Bettina Hering über den neuen "Jedermann"
Am Freitag eröffnen die Salzburger Festspiele mit einem neuen "Jedermann" auf dem Domplatz
Die Schweizer Regisseurin und Intendantin Bettina Hering leitet seit dieser Saison die Schauspielsparte der Salzburger Festspiele. Die unerwartete Neuinszenierung des Festspiel-Flaggschiffs „Jedermann“ auf dem Domplatz stellt sie gleich im ersten Jahr vor eine Herausforderung.
AZ: Frau Hering, Sie sind ganz neu in Salzburg. Wie oft haben Sie den „Jedermann“ gesehen?
BETTINA HERING: Die bisherige Inszenierung mit Cornelius Obonya sechs- oder siebenmal. Auch die vorherige von Christian Stückl kenne ich. Natürlich habe ich mir Aufzeichnungen älterer Produktionen angesehen. Ich habe mich intensiv mit dem „Jedermann“ beschäftigt.
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Die Inszenierung von Julian Crouch und Brian Mertes war als Revue mit Elementen von Puppen- und Straßentheater sicherlich der bislang unpathetischste und unkonventionellste „Jedermann“.
Meinen Sie? Ich denke, dass Crouch und Mertes eigentlich sehr nah an der ursprünglichen Aufführungstradition waren, etwa indem sie die Distanz zwischen Bühne und Publikum abgebaut haben. Denken Sie an den beim Publikum und auch den Touristen so beliebten Einzug der Schauspieler in Form einer Prozession durch die Stadt. Das hätte Max Reinhardt sicher sehr gefallen.
Wie modern kann man den „Jedermann“ inszenieren, ohne dass diese Cashcow der Festspiele keine Milch mehr gibt?
Für mich gibt es da prinzipiell keine Grenzen oder Verbote. Erst wenn ich ein Konzept inhaltlich nicht nachvollziehen kann, wenn es nur um Effekthascherei geht oder keine fundierte Auseinandersetzung mit dem Text stattfindet, würde ich eingreifen. Modern schreckt mich nicht ab. Es muss nur schlüssig und durchdacht sein.
Und wenn ein Regisseur auf die berühmten „Jedermann“-Rufe von den Türmen der Stadt verzichten wollte…
Keine leichte Frage. Aber noch einmal: Es muss szenisch und inhaltlich funktionieren. Auf jeden Fall müsste mir ein Regisseur sehr gut erklären, warum es für ihn nur diese Möglichkeit gibt - und in dem Fall würde ich das auch szenisch überprüfen wollen.
Die Hofmannsthal’schen Knittelverse sind nicht jedermanns Sache, um dieses zugegebenermaßen etwas flache Wortspiel zu gebrauchen. Könnten Sie sich eine modernisierte, entknittelte Textversion vorstellen?
Es gab ja schon mehrfach Versuche, den Text zeitgemäßer zu gestalten. Bertolt Brecht, Peter Handke und Botho Strauss haben sich einem solchen Projekt angenähert, es dann aber nicht ausgeführt. Das ist sicher kein leichtes Unterfangen. Übrigens: Wenn man sich mit dem Stück und seiner Sprache intensiv befasst, wenn die Verse nicht deklamiert, sondern in die Kommunikation zwischen den Schauspielern eingebaut werden, wenn es wirkliche Dialoge werden, dann findet man sie gar nicht mehr so schräg oder altbacken.
Warum die plötzliche Entscheidung, den "Jedermann" jetzt doch schon in dieser Saison neu zu inszenieren?
Geplant war eine Weiterentwicklung des erfolgreichen Regiekonzepts von Crouch und Mertes, wir hatten dafür sogar sechs Wochen Probezeit angesetzt, die uns jetzt zugute kommen. Doch dann konnten wir uns schlussendlich nicht einigen, was der Terminus einer Weiterentwicklung exakt bedeutet.
Wollten sich die neuen Schauspieler nicht in die alte Inszenierung fügen, etwa der neue Jedermann Tobias Moretti?
Mein Credo ist, dass neue Schauspieler Platz brauchen, um sich zu entwickeln. Wir haben dieses Jahr im „Jedermann“ sechs Novizen und zwei Schauspieler, die innerhalb des Ensembles andere Rollen übernehmen. Das heißt: Insgesamt werden, da der gute Geselle und der Teufel von einem Schauspieler übernommen werden, neun Rollen neu gestaltet. Für Crouch und Mertes stand trotz des gemeinsamen Entschlusses und vieler Diskussionen schlussendlich das Konzeptionelle im Vordergrund, was auch ihrem angelsächsischen respektive amerikanischen Theaterverständnis geschuldet ist, das eine andere Gewichtung vornimmt. Da kamen wir am Ende nicht zusammen.
Wie kamen Sie auf den gebürtigen Wiener Michael Sturminger als neuen „Jedermann“-Regisseur? War er gerade frei?
Mitnichten, er musste sogar eine andere Inszenierung bei Seite schieben, um bei uns arbeiten zu können. Michael Sturminger ist ein kluger Denker, der in verschiedensten Musik- und Sprechtheaterformaten gearbeitet hat, jemand, der einen wirklichen Austausch mit seinen Schauspielern pflegt und große Stoffe zügig strukturieren kann. Außerdem ist er erstaunlich angstfrei und hat ein tolles Team an seiner Seite, unter anderem den vielfach ausgezeichneten Komponisten und Pianisten Mathias Rüegg.
Im „Jedermann“ geht es ja vor allem um Fragen des Glaubens. Sehr schwer zu inszenieren und zu verstehen ist heutzutage sicher seine Turbo-Bekehrung, als er an der Schwelle des Todes steht. Wie soll das im neuen „Jedermann“ gelöst werden?
Sie werden verstehen, dass ich dazu noch nicht viel sagen kann. Nur so viel: Wir haben uns intensiv auch mit dieser Passage befasst und, so denke ich, einen interessanten Zugang gefunden, der nochmal einen anderen Weg weist. Übrigens ist die Bekehrung ja nur die Folge dessen, um was es in dem Stück eigentlich geht, nämlich: Was passiert, wenn der Tod ins Leben tritt? Was macht das mit uns und unserer Mitwelt? Darum geht es im „Jedermann“. Die Glaubensfragen sind daraus abgeleitet.
Sie sind die erste Frau, die das Schauspielprogramm der Festspiele leitet. Stört Sie eigentlich der immer etwas sexistische Rummel um die Buhlschaft, Jedermanns Gefährtin?
Das ist eine Art Tradition, die wenig mit der wahren Buhlschaft zu tun hat. Die Buhlschaft ist eine autonome, sehr starke Frau, mitnichten die Inkarnation des Weibchens. Sie verbindet sich mit Jedermann aus freien Stücken und der Jedermann, selbst ein Grenzgänger, schätzt ihre Unabhängigkeit. Das macht die Spannung ihrer Beziehung aus. Eigentlich ist die Buhlschaft eine sehr moderne Frau.
Ketzerische Frage: Könnte man den „Jedermann“ mal für eine Saison absetzen?
Definitiv nein, selbst wenn man die ökonomischen Gründe, die ich nicht leugne, hintanstellen würde. Es wäre doch extrem bedauerlich, wenn man die lange Geschichte dieses Schauspiels an diesem Ort nicht fortschreiben würde. Außerdem bin ich der festen Überzeugung, dass das Potenzial dieses Stückes noch längst nicht ausgeschöpft ist.
Wirklich?
Leben und Tod, das sind doch wahrhaft unerschöpfliche Themen.
Premiere am Freitag, 21 Uhr auf dem Domplatz. Alle 13 Folgevorstellungen sind ausverkauft. Infos zu Restkarten unter www.salzburgfestival.at