Kritik

Münchner Theater-Koproduktion "Pigs": Stich ins eigene Fleisch

Miriam Tscholls interaktive Theater-Installation "Pigs" in der Therese-Giehse-Halle.
Michael Stadler |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Simone Oswald und Hardy Punzel in "Pigs".
Simone Oswald und Hardy Punzel in "Pigs". © Judith Buss

München - Da ist zum Beispiel Christian, ein Metzger aus Überzeugung. Einer, der sagt, dass es doch keine bessere Mahlzeit gäbe als einen Schweinsbraten mit Knödeln und Biersauce.

Der Karriere gemacht hat, von Jobs in der Wurstproduktion und Schlachtindustrie bis hin zum eigenen Betrieb mit 50 Angestellten. Der herzhaft ehrlich und gelassen wirkt, aber auch einmal richtig sauer wurde, wie er erzählt, und zwar, als er sah, wie einer seiner Angestellten eine Sau trat. Den Täter hat er sogleich zurechtgewiesen: Ein Schwein sei genauso wie der Mensch "ein Mitglied der Schöpfung", das darf man niemals vergessen.

Eva zweifelt: Ob der Protest mit ein paar Leuten vor den Filialen was bringt?

Oder da ist Eva, Aktivistin bei Greenpeace. Eine, die vor Supermärkten demonstriert, wenn dort Fleisch mit der Kennzeichnung "Haltungsform 1" und "Haltungsform 2" verkauft wird. Damit ist Tierhaltung nach dem gesetzlichen Mindeststandard gemeint, weniger als ein Quadratmeter Platz stand dann dem einzelnen Schwein als Lebensraum zur Verfügung. Ob der Protest mit ein paar Leuten vor den Filialen was bringt, da hat Eva zwar ihre Zweifel, aber diese Aktionen finden immerhin an mehreren Orten in Deutschland statt. Das gibt Hoffnung, dass sich doch etwas verändern könnte. Privat hat sie offenbar resigniert: Zu den Grillfesten, die ihre Familie jeden Sommer veranstaltet, geht Eva einfach nicht hin.

Unterschiedlicher könnten Eva und Christian nicht sein, aber sitzt man ihnen Auge in Auge gegenüber und hört ihren kurzen Vorträgen zu, kann man ihre Einstellungen rund um das Schwein und das Schweinefleisch gut nachvollziehen. 

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Als Videobilder sind die beiden in der Therese-Giehse-Halle der Kammerspiele präsent, gehören zu einem Stamm von 30 Expertinnen und Experten, darunter auch Tierethiker und Agrarpolitiker, die Miriam Tscholl für ihre interaktive Theaterinstallation "Pigs" befragt hat. Sechs der Redebeiträge bekommt man als Zuschauer im Laufe von 90 Minuten zugespielt. Es sind dokumentarische Einsprengsel in einer Show, die von einem Moderations-Duo geleitet wird.

Schauburg-Team etwas aufgeregt im direkten Kontakt mit dem Publikum

"Pigs" ist eine Koproduktion der Münchner Kammerspiele und der Schauburg mit ein paar anderen, zum Teil auf jugendliches Publikum ausgerichteten Theatern in Deutschland, die das auf Partizipation ausgerichtete Stück ebenfalls, jeweils mit anderer Besetzung, zeigen werden.

In München wechseln sich André Benndorff und Martin Weigel von den Kammerspielen mit Simone Oswald und Hardy Punzel von der Schauburg ab, wobei Oswald und Punzel vor allem auch bei den Vorstellungen für Schulklassen zum Einsatz kommen werden. Am Montagabend hatte das Schauburg-Team Premiere, beide sympathisch, beide hoch engagiert und etwas aufgeregt im direkten Kontakt mit dem Publikum.

Über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Tier und Mensch

Die von Bernhard Siegl eingerichtete Bühne ist eine Mischung aus Schweinestall und Zirkus: An den Rändern sitzen die Zuschauer vereinzelt auf ihren Stühlen, eingegrenzt von Stahlrohren, wie man es von Schweinekoben kennt. Im Rücken hat man die Screens, zu denen man sich mitunter umdreht; vor sich, in der Mitte, die beiden Moderatoren auf einem weißen, manage-artigen Podest, gekleidet in weißen, rot besprenkelten Anzügen.

Am Anfang machen die Zwei gleich mal auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Tier und Mensch aufmerksam: Manche Tiere sind mit ihren Sinnesorganen dem Menschen ja sogar überlegen, der Mensch wiederum hat als einziges Wesen die Fähigkeit zur Reflexion. Also: Wieso essen wir dann das Fleisch von Tieren? Wieso töten wir sie dafür? Wäre es nicht viel wichtiger, etwas gegen den Klimawandel zu tun, der direkt mit der Tierzucht zu tun hat?

Hält man sich selbst für einen "guten" Menschen? 

15 Prozent der weltweiten C02-Emissionen lassen sich auf den Bereich Ernährung zurückführen, 70 Prozent davon entstehen bei der Herstellung tierischer Produkte. Wenn generell weniger Fleisch gegessen würde, würde letztlich auch der C02-Austoß sinken, so der logische Schluss. Solche und andere Zusammenhänge veranschaulichen Oswald und Punzel im lockeren Infotainment-Modus, mit Oswald als "Bad Cop", die den Fleischessern den Genuss und die Ruhe vor allzu viel Information gönnt, während Punzel als aufklärerischer "Good Cop" sicherlich die besseren Argumente auf seiner Seite hat.

Vor den Screens klickt man sich durch persönliche "Ja"-oder-"Nein"-Fragen und auch die Moderatoren fühlen einem direkt, vor aller Augen, ein bisschen auf den Zahn: Wie sieht es denn aus mit dem Konsum von Schweinefleisch? Hält man sich selbst für einen "guten" Menschen? Und wo liegt bei einem selbst die Doppelmoral? Letztere Frage lässt sich natürlich leicht beantworten: Im Zwiespalt zwischen Genuss und (verdrängtem) Hintergrundwissen wird jeder Fleischesser mehr oder minder stecken.

Der moralische Zeigefinger bohrt mit sanftem Druck ins eigene Fleisch

"Pigs" verstärkt das schlechte Gewissen und ringt einem bei einem finalen Ritual womöglich ein Versprechen ab. Wenn man schon nicht ganz verzichten will - lässt der Verzehr sich vielleicht reduzieren? Kann man beim Kauf wenigstens auf die Herkunft der Ware (artgerechte Haltung) achten? Essgewohnheiten lassen sich oft nur schwer durchbrechen, Veränderung tut aber not. So ist der moralische Zeigefinger bei "Pigs" durchaus und zwar zu Recht ausgestreckt und bohrt mit sanftem Druck ins eigene Fleisch.

Therese-Giehse-Halle, Falckenbergstraße 1, bis 25. März, Termine unter www.schauburg.net und www.muenchner-kammerspiele.de; Reservierung/Vormerkung von Schulklassen läuft über die Theaterkasse der Münchner Kammerspiele: Telefon 233 966 00 oder per E-Mail unter theaterkasse@kammerspiele.de

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.