"Lulu" von Frank Wedekind auf der Pernerinsel - die AZ-Kritik

Frank Wedekinds „Lulu“, inszeniert von der Filmregisseurin Athina Rachel Tsangari auf der Pernerinsel
Robert Braunmüller |
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Frank Wedekinds "Lulu" auf der Pernerinsel.
Monika Rittershaus 3 Frank Wedekinds "Lulu" auf der Pernerinsel.
Frank Wedekinds "Lulu" auf der Pernerinsel.
Monika Rittershaus 3 Frank Wedekinds "Lulu" auf der Pernerinsel.
Frank Wedekinds "Lulu" auf der Pernerinsel.
Monika Rittershaus 3 Frank Wedekinds "Lulu" auf der Pernerinsel.

Eine „Monstretragödie“ hat Wedekind seinen Zweiteiler genannt. Und das Monster erscheint auch gleich zu Beginn der Inszenierung von Athina Rachel Tsangari: Während sich Dr. Schöning und der Maler Schwarz über Fragen der Porträtkunst unterhalten, wälzt sich ein mehrbeiniges Irgendwas über die Bühne. Es keucht, kreucht und fleucht in einem dehnbaren Sack. Wie beim teuflischen Hund in mancher Inszenierung von Johann Wolfgang von Goethe „Faust“.

Und enthält hier des Pudels Kern? Nicht den dreiköpfigen Höllenhund Cerberus, sondern eine dreifache Lulu aus Anna Drexler, Isolda Dychauk und Ariane Labed. Sie sprechen anfangs im Chor, später solo. Und sie tragen die gleichen Bubikopfperücken oder rosa Püschelkostüme. Später rollen sie in Kugeln und hopsen zu dritt mit Bällen über Florian Lösches Bühne, über der aufgeblasene Bälle hängen.

Lulu, das verführerisch EwigWeibliche, wird auf diese Weise vom dramatischen Charakter zum Prinzip. Auch die ihr verfallenen Herren ähneln sich. Nicht zum Verwechseln wie die drei Lulus. Aber weil Rainer Bock, Steven Scharf und Maik Solbach zwei Rollen spielen, verschwimmen zusehens die Figuren. Und die schulterlangen Haare geben ihnen einen Hauch von Weiblichkeit, als spiele das biologische Geschlecht eine vergleichsweise geringe Rolle.

Ranziger Mythos

Aber was bleibt dann von Wedekinds „Lulu“ in diesem Theaterdebüt der griechischen Filmregisseurin? Die typische Ratlosigkeit aller heutigen Aufführungen des Doppeldramas. Das Weib, allein aus Natur und Geschlechtlichkeit bestehend, ist am Beginn des 21. Jahrhunderts ein ranziger Mythos. Und die bewährte Lösung, Lulu zur Projektionsfläche männlicher Wünsche zu erklären, macht die Herren leider zu Karikaturen. Denn niemand bringt sich heute mehr um, wenn er – wie der Maler – pikante Details aus dem Vorleben seiner Frau erfährt.

Tsangari hält sich an Wedekinds Sprache. Sie wird in der pausenlosen, auf zwei Stunden gekürzten Aufführung so kaltschnäuzig und leichthin komödiantisch-boulevardesk gesprochen, wie sie da steht. Das Sounddesign erlaubt es, die vielen Ungeheuerlichkeiten wie nebenhin sagen zu lassen. Rainer Bock gelingt diese Aasigkeit als Schigolch besonders gut, und seine Mitspieler stehen ihm da nur wenig nach.

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Absichtsvoll gegen den Strich besetzt ist Benny Claessens als Rodrigo Quast: Der unsportliche, nette Dicke spielt den materialistischen Athleten. Fritzi Haberlandt, bei Michael Thalheimer einst selbst eine legendäre Lulu, gibt die Gräfin Geschwitz als eisige Norn und Monument der großen, wahren Liebe.

Die Auftritte erfolgen meist streng stilisiert durch Schlitze im Teppichboden. Der aktuelle Geliebte Lulus trägt als Zeichen seiner Blindheit eine Brille. Zwischen den Akten werden als beunruhigende Ruhepunkte unruhige Augen auf die Riesenbälle projziert. Die dräuende Bühnenmusik von Mauricio Pauly erinnert ein wenig an „Twin Peaks“. Sie betont die Stimmung von Kaltschnäuzigkeit.

Lieber geleich einen Houellebecq

Im London-Bild zerbröselt die Aufführung. Das ist einerseits Absicht, weil gerade jene Textpassagen, die vom körperlichen Verfall und dem Altern handeln, hervorgehoben sind. Aber es wirkt unvorbereitet wie das Ende, das ohne Jack the Ripper auskommt: Die drei Lulus bringen sich gegenseitig um, ohne dass vorher ein Moment der Selbstzerstörung deutlich geworden wäre.

Das Publikum reagierte auf die unfertig wirkende und durch den verletzungsbedingten Ausfall von Martin Wuttke und Philipp Hauß geschwächte Aufführung eher ratlos und mit mattem Applaus. Dann schien es, als müsse das Regieteam mehr oder weniger gewaltsam auf die Bühne gezerrt werden. Dort wurden Tsangari und ihre Mitstreiter heftigen Buhs und Pfiffen empfangen.

Beim Hinausgehen lobten Einheimische die verblichene Aufführung des lokalen Landestheaters. Nein, alte voyeuristische Sehnsüchte nach Zirkus, Schaubude und einem Vamp in Strapsen werden hier nicht bedient. Die Aufführung ist formal stark. Aber wenn man vom entzauberten und der Konsumrationalität unterworfenen Sex im 21. Jahrhundert reden will, sollte man doch besser zu Houellebecq greifen und Wedekind – endlich – ruhen lassen. Denn das Stück ist auch als Steinbruch für Regiebaumaterial mittlerweile erschöpft.

Wieder am 22., 24., 25., 27. und 28. August um 19.30 Uhr auf der Pernerinsel in Hallein. Busshuttle um 18.30 Uhr ab Neutor. Infos und Restkarten unter www.salzburgfestival.at

 

 

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