Pinters "Geburtstagsfeier" und Hauptmanns "Rose Bernd" - die AZ-Kritik
Zweimal Schauspiel bei den Salzburger Festspielen: „Die Geburtstagsfeier“ und die gefeierte „Rose Bernd“
Die Frage nach der Aktualität eines Stücks mag für Theatermacher leidig sein, für den Zuschauer ist sie jedoch relevant: Was juckt mich das, was da auf der Bühne vor sich geht?, mag man sich fragen, gerade, wenn die guten alten Stücke hervorgekramt werden, so auch bei den Salzburger Festspielen.
Unter der Leitung der neuen Schauspieldirektorin Bettina Hering hat natürlich der „Jedermann“ weiterhin seinen regelmäßigen Auftritt auf dem Domplatz – ist eh zeitlos, denn sterben muss jeder.
Aber jetzt erlebten auch Harold Pinters „Die Geburtstagsfeier“, uraufgeführt 1958, und Gerhart Hauptmanns „Rose Bernd“, uraufgeführt 1903, ihre Neuauflagen. Und allein ob dieser Titel kann man schon leicht ins Husten geraten, so daumendick liegt der Staub auf diesen alt gedienten Klassikern.
Tanzen in Zeitlupe macht „Die Geburtstagsfeier“ nicht moderner!
Dass Regisseurin Andrea Breth das Pinter-Rad im Salzburger Landestheater auch nicht neu erfinden wird, war zu ahnen. Schließlich gilt Breth als Regisseurin, die den Kern eines Werks textgetreu und präzise mit ihren Schauspielern herauszuarbeiten weiß. Am Residenztheater hat sie 2014 Pinters „Der Hausmeister“ inszeniert, in aller regiemeisterlichen Ruhe, und schon da brach das Fremde in Form eines Obdachlosen in einen eingespielten Haushalt ein, brachte die stabilisierenden Routinen nachhaltig aus dem Gleis.
Ebenso ergeht es in der „Geburtstagsfeier“ einem alten Pärchen, das eine Pension in einem englischen Seebadeort führt, und ihrem einzigen Dauergast, dem bebrillten Stanley. Zwei Männer, Goldberg und McCann, tauchen in der Pension auf und haben es auf Stanley abgesehen, wobei nicht klar wird, was der Stubenhocker denn in der Vergangenheit verbrochen hat.
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Die Ordnung jedenfalls hat vorab einen Schaden erlitten – um das zu verstehen, muss man nur auf das exquisite Bühnenbild von Martin Zehetgruber blicken. Der Sand des Badeorts hat sich im Innern breit gemacht, Grashalme wuchern, und nach der Pause liegt gar ein Boot in Schräglage mitten in der Pension, wohl als Symbol einer fortschreitenden Daseins-Havarie.
Im Lauf der Party für Stanley sind letzte Gewissheiten gekentert, und eine Gewalt bricht sich gegen ihn Bahn, die eh in der Luft lag.
Das Unausgesprochene und Unerklärliche durchdringt Pinters Dialoge, aber Breth belässt es dabei nicht, sondern setzt auf zusätzliche Irritationseffekte, um das absurde Theater noch weltentrückter und unheimlicher zu machen. Geräusche wie das Rascheln der Morgenzeitung dringen elektronisch verstärkt ins Ohr. Worte hallen nach wie in der Geisterbahn. Und mitunter verlangsamen sich die Bewegungen, als ob die Zeit aus einer Laune heraus sich dehnt. Einen spaßigen Horror erzeugt das. Aber spätestens wenn das Geburtstagsvolk in Zeitlupe eine Polonaise startet, bewundert man eher den Mut zur Verwirklichung solcher Ideen und fürchtet sich vor den Untiefen unfreiwilliger Komik.
Aus dem Stückemuseum will sich Breth mit dieser Inszenierung, die im September an die mitproduzierende Wiener Burg wandert, offenbar nicht katapultieren, auch wenn Modernisierungen bitter nötig wären. Gerade die Frauenrollen dünsten 50er-Jahre-Mief aus. Andrea Wenzl legt als Lulu ihre Schüchternheit abrupt ab und mutiert zum willfährigen Partyhäschen. Nina Petri gibt als Hausfrau mit verdächtig starker Mutterliebe zu Stanley ein antiquiertes, wenn auch rührendes Frauenbild ab. Souveräner, aber nicht stabil sind die Männer, vor allem der charismatische Goldberg (Roland Koch). Und in der geschmeidigen Ruhe, mit der sich Oliver Stokowski als McCann bewegt, liegt eine Bedrohlichkeit, der selbst der hessische Dialekt, mit dem er spricht, nichts anhat.
Am Ende kann dieser Stanley (Max Simonischek) nur noch Laute von sich geben, aber immerhin macht er sich noch bemerkbar.
„Rose Bernd“: auf dem Kreuzweg mit Widerstandskraft
Wie eine äußere Gewalt dem Einzelnen die Sprache nimmt, seinen Widerstand bricht, davon erzählt Pinter, womit sich ein Bogen zu „Rose Bernd“ schlagen lässt, auch wenn Gerhart Hauptmann sich Anfang des letzten Jahrhunderts mit naturalistischer Genauigkeit dem Schicksal einer Bauernmagd widmet. Ob auch heute noch eine Frau zur verzweifelten Kindsmörderin werden kann, weil sie unter die Räder einer patriarchalischen Gesellschaft gerät, in der noch der Vater bestimmt, wer zu heiraten ist – solche Fragen pustet Karin Henkel in ihrer Neuinszenierung unter Einsatz aller möglicher Theatermittel und mit einem fulminanten Darstellerteam schlicht weg.
„Future is a fucking nightmare“ wird zu Beginn auf einen Vorhang projiziert, wie das abgewrackte Innere eines Raumschiffs geht das Bühnenbild von Volker Hintermeier in die Tiefe. Vorne ragt ein Kreuz aus dem Boden, die Hauptgänge nach hinten und zur Seite bilden ein Kreuz – bereit für die Kreuzwege, die Rose gehen wird, unweigerlich auf eine Katastrophe zu.
Einen Chor der Mädchen und einen Chor der Männer lässt Karin Henkel immer wieder auftreten. Letztere machen den Raum für die Individuen eng, öffnen die Münder weit, wenn sie nicht gemeinsam Textpassagen sprechen.
Funkelnde Widerstandskraft
Was ausgesprochen wird, lässt sich nicht rückgängig machen, hat eine zukunftsschmälernde Macht. Kein Wunder, dass viel gelogen und um den heißen Brei geredet wird, vor allem um Rose Bernds Schwangerschaft. Umso wunderbarer jedoch, dass der schlesische Dialekt, der je nach Stand stärker oder schwächer die Sprache bestimmt, in seiner Altertümlichkeit zum Zuhören und Verstehen-Wollen animiert. Henkels Darsteller haben sich den Dialekt so zu eigen gemacht, bringen den Text in einer Klarheit hervor, dass man dem Drama, das in und zwischen den Worten liegt, gebannt folgt.
Bei der Premiere auf der Pernerinsel wurde vor allem Hauptdarstellerin Lina Beckmann gefeiert. Ihre Rose Bernd bewahrt sich im Laufe der Tragödie eine funkelnde Widerstandskraft, stellt sich beherzt gegen die Umstände, die ihr aber letztlich keine Chance lassen. Am Ende steht Beckmann alleine auf der Bühne und berichtet davon, wie sie ihr Kind getötet hat. Da hat eine immerhin noch Macht über ihre Worte, beharrt auf ihre Stärke. Verzweifelt, berührend, sprachlos machend. Tobender Applaus.
„Die Geburtstagsfeier“ (Landestheater), „Rose Bernd“ (Perner-Insel), Karten unter Telefon 0043 662 8045 500