"Pension SchöllerInn" im Volkstheater München: Im Hysteriemodus
Philipp Klapproths Wunsch, mal eine richtige "Irrenanstalt" von innen und seine Bewohner live zu erleben, galt schon 1890 zur Uraufführung von "Pension Schöller" in Berlin als nicht sonderlich achtsam.
Klapproths Neffe Alfred empfahl daher den Besuch der Pension Schöller, die zwar keine Anstalt ist, aber eine Reihe exzentrischer Persönlichkeiten beherbergt. Der reiche Onkel ist glücklich über so viele vermeintlich Verrückte, bis diese seine Einladung in seine Stadtwohnung annehmen und dort für heilloses Chaos sorgen.
Der Name der "Pension SchöllerInn" lockt auf die falsche Fährte
Die Posse aus den Zeiten Kaiser Wilhelms erlebte im Münchner Volkstheater eine zweite Uraufführung und heißt jetzt "Pension SchöllerInn". Das große Binnen-I im Titel lockt auf eine falsche Fährte, denn das, was hier mit einem unverwüstlichen Dauerbrenner des bürgerlichen Lachtheaters passiert, ist keine feministische Überschreibung. Natürlich sind die Gendergrenzen flüssig wie Berliner Weiße, aber das von der hauptstädtischen Volksbühne so tief berührte Regieduo Nele Stuhler und Jan Koslowski sind Kinder des postdramatischen Theaters, bei dem Rollenzuschreibungen nach Geschlechtern keine Rolle zu spielen haben.
Friederike, hier zu "Friederiken" romantisiert, spielt Steffen Link im schwarzen Alte-Jungfer-Outfit oder der Weltreisende Bernhard Bernhardy erscheint als sehr rothaarige Liv Stapelfeldt. Eugen Schöller, der bei Laufs und Jacoby trotz Sprachfehlers, der jedes L zum N macht, von einer Schauspielerkarriere in Schillers "Wannensteins Nager" träumt, ist hier bei Lars Deborah Daberkow eine Lady in Red, die über das "Neben" und den undurchsichtigen "Neben" philosophiert.

"Pension SchöllerInn" im Volkstheater: Stuhler und Koslowsky drehen den Spieß um
Etwas verwirrend ist freilich, dass der Neffe Alfred von einem Mann gespielt wird, auch wenn Anton Nürnberg gegen Ende ein bezauberndes Ballettsolo als Schneeflöckchen hat, und die Pensionbetreiberin Schöllerin tatsächlich weiblich besetzt ist.
Die RegisseurInnen brachten die belgische Performerin und Choreografin Brigitte Cavelier aus Berlin mit, die mit geschmeidigem Französeln das preußische Ringen um die totale Komik zuweilen etwas bekömmlicher macht. Denn vom handwerklich so stabilen Verwechslungswitz des Originals ist nichts geblieben.

Aber schon damals bewegten die beiden Autoren Carl Laufs und Wilhelm Jacoby die Frage, was "normal sein" bedeuten könnte und wie "verrückt" die meisten Zeitgenossen tatsächlich sind. Stuhler und Koslowsky drehen den Plan von Onkel Philipp um.
In einer Gesellschaft von Selbstoptimierern, die sich von den eigenen Ansprüchen an sich selbst in den Wahnsinn treiben lassen, will er endlich wieder einmal "ganz normale, gesunde Leute" sehen. Neffe Alfred präsentiert ihm die Pension Schöllerinn als ein "Resilienz-Retreat", ein Rückzugsraum für Gestresste, in den der reiche Onkel investieren soll.
Orientierungsloser Lärm im Volkstheater: "Wer keine Symptome hat, hat gar nichts mehr"
Die Verrückten sind die "Pontius-Pilates"-Trainer, die Karotte-Ingwer-Smoothie-Trinker, die nach stundenlanger antidepressiver Morgenroutine Depressiven, die von der Akupunktur Zerstochenen und die Workaholics im Burn-Out.
Wer keine Symptome mehr hat, fasst Madame Schöllerinn einmal zusammen, "hat gar nichts mehr". Onkel Philipp lässt die Therapien zunächst geduldig über sich ergehen, bis er genervt aufgibt und lieber "krank" ist. Wer in krankem Umfeld krank ist, ist der Gesunde, erklärt der reiche Investor.
Anne Stein als Onkel unter barocker Turmfrisur ist im übrigen die einzige, die zuweilen die Kontrolle hat über die von Marilena Büld zitierfreudig bunt eingekleidete Meute. Des Onkels schlaue Dialektik ist eher die Ausnahme.
Was aktuelle Satire sein könnte, schrumpft trotz des aufwändig in Bewegung gehaltenen Bühnenbilds von Marlene Lockermann und Sina Manthey zu strukturfreier und orientierungsloser, dafür aber lärmiger Kunstbemühung im Hysteriemodus. Noch komischer als die verdauungsfördernde Wirkung von Kombucha-Genuss am Strand als "Dünen-Schiss" zu beschreiben, wird der Abend nicht.
Münchner Volkstheater, wieder am 18., 19., 26. Juni, 6., 8. Juli, 19.30 Uhr, Karten unter Telefon 5234655
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