Passionsspiele in Oberammergau: Worüber Gott lacht
Oberammergau - Die letzten Tage Jesu Christi alle zehn Jahre in einem Festspiel zu erzählen, war 1633 ein Gelübde der Oberammergauer, die eine Pest-Epidemie überlebt hatten.
Die Passionsspiele fielen nur selten aus
Seither gab es nur wenige Jahrgänge, die ganz ausfielen oder verschoben werden mussten. 1920 litten Europa und Amerika unter der Spanischen Grippe und das Passionsspiel fand erst zwei Jahre später statt. 2020 war es wieder eine globale Seuche, die das Spiel verhinderte.
So beginnen die 42. Oberammergauer Passionsspiele wieder mit zweijähriger Verspätung. Vor der morgigen Premiere sprach die AZ mit Christian Stückl, der über seinen kürzlichen Herzinfarkt möglichst wenig reden mag.

AZ: Herr Stückl, Sie sind zum vierten Mal Spielleiter der Passionsspiele. Wie viele Vorgänger können eine solche Bilanz vorweisen?
CHRISTIAN STÜCKL: Es gibt nur einen und der war einmal öfter Spielleiter: Johann Georg Lang war zwischen 1922 und 1960 fünf Mal Leiter.
Ist das auch Ihr Plan?
Dahingehend mache ich keine Pläne. Ich hatte vor acht Wochen einen Herzinfarkt. Dann weiß man, worüber Gott lacht: Planung.
Christian Stückl war schon als Kind dabei
Ihr schon in früher Jugend gefasster Plan, eines Tages Spielleiter zu sein, ist aufgegangen. Haben Sie ein jesusmäßiges Sendungsbewusstsein, um das zu schaffen?
Nein, das habe ich nicht. Es war für mich nie eine Frage. Ich bin da langsam hineingewachsen. Ich habe schon als Kind Theater gespielt und bei den Passionsspielen mitgemacht. Da dachte ich mir: Mach das einfach mal. Am Anfang meinte ich noch, den Kaiphas oder den Gottvater spielen zu sollen, aber bald wurde mir klar, dass ich der Spielleiter sein wollte.

Beim ersten Mal waren Sie 26 Jahre alt und hatten die Aufgabe, rund 2.000 Menschen zu organisieren und zu inszenieren. Können Sie sich noch daran erinnern, was damals in Ihnen vorging?
Es ist schwierig, das im Nachhinein nachzuvollziehen. Ich weiß noch, dass es einerseits viel Spaß gemacht hat, aber andererseits sehr anstrengend war. Ich wurde mit neun zu acht Stimmen gewählt und stieß auf großen Widerstand. Aber ich habe das so angenommen: Ich will Änderungen, andere wollen keine Änderungen. Da muss ich stur bleiben und mich durchsetzen. Im ersten Jahr hat man mir dann die Haustüre zugemauert und gedroht: "Totengräber von Oberammergau - Zieh Leine, sonst bekommst du nasse Beine!"
Aber inzwischen ist die Tür wieder offen.
Den meisten ist irgendwann klargeworden, dass es so ist, wie es ist und ich der Spielleiter bin. Man hat sich aneinander gewöhnt.
Theatermacher, kein Theologe
Sie sind kein Theologe, sondern Theatermacher. Wie hat sich Ihr Jesus-Bild in den Jahrzehnten der Arbeit an dieser Figur verändert?
Als ich anfing, wollte ich einen energischen, lauten Jesus zeigen, der Veränderungen will. Das war mir ein ganz wichtiger Punkt. Wahrscheinlich hing das mit meinem eigenen Wollen zu Veränderungen zusammen. Später ging es mir um die ruhige Seite von Jesus ohne Lautstärke, von dem es bei den Evangelisten heißt: "Er wird nicht streiten noch schreien, und man wird seine Stimme nicht hören auf den Gassen".
Sie arbeiten bei dieser Rolle immer mit Doppelbesetzungen. Hat das Einfluss auf die Gestaltung?
Frederik Mayet und Rochus Rückel sind im Wesen völlig anders. Das eine Jesus-Bild gibt es ohnehin nicht. Es kommt immer darauf an, wie der jeweilige Schauspieler damit umgeht. In diesem Jahr ist mein Jesus wieder etwas lauter geworden, aber nicht, weil er Reformen will, sondern gegen die Welt anschreit, wie sie ist und die sich nicht ändern wird. Mir war nicht die theologische Haltung wichtig, wie er zum Beispiel mit den Priestern über den Sabbat streitet, sondern viel mehr, wie er an den sozialen Rändern der Gesellschaft aktiv ist.
"Judas ist für mich auf keinster Weise ein Verräter"
Jesus ist nicht solistisch tätig, sondern hat zwölf Mitgeschworene, aus denen einer zum Verräter wird. Wie gehen sie mit diesem Umfeld um?
Judas ist für mich auf keinster Weise ein Verräter. Das ist eine christliche Zuspitzung, die zum Antisemitismus geführt hat. Ich denke, dass sich Jesus zu seinen Aposteln nicht einen Verräter hinzu geholt hat. Wir verzichten auch auf die 30 Silberlinge, die bei uns in einem ganz anderen Zusammenhang vorkommen. Wir haben versucht, eine andere Lesart zu finden. Judas will seinen besten Freund auf einem politischen Thron sehen und versucht, ein Gespräch mit Kaiphas zu arrangieren, was zu Missverständnissen führt.
Was ist mit den beiden zentralen Frauen?
Über Maria steht in den Evangelien fast gar nichts. Bei dem, was wir fanden, merkten wir, dass Jesus mit seiner Mutter sehr kritisch umgeht: "Wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, derselbe ist mein Bruder, Schwester und Mutter". Da wird deutlich, dass die Mutter den Weg, den der Sohn eingeschlagen hat, nicht besonders mag. Und doch bleibt sie am Kreuz bei ihm. Maria Magdalena ist eine Beziehung, die vielleicht nicht zur Ehe geführt hat, und so auch nie ausformuliert wurde, aber man hat bei ihr relativ viele Freiheiten. Bei uns wird sie die Osterbotschaft verkünden.
Für die Zukunft wünschen Sie sich eine Änderung des Mitspielrechts.
Es gibt zwei Regeln: Mitspielen darf nur, wer in Oberammergau geboren wurde oder mindestens 20 Jahre dort lebt. Diese 20 Jahre müssen abgeschafft werden. Dass die Leute in Oberammergau leben sollen, ist in Ordnung. Es hat ein gewisses Flair, dass die Oberammergauer alles selbst in die Hand nehmen. Aber 20 Jahre für die Integration sind zu lang. Die Frage, ab wann man ein Oberammergauer ist, muss neu gestellt werden.
14. Mai bis 2. Oktober, jeweils Dienstag, Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag. Karten unter passionsspiele-oberammergau.de und Telefon 08822 /835 93 30
- Themen:
- Bayern
- Christian Stückl