"hyper" im Volkstheater: Und saftig ist der Kern
München - Um beim Basketball einen Korb zu landen, sollte man wohl möglichst sein Gehirn ausschalten. Jeder Gedanke könnte den eintrainierten Bewegungsablauf stören, der Körper sollte beim Wurf die Regie übernehmen. Je geschmeidiger die Choreographie abläuft, desto wahrscheinlicher ist der Treffer.
Vincent Sauer spielt auf der Bühne 2 des Volkstheaters, in der Performance "hyper", zwischendurch eine Runde Basketball. Seine Trefferquote ist beachtlich niedrig, aber im Kopf des jungen Schauspielers rumort ja auch vieles, das Umschalten von Theater auf Sport ist offenbar nicht leicht. Gedoppelt wird seine Live-Performance vor Publikum mit einem Video, das ihn beim Spielen auf einem Basketball-Feld zeigt. Bäume sind in unmittelbarer Nähe des Platzes, der Spieler Sauer ist alleine auf weiter Flur.
Sauers Biotop ist eine ziemlich karge Schlafstatt
Ein Solo zeigt ja im Grunde immer schon den Menschen in seiner einsamen Geworfenheit in die Welt. Seine Bühnenrealität baut sich Vincent Sauer zu Beginn mit etwas Hilfe selbst am linken Rand auf, während von rechts eine große Videoleinwand in die Mitte ragt.
Sauers Biotop ist eine ziemlich karge Schlafstatt, in den zwei Kühlschränken befinden sich ausschließlich Plastikflaschen mit Orangensaft. An die Wand hängt er sich später ein Poster, auf dem "Die Jäger im Schnee" von Pieter Bruegel dem Älteren zu sehen sind: Die Jäger kehren mit ihren Hunden in ein Dorf zurück, eine Schar von Menschen winzig klein vor ihnen beim Eislauf auf einem zugefrorenen See, dahinter mächtig weit die Landschaft.
Wechselspiel zwischen Film und Live-Performance hat hervorragendes Timing
Die Sehnsucht nach etwas "Authentischem", nach einer Rückkehr in die Natur durchzieht das Projekt von Florian Schaumberger, der auch als Videokünstler tätig ist und hier ein Bühnengeschehen zwischen Kino und Theater zusammenbastelt. Wo bleibt der Zuschauerblick mehr hängen: am bewegten, toten Bild oder am atmenden Körper, der direkt anwesend ist?
Das Wechselspiel zwischen Film und Live-Performance hat jedenfalls ein hervorragendes Timing: Ist Sauer mit einem Vorgang fertig, gibt es auch im Video einen Schnitt und einen Motivwechsel. Die von Niko Knoblauch aufgenommenen Bilder haben eine fantastische Klarheit, eröffnen hyper-realistische Räume: mal in die Breite gehend, flächig, wenn die Kamera im Zurückzoomen das Nebeneinander der Balkone eines Plattenbaus einfängt; mal neonkalte Tiefen streifend, wenn das Kamera-Auge langsam an Supermarkt-Korridoren vorbeifährt.
Auf der Suche nach etwas Echtem im Falschen
In seiner Bildästhetik erinnert "hyper" an die Video-Arbeiten von Matthew Barney und die Filme von David Lynch. Ein stiller Horror lauert in den Bildern einer Zivilisation, deren Räume von Pragmatismus und Konsum geprägt sind. Im Supermarkt begeht der junge Mann, den Vincent Sauer mit gefährlicher Ruhe spielt, kleine Terrorakte, sticht mit dem Finger in Joghurt-Becher, knetet Chips-Tüten, auf dass die Chips darin zerbröseln. Aber er ist auch auf der Suche nach etwas Echtem im Falschen, streichelt über die Paprika auf der glatten Chips-Verpackung, das abgebildete Obst auf dem Joghurt-Deckel.
Mit Heinz Brenner bricht ein zweiter Performer in den Abend ein
Der Tod eines alten Mannes im Supermarkt wirft den Jüngling aus der Bahn, sein Gefühlslevel bleibt jedoch auf niedrigem Niveau. Statt Hilfe zu rufen, ahmt er die Haltung der Leiche auf dem Boden nach. Der Tote erscheint als altes Alter Ego, ist ein heiteres Mahnmal der Vergänglichkeit.
Im Video wandelt er splitternackt durch einen Wald, als ob er heimgekehrt ist, schiebt aber den Einkaufswagen weiterhin vor sich her. Und taucht zuletzt quicklebendig auf der Bühne auf: Mit Heinz Brenner bricht ein zweiter Performer in den Abend ein, der fern von jeder schauspielerischen Künstlichkeit ganz natürlich wirkt.
Ein melancholisches Gefühl der Selbstentfremdung macht sich breit
Ob die Jugend in Wäldern und Bergen zu sich finden kann, bleibt am Ende dieser etwas langen, etwas verkopften, in ihren durchkomponierten Bildern aber fast schon haptisch-sinnlichen Collage fraglich. Da kann Vincent Sauer sich im Video noch so nass machen, unter einem Wasserfall, in einem See - auf der Bühne wird er zum trockenen Betrachter seines Video-Bilds und ein melancholisches Gefühl der Selbstentfremdung macht sich breit. "Die Natur verschließt die Arme, und ich stehe, wie ein Fremdling, vor ihr, und verstehe sie nicht…" - den Satz aus Hölderlins "Hyperion" liest er gleich zweimal vor.
In einem selbst verfassten Monolog sinniert Sauer darüber, wie er zum saftigen Kern einer Orange vordringen kann, und ist sich bewusst, dass er ihre platonische Form dabei zerstört. Ein Basketball, in seiner Gestalt der Orange ähnlich, ist da wesentlich stabiler. Der große Wurf gelingt zwar nicht, aber im Theater geht es ja eh weniger ums Treffen als ums Immer-Wieder-Werfen. Freundlicher Applaus.
Volkstheater, Bühne 2, Dienstag/Mittwoch, 15./16. März sowie 31. März, jeweils 20 Uhr; am 30. März um 19.30 Uhr, Karten unter Telefon 523 46 55