Münchner Schauspieler Vincent zur Linden: Mit Mut zur Empathie

Am heutigen Samstag wird der deutsche Theaterpreis "Der Faust" verliehen. Der Münchner Vincent zur Linden ist für sein Spiel in "Das Vermächtnis" nominiert - und ab Donnerstag in "Das Käthchen von Heilbronn" zu sehen.
Michael Stadler |
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Fulminante Doppelrolle: In "Das Vermächtnis" spielt Vincent zur Linden (li.) den Schauspiel-Star Adam sowie den Escort-Jungen Leo. Rechts: Moritz Treuenfels.
Fulminante Doppelrolle: In "Das Vermächtnis" spielt Vincent zur Linden (li.) den Schauspiel-Star Adam sowie den Escort-Jungen Leo. Rechts: Moritz Treuenfels. © Sandra Then

München - Gleich bei seinem ersten Auftritt auf der Bühne des Residenztheaters hat Vincent zur Linden auf eindrucksvolle Weise gleich mehrere Rollen gespielt.

In Philipp Stölzls Inszenierung von Matthew Lopez' "Das Vermächtnis" ist er zu Beginn Teil einer Gruppe von Erzählern, die darüber nachdenkt, wie diese Geschichte anzufangen sei, immerhin beleuchtet das daraufhin folgende Bühnen-Epos die Lebenssituation der queeren New Yorker Community von den 1980ern bis zur Präsidentschaft Trumps.

In der Folge schlüpft zur Linden in die Rolle von Adam, einem Schauspielschüler, der mit dem Autor Toby Darling (Moritz Treuenfels) eine Affäre beginnt und in der Broadway-Adaption von dessen Erfolgsroman die Hauptrolle übernimmt.

"Der Faust": Lebensnahe Darstellung bringt Vincent zur Linden Nominierung ein

Während Adam der Erfolg bald zu Kopf steigt und er in die Beziehung von Toby Darling und dessen Freund Eric Glass (Thiemo Strutzenberger) einbricht, spielt zur Linden auch noch einen zartfühlenden Strichjungen namens Leo, der sich später mit dem HIV-Virus infiziert.

Fließend changiert zur Linden zwischen den Rollen, wirkt verletzlich und lebensnah in seiner Darstellung, was Publikum wie Kritik begeisterte - und ihm eine Nominierung für den deutschen Theaterpreis "Der Faust" einbrachte, der am heutigen Samstagabend im Düsseldorfer Schauspielhaus verliehen wird.

Vincent zur Linden: Zurück zu den Wurzeln

Dass man sein Spiel als sensibel und emotional wahrhaftig empfindet, freut zur Linden sehr. "Während meiner Ausbildung und in meinen ersten Berufsjahren wurde mir immer wieder gesagt, dass ich vor allem ein technisch virtuoser Schauspieler sei. Das hat mich sehr gestört, weil ich das Gefühl hatte, mir wird letztlich unterstellt, dass ich emotionsbefreit auf der Bühne stehe. Ich habe dann verkrampft versucht, diese tiefere Emotionalität künstlich zu erzeugen. Mit der Zeit konnte ich mich aber von diesem Gedanken wieder lösen und kehrte eigentlich dorthin zurück, wo ich schon mal gewesen war."

Vincent zur Linden: "Ein logischer Schritt, dass ich Schauspieler werden wollte"

Vor allem von "Mut zur Empathie" spricht Vincent zur Linden, wenn es um seine Schauspielkunst geht. "Dass ich mich in einer Figur vielleicht nicht ganz auflöse, aber ihr empathisch möglichst nahekomme."

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Sein Weg zum professionellen Spiel erscheint ihm als eine gradlinige Entwicklung, die in seiner Heimatstadt Düsseldorf begann, wo er 1994 geboren wurde. "Ich habe als Kind zu Hause immer Dinge nachgespielt und Figuren erfunden. Meine Mutter ging sehr oft mit mir ins Theater, hat mich sogar gelegentlich von der Schule befreit, so dass wir zusammen in die Matinee-Vorstellungen im Düsseldorfer Schauspielhaus gehen konnten. Dann habe ich dort im Kinderclub gespielt, was mir total viel Spaß gemacht hat. Es war dann einfach ein logischer Schritt, dass ich Schauspieler werden wollte."

Vincent zur Linden: "Ich war arbeitslos und musste jeden Job annehmen"

An zwei Schauspielschulen, in Berlin und München, sprach er vor, wäre an beiden genommen worden und entschied sich für die Otto Falckenberg Schule. 18 Jahre war er alt, als er dort sein Studium begann. Nach seinem Abschluss 2017 trat er sein erstes festes Engagement am Theater Bielefeld an, wechselte dann 2019 ins Ensemble des Theater Basel, das nominell noch von Andreas Beck geleitet wurde, wobei Beck bereits seine Intendanz am Bayerischen Staatsschauspiel angetreten hatte.

"In Basel war damals alles im Wandel, was bei uns zu einem starken Zusammenhalt führte", erinnert sich zur Linden. "Es herrschte eine Art Festivalstimmung, über die ganze Saison hinweg, was ich sehr schön fand". Danach lebte er ein Jahr lang als freier Schauspieler in Berlin: "Aber was heißt schon frei? Ich war arbeitslos und musste jeden Job annehmen, der mir angeboten wurde, um meine Miete bezahlen zu können."

Vincent zur Linden: Auch seine Fernsehkarriere nahm zuletzt an Fahrt auf

Für sein festes Engagement in München musste zur Linden nicht mehr vorsprechen; Andreas Beck und Chefdramaturgin Almut Wagner kannten ihn ja bereits. Auch seine Fernsehkarriere nahm zuletzt an Fahrt auf: Im letzten Sommer drehte zur Linden die sechsteilige Serie "Boom Boom Bruno", die im nächsten Jahr auf Sky zu sehen sein wird.

Ben Becker spielt Bruno, "einen draufgängerischen, misogynen, homophoben Polizisten in Brandenburg", erzählt zur Linden. "Ich bin Mark, ein ungeouteter, drag-affiner, sensibler Cop, der frisch von der Polizeischule kommt und sein Partner wird. Als sie einen Mord im Drag-Milieu ermitteln, muss Mark vor Bruno verstecken, dass das eigentlich seine Welt ist. Es gibt dann einige Irrungen und Wirrungen, die, glaube ich, ganz witzig sind."

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Auch auf der Bühne wird Vincent zur Linden demnächst einen Auftritt haben, der sich nicht so leicht in stereotype binäre Geschlechtervorstellungen einordnen lässt. Unter der Regie von Elsa-Sophie Jach spielt er "Das Käthchen von Heilbronn", Premiere ist am nächsten Donnerstag im Cuvilliéstheater.

Neben der Titelrolle spielt zur Linden auch den berühmten Autor des 1810 in Wien uraufgeführten Schauspiels, Heinrich von Kleist. Regisseurin Jach hat ihrer Stückfassung Texte aus "Kein Ort. Nirgends" beigemischt, einer Erzählung von Christa Wolf aus dem Jahr 1979, in dem die Schriftstellerin eine Begegnung zwischen Heinrich von Kleist und Dichterkollegin Karoline von Günderrode imaginiert.

Vincent zur Linden spielt die Titelrolle in "Das Käthchen von Heilbronn"

Cross-Gender-Besetzungen sind im Theater längst gang und gäbe; gewundert habe er sich nicht, dass er als Käthchen besetzt wurde, meint zur Linden, "aber ich habe schon gestutzt, weil es nun mal nicht so viele weibliche Hauptfiguren in der Theaterliteratur gibt. Aber in Verbindung mit Kleist, der sich in die Idee dieses Stückes wie in einen geschützten Raum hineinbegeben konnte, um etwas zu erforschen und ausprobieren, was er selbst nicht empfinden und ausleben konnte, leuchtete mir das schnell ein."

Moritz Treuenfels spielt den Graf Wetter vom Strahl, in den Käthchen sich verliebt. "Die Frage ist, was zwei Menschen, die sich zueinander hingezogen fühlen, eigentlich daran hindert, zusammen zu sein", sagt Vincent zur Linden und verspricht "einen Abend, der vor Sehnsucht strotzt, nach Wahrheit, nach Wahrhaftigkeit, nach einer echten Begegnung."

Auch Kleist und Karoline von Günderrode, die sich in der Realität, Jahre nach ihrem fiktiven Zusammentreffen in Christa Wolfs Erzählung, jeweils das Leben nehmen sollten, treibt diese Sehnsucht an: "In ihrem Verhältnis geht es nicht um Erotik oder Romantik, sondern darum, dass sie tiefe Gedanken austauschen, die sonst unausgesprochen bleiben. Was für meine Begriffe das Intimste ist, was zwei Menschen miteinander teilen können", findet zur Linden.

Vincent zur Linden: "Ich gehe davon aus, dass Lina Beckmann gewinnen wird" 

Dass er heute Abend den "Faust" gewinnen wird, glaubt er "ehrlich gesagt nicht". Stattdessen hat er mit Blick auf die Mit-Nominierten Susanne Wolf als Ismene in "Schwester. Von" (Deutsches Theater Berlin) und Lina Beckmann als Richard III. in "Richard The Kid & The King" (Deutsches Schauspielhaus), eine klare Favoritin: "Ich gehe davon aus, dass Lina Beckmann gewinnen wird. Susanne Wolf ist ebenfalls großartig, ihr würde ich es natürlich auch gönnen, aber Lina hat ihre Figur offenbar so eindrücklich gespielt, dass man sich dem einfach nicht entziehen kann."

Groß feiern wird zur Linden nach der Verleihung in Düsseldorf nicht, da am Montag bereits die Endproben fürs Käthchen anstehen. "Im besten Falle stoße ich mit Lina und Susanne an und halte mich dann zurück, weil ich mich ja auch gut an diesen Abend erinnern möchte." Klingt vernünftig. 


Heute, Samstag, 19 Uhr, Live-Stream der Faust-Gala unter derfaust-theaterpreis.de - für die Premiere von "Das Käthchen von Heilbronn" am Donnerstag, 1. Dezember (19.30 Uhr) gibt es noch Restkarten ( Telefon 21851940). Beide Teile von "Das Vermächtnis" werden am 6. Januar gezeigt (ab 15 Uhr).

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