namen. Wir spielen auf Deutsch, aber singen auf Englisch.

Alt-OB Christian Ude schrieb eine "Hair"-Kritik für die Zeitung

WILLIAMS: Ist ja auch eine andere Zeit und Deutsche Theater ein anderer Raum als das damalige Theater in der Briennerstraße, das spätere Volkstheater mit seinen rund 600 Zuschauern. Ich bin da am Seil über das Publikum geschwungen, die Zuschauer bekamen Blumen.

BYRCZAK: Unser Stück kommt ja aus der Felsenreitschule in Salzburg. Wir waren auf der Riesenbühne dort und das Publikum war durch den Orchestergraben von uns getrennt. Da kann man die "Wand" zum Publikum schlecht durchbrechen. Das Deutsche Theater wird ein viel intimeres Erlebnis. Wir gehen auch ins Publikum, um sie mitzunehmen zur Kundgebung!

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WILLIAMS: Und das "Let the Sunshine in" ist ja auch nicht nur zum Mitgrooven.

BYRCZAK: Ja, es ist eine Aufforderung an das Publikum, sich "Love and Peace" wirklich anzuschließen, eine Gemeinschaft zu bilden ohne Diskriminierung. Wer da nur die Arme hochreißt und sich mittragen lässt und meint, das war’s, irrt. Es ist ein Flehen, endlich die Gesellschaft und sich selbst zu ändern! Man sieht im Publikum dann von der Bühne auch, wer’s verstanden hat und wer nur ein bisschen Flower-Power-Stimmung für seinen spießigen Alltag bekommen wollte.

WILLIAMS: Ja, man darf das nicht als nostalgisches Wohlfühlstück zeigen, sondern mitreißen für die Ideen dahinter. Und wer hat damals eine Kritik in der Zeitung geschrieben? Christian Ude! Da haben wir uns kennengelernt, auch wenn seine Rezension nicht sehr freundlich war, eher so aus der Sicht der höheren Münchner Bildungsbürger.               

Bis 30. Juli, Deutsches Theater, Premiere am Samstag, 14, Juli, 19.30 Uhr, Karten ab 29 Euro, www.muenchenticket.de oderTel: 54 81 81 81

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