Münchner gewinnt Poetry Slam: Zum Glück gemenschelt

Er wippt auf den Fußballen, schwingt die Arme, reckt die Finger, wispert, ruft – nichts davon zu viel, nichts zu wenig. Er fühlt die Sätze, jedes einzelne Wort, und das Publikum merkt es, es kann sie auch fühlen. Alex Burkhard aus München hat zwei kleine, große Geschichten erzählt am Samstagabend im Volkstheater – und damit das Finale gewonnen um den bayerischer Meistertitel im Poetry Slam.
"Ich hatte einfach auch Bock heute", sagt Burkhard (28), "ich war auf’s Positivste motiviert!" Das allein reicht natürlich nicht aus für so einen Sieg, Poetry Slam ist ja ein Wettstreit der Kleinkünstler, und bei 30 Teilnehmern und Teilnehmerinnen aus ganz Bayern, die sich für den dreitägigen Slam qualifiziert haben, ist das Niveau entsprechend hoch.
Aber für Alex Burkhard – Buchautor, Lesebühnen-Leser und als Slampoet immerhin schon dreimal Münchner Stadtmeister – hat diesmal einfach alles gepasst.
Sein Repertoire ist beeindruckend: Im Halbfinale am Freitag setzte er sich durch mit dem Prosa-Stück "Gegen die Unverbindlichkeit" – einer melancholischen Anklage an das Gefühl, sich alle Möglichkeiten offenhalten zu wollen. Im Finale bekam er 46,3 von möglichen 50 Punkten (aus fünf gewerteten Jurynoten) für seine Neuauflage der Max-und-Moritz-Streiche von Wilhelm Busch in der heutigen Zeit – nur dass die sich schwertun, noch irgendjemanden zu irritieren oder moralisch zu unterbieten, denn garstig sieht’s aus in der Welt, in der sie das versuchen.
Der Themenkomplex Fremdenfeindlichkeit, Umgang mit Flüchtlingen in unserer Gesellschaft, Rassismus und Furcht zog sich durch die ganze Veranstaltung, doch nur sehr wenige der Poeten schafften es so, ihm eine neue Betrachtungsweise zu geben.
Bei Katzen oder Schwestern kommt man schon mal durcheinander
Im Stechen gegen den Vorjahressieger Yannik Sellmann aus München und Flo Langbein, der für den Revolte-Slam Erlangen antrat, reimt Burkhard wieder – eine Geschichte über seine Jugend im Allgäu und wie ihm die Musik geholfen hat, sich anderen Menschen zu öffnen. "Ich hatte drei Katzen...drei Schwestern!", slammt er und muss selbst kurz lachen, "drei Schwestern, ne Katze, zwei Eltern – man kommt schon mal durcheinander!"
Dann macht er einfach weiter, so souverän wie vorher, doch es ist etwas passiert mit dem Publikum: Es sitzt jetzt mit ihm in diesem Auto, in dem Burkhard mit seinem immer noch besten Freund Reggaemusik hört. "Da hat’s gemenschelt", sagt die Münchner Slammerin Fee später, "und alle haben gemerkt, wie ehrlich und nah das ist, obwohl er das so souverän macht."
Die drei Finalisten: Flo Langbein, Yannik Sellmann und Alex Burkhard. Foto: Matthias Hataj/BayernSlam
Der Vorjahressieger bricht seinen Finaltext nach drei Minuten ab
Ein komplettes Dreier-Finale ist es dann aber leider nicht: Flo Langbein bringt seine gereimte Ode an den Rausch und den Kater danach zwar sauber über die Bühne, doch bei Yannik Sellmann (21) hakt’s. Seinen ersten Text des Abends hat er in atemberaubender Geschwindigkeit sauber und dramatisch ohne Textblatt vorgetragen – beim zweiten, einem Stück mit dem Titel "Der Bühnenmann", bleibt er mehrmals hängen, findet nicht wieder in den Rhythmus. Und bricht seinen Auftritt nach etwas mehr als drei Minuten ab.
"Das war tragisch", sagt Alex Burkhard, "ich hatte seinen Textzettel noch hinter der Bühne liegen sehen, habe ihn nach vorne durchgereicht, aber er hat das gar nicht mehr wahrgenommen." Als die beiden Moderatoren des Abends, Carmen Wegge und Ko Bylanzky, ihn als Sieger verkünden, umarmt Burkhard als erstes Yannik Sellmann.
Was bringt dieser Sieg nun, außer Ruhm und Ehre und einer Löwen-Trophäe mit der Aufschrift "Ich habe gewonnen"? Zum Beispiel unfassbar viele Umarmungen und Glückwünsche auf der Bühne, von der Slamily – der "Slam Family". Außerdem einen Startplatz für die deutschen Meisterschaften, die im Oktober in Hannover stattfinden.
Und es gibt jetzt zwei Lesebühnen in der Stadt – "StadtLandFluss" (jeden dritten Mittwoch im Monat im Rationaltheater) und "Die Stützen der Gesellschaft" (jeden dritten Dienstag im Fraunhofer Theater) – die sich jetzt mit dem bayerischen Meister im Poetry Slam schmücken können. Und wer die besucht, der fühlt. Jedes. Einzelne. Wort.
Lesen Sie hier das AZ-Interview mit Vorjahres-Sieger Yannik Sellmann