Philipp Arnold inszeniert Erich Kästners "Fabian" im Volkstheater
Erich Kästners Roman "Fabian" spielt zwischen den Weltkriegen in Berlin. Er erzählt von einem, der den großen Umbrüchen in der Gesellschaft passiv gegenüber steht. Regisseur Philipp Arnold verknüpft die Vorlage im Volkstheater mit aktuellen osteuropäischen Perspektiven.
AZ: Herr Arnold, was war Ihr Impuls, diesen Roman jetzt auf die Bühne zu bringen?
PHILIPP ARNOLD: Ich habe den Roman tatsächlich erst Anfang dieses Jahres zum ersten Mal gelesen. Da war der erste Jahrestag des Angriffskriegs auf die Ukraine, und ich war zufällig in Vilnius. Dort war wahnsinnig viel los: Protestzüge, ukrainische Flaggen, belarussische Oppositionsflaggen. Die Stadt hat vibriert. In diesem Umfeld habe ich Fabian gelesen und mich gefragt: Was sind osteuropäische Perspektiven auf den Roman? Auf den Vorabend der Nazizeit, das Ende der Weimarer Zeit, eine Welt im Stillstand.
Was hat Sie an der Figur Fabian am meisten interessiert?
Beim ersten Lesen habe ich mich sehr wiedergefunden in dem Gefühl der Ohnmacht ob der Größe der Zeit. Es gibt dieses Kästner-Gedicht "Große Zeiten", da heißt es: "Die Zeit ist viel zu groß, so groß ist sie. Sie wächst zu rasch. Es wird ihr schlecht bekommen." Dass es da eine Taubheit gibt und man innerlich stumpf wird, kann ich gut nachvollziehen aus heutiger Sicht. Man beschäftigt sich mit dem Text, dann kommt die bayerische Landtagswahl, ein neuer Krieg bricht in Nahen Osten aus… Es wird alles sehr komplex und unsicher. Da verstehe ich diese Figur sehr. Das ist natürlich eine Gratwanderung: sich gar nicht zu verhalten zu den Dingen, geht natürlich auch nicht.
"Kästner versteht sich als ein Warnender, als 'Moralist'"
Die Ohnmacht Fabians ist schon kritisch zu sehen?
Auf jeden Fall. Ich frage mich natürlich auch als Theatermacher: Muss ich mehr Stellung beziehen? Was muss man aussprechen? Wir wollen im Team schauen, wo diese Figur eine Identifikationsfigur ist und wo nicht.
Wie schlagen Sie von diesen sehr deutschen Fragen den Bogen zu Osteuropa?
Der Zweite Weltkrieg hat auch dort stattgefunden. Trotzdem wurde der osteuropäische Blick hier bei uns lange nicht beachtet. Daraus - und aus meinem Leseerlebnis in Vilnius - erwuchs diese Idee. Das sind nicht so üppige Texte bei Kästner, aber es geht immer wieder um Europa. Es ist vom "Wartesaal Europa" die Rede und davon, dass die Menschen "unter einer Glasglocke" leben und nur auf den nächsten Krieg warten. Kästner versteht sich als ein Warnender, als "Moralist". Und ich habe mich gefragt, wie man das wohl von außerhalb Deutschlands sieht.
Gerade in den letzten Monaten sind die Themen Kästners auch hierzulande noch aktueller geworden: Demokratiemüdigkeit, zunehmender Antisemitismus…
Die rechten Kräfte, die stärker werden, und der zunehmende Zerfall der Gesellschaft sind auf jeden Fall Facetten, die jetzt viel stärker hervorstechen. Ich denke auch an die ganzen Geflüchteten, über die ständig geredet wird. Wenn Herr Merz zum Beispiel sagt, die kommen nur her, um sich die Zähne machen zu lassen. Ich wollte deren Stimmen auf der Bühne zu Wort kommen lassen. Wir tippen all diese Themen an, legen den großen Fokus aber auf die europäische Idee, die dort am östlichen Rand ganz anders aufgeladen ist als hier.
Und diese Außenperspektive kommt herein durch die zusätzlichen Texte, die Sie mit Kästner verschränken?
Genau. Ich habe Arna Aley aus Litauen, Viktor Martinowitsch aus Belarus und Maryna Smilianets aus der Ukraine gefragt, ob sie Texte für uns schreiben. Bei Viktor Martinowitsch sehe ich auch eine Parallele zu Kästner: Er arbeitet in Belarus, ist nicht ins Exil gegangen - auch Kästner hat gesagt, er bleibt in Deutschland, muss das von innen erleben. Arna Aley hat in Chemnitz ein Projekt gemacht, in dem sie die Menschen der Stadt befragt hat, also quasi eine Archivierung der Gegenwart, wie sie auch Kästner gemacht hat. Und Maryna Smilianets lebt in Stuttgart im Exil, fährt aber immer wieder zurück in die Ukraine und hat eine ganz eigene Perspektive darauf, was Krieg bedeutet. Kästners Fabian war selbst im Krieg. Da gibt es also vielerlei Verknüpfungen. Und in den Stimmen aus Osteuropa liegt auch ein Appell an uns.
Und was war der konkrete Auftrag an die drei?
Wir haben sie gebeten, den Roman zu lesen, und gesagt, ihre Texte müssen auf dem Roman basieren. Ansonsten haben wir die Herangehensweise ihnen überlassen. Die drei Texte sind formal sehr unterschiedlich. Aber alle spiegeln die Komplexität der Welt, die sich von Fabian bis heute spannt.
"Der Krieg steht bei Kästner und seiner Fabian-Figur über allem"
Aus den insgesamt vier Texten ergibt sich dann aber auch eine Komplexität der Inszenierung, oder?
Die drei neuen Texte haben alle eine eigene formale Lösung, sind also erkennbar und klar von einander getrennt. Wir greifen die Episodenhaftigkeit des Romans auf und übersetzen sie in die Struktur des Abends.
In welche Zeit versetzen Sie die Handlung?
Was Kästner da anspricht von der Menschlichkeit und der Emotionalität der Figuren, hat für mich eine Zeitlosigkeit. Man erkennt sich und seine Antriebe darin wieder. Das komplett in der Weimarer Zeit zu belassen, fände ich falsch. Es aber wiederum komplett ins Heute zu holen, würde dem auch nicht gerecht. Wir haben also eine quasi zeitlose Ebene, in die die heutigen Texte hereinbrechen.
Während Kästners Roman in einer Zwischenkriegszeit spielt, ist in der Ukraine bereits wieder Krieg.
Der Krieg steht bei Kästner und seiner Fabian-Figur über allem. Er wartet quasi auf den nächsten Krieg. Diese Erfahrung hat sich für uns in Deutschland komplett verändert. Ich bin 1990 geboren, ich war der letzte Jahrgang, der zur Musterung musste. Der Gedanke an Krieg in Europa war immer sehr fern. Dass das nun Realität geworden ist, führt dazu, dass man sich ganz andere Fragen stellt. Natürlich können wir im Theater keine Antworten geben, aber wohl Denkimpulse setzen, wie wir funktionieren wollen als Gesellschaft: Wie wollen wir zusammen leben? Wie solidarisch sind wir? Wie wichtig sind uns unsere demokratischen Grundwerte?
Macht sich in Deutschland gerade wieder eine Fabian-Mentalität breit?
Ja. Da gibt es etwas sehr Zögerliches. Worauf warten wir? Warum handeln wir nicht?
Premiere am 25. November, 19.30 Uhr, eventuell Restkarten an der Abendkasse
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