Madonna machte ihn berühmt: "Fashion Freak Show" von Jean Paul Gaultier kommt nach München
Sechzig Minuten mit Jean Paul Gaultier in London. Der Designer ist in der britischen Hauptstadt, um bei den Proben für seine "Fashion Freak Show" mitzumischen, die ab 20. Juli in der Münchner Isarphilharmonie gastiert: eine Revue, die die bedeutendsten Momente und Begegnungen in Gaultiers Vita zeigt, vom Außenseiter, der als kleiner Junge lieber Figurinen zeichnete statt Fußball zu spielen, zu einem der berühmtesten Modeschöpfer unserer Zeit. Die Show ist ein visuelles Knallbonbon, musikalisch untermalt vom Disco-Funk der 1970er und 1980er.
Wie also tickt der Mann, der bereits mit 18 Jahren Modevisionär Pierre Cardin assistierte, später für Jean Patou arbeitete, als Chefdesigner der Hermès-Damenline selbige cool machte und als Kreateur von Madonnas ikonischem Trichter-BH in den Fashion-Olymp aufstieg und zum Superstar wurde?
Jean Paul Gaultier: "In meinem Kleiderschrank hängt so gut wie nichts, was meinen Namen trägt"
Schon bei der Begrüßung sorgt der 71-jährige Franzose für Verwunderung: Das schlichte schwarze Hemd über der dunkelblauen Hose, und die rahmenlose, eckige Lesebrille sind für das ewige Enfant Terrible der Modeszene überraschend unprätentiös. Von ihm selbst entworfen? Gaultier winkt lächelnd ab, trinkt einen Schluck Cola: "In meinem Kleiderschrank hängt so gut wie nichts, was meinen Namen trägt", erzählt er in charmant melodischem Frenglisch.
Und das blau-weiß gestreifte Matrosenshirt, sein Markenzeichen, das er in allen denkbaren Designvariationen durchexerziert hat? "Das trage ich noch immer. Wenn auch nicht mehr so oft. In den Neunzigern habe ich es meist mit einem Herrenrock kombiniert. Das war mein Signature-Look. Aber ich habe Kleidung nie für mich, sondern immer nur für andere gemacht und ich beschäftige mich auch nicht sehr mit meinem Aussehen", sagt er.
Gaultier: "Ich bin nicht Modedesigner geworden, um berühmt zu werden"
Ausgerechnet, er, der vor 15 Jahren eine "Monsieur" getaufte Make-up-Linie für Männer auf den Markt brachte, gibt sich erfrischend uneitel. Auch seine Haare färbt er nicht mehr, trägt natürliches Grau statt grellem Blond. Seinen strahlenden, wachen Blick und sein charmantes Dauergrinsen mit denen er in 70ern dem Modezirkus beitrat, hat er gegen die branchenübliche arrogant coole Attitude bis heute verteidigen können. Es gibt kaum ein Foto von ihm mit gesenkten Mundwinkeln.
Anekdoten muss man ihm nicht aus der Nase ziehen. Gaultier lässt seinen Gedanken freien Lauf, plaudert gerne – unbeschwert und gestenreich. Dass er dabei gelegentlich den Faden verliert – was soll's! "Ich bin nicht Modedesigner geworden, um berühmt zu werden." Sondern? "Weil ich geliebt werden wollte!" Er hat früh gemerkt, dass er gut zeichnen konnte. "Meine Mitschüler interessierten sich nicht für mich, aber für meine Skizzen."
Outfits für Madonna machten Jean Paul Gaultier berühmt
Dass Gaultier weit mehr draufhat als nur einen flotten Strich, stellte er – nicht zuerst und nicht zuletzt – mit seinen Bühnenkostümen für Madonnas Blond Ambition Tour unter Beweis, die 1990 weltweit für Schlagzeilen sorgten. Die Korsagen mit den konisch geformten BH-Schalen – eine aus gold-schimmerndem Metallic-Gewebe, eine aus lachsfarbenem Satin – haben Modegeschichte geschrieben.

Gaultier sampelt Stile, recycelt Materialien, mixt das Exquisite mit dem Ordinären. Was zuerst schrill und provokativ anmutet, erweist sich bei genauerem Hinsehen als höchste Handwerkskunst. 1985 stellte er den Rock für den Mann vor, bei dem es sich in Wahrheit um eine Hose mit Lendenschurz handelte.
Er macht Unterwäsche zur Oberbekleidung und untergräbt mit seinen Entwürfen geschlechtsspezifische Stereotypen und Erwartungen - allem voran jene, wie Mann sich zu kleiden hat. Immer wieder steckt er Muskelkerle in Röcke, hüllt sie in transparente und glitzernde Stoffe, stilisiert sie zu Lustobjekten in Looks, die inspiriert sind von den Codes schwuler Subkultur.
Wo Licht ist, ist auch Schatten: Gaultiers Partner stirbt an AIDS
In den wilden 1990er Jahren steht Gaultier im Zenit seiner Karriere. Er bringt eine Möbelkollektion und mit "Gaultier Jeans" und "JPG" kommerziell erfolgreiche Mode-Zweitlinien auf den Markt. Er lanciert sein erstes Parfum, das zum Bestseller wird, präsentiert seine erste Haute-Couture-Kollektion und engagiert sich im Kampf gegen Aids beim Life Ball in Wien.

Zudem beschert ihm Madonna in diesem Jahrzehnt mit Auftritten internationale Aufmerksamkeit: 1992 bei einer Benefizveranstaltung in Los Angeles, bei der sie sich an seiner Seite barbusig in einem vom ihm entworfenen Nadelstreifen-Dress präsentierte und 1995 als Model bei der Präsentation seiner Herbst-Winter-Kollektion, in der sie in einem halbtransparenten, hautfarbenen Latexkleid einen Kinderwagen über den Laufsteg schob.
Und schließlich ehrte das Medienhaus Burda Gaultiers Kreativität und Leistungen 1999 mit einem Bambi. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. 1990 stirbt Gaultiers langjähriger Lebenspartner und Geschäftspartner Francis Menuge an den Folgen seiner Aids-Erkrankung.
"Fashion Freak Show" von Jean Paul Gaultier: Neue Projekte nach der Schneiderkunst
Schon immer war seine Definition von Attraktivität gegen den Strich gebürstet. Uniformität und Makellosigkeit langweilen ihn. "Ich habe ein Herz für Freaks", sagt er und meint damit Menschen, die vom klassischen Schönheitsideal abweichen. So wie die Schauspielerin Rossy de Palma, die aufgrund ihrer Persönlichkeit, aber auch wegen ihrer Höckernase und schiefen Zähnen, zu seinen Musen zählt.
2014 verabschiedet sich Gaultier aus dem Pret-a-Porter-Geschäft. Das Business, das ihm die Erstellung von mehreren Kollektionen pro Jahr abverlangt, ist ihm zu stressig, zu schnelllebig und an zu enge Produktionsbedingungen geknüpft. Er wolle sich nur noch der Haute Couture – also Einzelanfertigungen – widmen. Sechs Jahre später sagt er auch der "hohen Schneiderkunst" Adieu, mit der Begründung sich neuen Projekten widmen zu wollen: Die "Fashion Freak Show" ist jetzt eines davon.
Zur Premiere der "Fashion Freak Show": Jean Paul Gaultier kommt nach München
Sein Sinn für Theatralik sei ihm angeboren, erzählt er. Seit er im Alter von neun Jahren zum ersten Mal die Folies Bergère im Fernsehen sah, habe er davon geträumt eine eigene Revue auf die Beine zu stellen. "Doch welche Geschichte hätte ich erzählen sollen? Nach 50 Jahren im Modebusiness kam ich auf die Antwort: meine eigene." 2015 hat er das in der Münchner Kunsthalle schon mit einer seinem Werk gewidmeten Ausstellung getan, die fantastisch besucht war.
Dabei liegt es ihm fern, aus seinem Leben und Lebenswerk eine intellektuelle Lebensphilosophie zu destillieren. "Meine Geschichte ist nicht so wichtig, sie ist nur der Ausgangspunk für eine tolle Show", sagt er. "Man muss nicht einmal Englisch oder Französisch beherrschen, um die Handlung zu verstehen." Zur Premiere in München werde er "naturellement" vor Ort sein. Und die Münchnerinnen und Münchner werden ihm in der Isarphilharmonie ein volles Haus bescheren? "Naturellement!"
Jean Paul Gaultiers "Fashion Freak Show": von Donnerstag, 20. Juli bis Donnerstag, 27. Juli, Isarphilharmonie, zu sehen. Tickets gibt es ab 44,50 Euro, www.muenchenticket.de
- Themen:
- Madonna (Sängerin)