"Kasimir und Karoline" von 600 Highwaymen
Das amerikanische Regieduo 600 Highwayman inszeniert "Kasimir und Karoline" im Großen Studio des Mozarteums
Die Sprache! Das ist die Heilige Kuh bei Ödön von Horváth. Und wehe, sie wird geschlachtet. Dann platzt jemandem der Kragen, wie gleich nach dem finalen Blackout der Neuinszenierung von „Kasimir und Karoline“ bei den Salzburger Festspielen im Großen Studio des Mozarteums, auf den ein heftiges Buh antwortete.
Nein, für Horváths Charakterisierung der Unterschicht durch abgegriffene Worte, Floskeln und Plattitüden interessiert sich das Regieduo 600 Highwayman nicht. Naturgemäß, möchte man auf österreichisch sagen. Nicht weil Abigail Browde und Michael Silverstone aus den USA kommen. Sondern weil sie partizipatives Theater machen: mit Studenten, Pensionisten, Theateramateuren und ein paar ausgebildeten Schauspielern, die natürlich etwas besser und deutlicher sprechen als Menschen ohne einschlägige Ausbildung.
Partizipatives Theater bei den Festspielen
Dass hier ein Klassiker als Textvorlage dient, hat einen großen Vorteil: Man muss sich nicht Privates und Biografisches anhören, das einem partizipatives Theater leicht verleiden kann. Horváths Stück aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise gibt dem heutigen Gefühl von Krise und Haltlosigkeit einen festen Rahmen. Und die Erfahrungen der Vergangenheit machen gegenwärtige Probleme ein Stück leichter.
„Kasimir und Karoline“ erzählt vom Zerfall einer Beziehung auf dem Münchner Oktoberfest. Die aufstiegswillige Karoline verlässt den arbeitslos gewordenen Chauffeur Kasimir. Weniger aus Berechnung, sondern weil sie das Gefühl hat, dass sein Pessimismus sie runterzieht. Den Schauplatz Wiesn verschweigt die Aufführung von 600 Highwayman keineswegs. Aber das Atmosphärische ist fast völlig gestrichen. Das Schaubudenpersonal fehlt.
Kasimir und Karoline werden abwechselnd von einem guten Dutzend Darsteller verkörpert, von denen jeder eine eigene Farbe einbringt, die auch ein Migrationshintergrund sein kann. Das zweite Paar Franz und Erna teilen sich vier Darsteller. Den Kommerzienrat Rauch, der sich an Karoline heranmacht, spielt allerdings immer der gleiche Herr im grünen Trachtensakko.
Verfremdetes Sprechen
Mit diesem abgestuften Rollenwechsel wirkt das Prinzip nicht beliebig, Die Darsteller setzen ihre Texte in distanzierende Anführungszeichen, indem sie beispielsweise ein „sagt Karoline“ hinzufügen. Das gibt der Aufführung eine formale Strenge, die ritualisierte Gesten und eine strenge Choreografie der Bewegungen weiter verstärken.
Auf dem leeren, von Vorhängen umgebenen Konzertpodium des Großen Studios im Mozarteum wird lange ohne Requisiten gespielt. Die erste Cola-Dose ist fast ein Schock, der einzelne Bierbecher auch. Wenn bei Horváth die große Wiesnschlägerei ausbricht, vermüllen die Darsteller die Bühne mit Papier und Herbstlaub. Das wirkt dann fast wie eine Vergewaltigung des Gevierts aus hellem Holz. Und da ist die Aufführung nah an dem, was Karoline zustößt.
Am Ende kehrt, wie bei Horváth, Ordnung ein. Die Darsteller kehren den Dreck zusammen. Man singt und tanzt. Das Leben geht weiter. Kasimir bleibt mit Erna zurück. Und dann fliegt noch einmal der Zeppelin vorbei – mit einem sehr bedrohlichen Rauschen.
Ein Update auf die Gegenwart
Es ist ein Update von Horváths Volksstück auf die Gegenwart. Dass die Sprache Horváths eine geringere Rolle spielt als seine frisch gebliebenen Figuren, mag Puristen verstören. Aber man blickt als Zuschauer auch nicht mehr auf „die da drunten“ hinab. Die Figuren bleiben auf Augenhöhe. Sie kommen wieder näher.
„Kasimir und Karoline“ ist eine unspektakulär genaue, ruhige Inszenierung. Gerade das macht sie so stark und in vielen Momenten berührend. Das Schauspiel-Programm der Salzburger Festspiele war schon immer offen. Auch partizipatives Theater hat, wenn es so gemacht wird, hier seinen Platz.