Lach- und Schießgesellschaft: Der Respekt kommt von selbst
München - Was Henri Nannen und Till Hofmann eint? Nun, zum einen dieses beneidenswerte Macher-Gen, zum anderen ein gewisser Hang zur Wundertüte. Wie eine solche sollte sein Lieblingsmagazin, der "Stern", jede Woche sein, hatte der Verleger einst gefordert, immer für eine Überraschung gut - wie Hofmann, der Tausendsassa und seit mehreren Olympiaden Gewinner zahlloser Orga- und Ideen-Wettbewerbe.
Ensemble-Kabarett: Eine vom Aussterben bedrohte Kunstform
Sein neues Baby hat jedenfalls das Zeug dazu, eine schöne Wundertüte zu werden: ein frisches Ensemble für die ehrwürdige Kabarett-Institution Lach- und Schießgesellschaft, das aus drei Menschen besteht, die auf der Bühne von Punk über Impro bis Schauspiel schon so ziemlich alles veranstaltet haben, bloß kein klassisches Kabarett (abgesehen von Sebastian Fritz' Solo "Brutal schön", von dessen Existenz man aber selbst auf der Homepage seiner Agentur nichts erfährt), für das der "Laden" in sehr vielen seiner mittlerweile 65 Jahren stand.
Ensemble-Kabarett: Was für eine gar wunderbare Kunstform das sein kann! Wenn sie bloß nicht so arg vom Aussterben bedroht wäre. Ein halbes Jahr vor Corona hatte sich das allseits und völlig zurecht gefeierte Lach- und Schieß-Ensemble, bestehend aus Claudia Jacobacci, Caroline Ebner, Frank Smilgies, Sebastian Rüger und Norbert Bürger, nach viereinhalb Jahren aufgelöst, um sich wieder mehr ihren jeweils eigenen Projekten zu widmen.
Dass diese Besetzung schwer zu toppen sein dürfte, war auch Lach- und Schieß-Chef Hofmann bewusst. Seine Idee: Lassen wir uns doch mal überraschen! Via Facebook startete er einen Aufruf: Ensemble-Mitglieder für die Lach- und Schießgesellschaft gesucht! Das ist so, als würde der Bundestrainer um Bewerbungen für die Nationalmannschaft bitten. Bitte melde dich!
Frei nach dem Motto "Expect the unexpected!"
Es meldeten sich so einige, und es wurden auch reichlich Bewerber zum Casting in die Schwabinger Kabarettzentrale eingeladen. Unter anderen: Christl Sittenauer (39), Schauspielerin, Sängerin, Moderatorin, Dozentin für Architektur und Bauphysik. Zudem: Sebastian Fritz (34), August-Everding-Absolvent, Ermittler im "Barcelona-Krimi".
Last but not least: Frank Klötgen (53), Slam-Poet, Netz-Literat, Punk-Sänger. An genau dieser vogelwilden Kombination hatte Wundertüten-Freund Hofmann Gefallen gefunden, frei nach dem Motto "Expect the unexpected!"
Entscheidung für das ungleiche Trio noch im ersten Lockdown
Sven Kemmler, der ein paar Monate später als Regisseur dazu stoßen sollte, sagte im vergangenen Sommer im AZ-Interview: "Die kommen ja aus drei völlig verschiedenen Disziplinen, was in Summe spannend ist, weil keiner vom klassischen Kabarett kommt. Gleichzeitig ist das hilfreich, weil das dann ein Feld ist, wo sie sich alle drei treffen können, sozusagen ein common ground."
Wirklich common war dieser ground lange Zeit jedoch nicht, wegen Corona. Christl Sittenauer erinnert sich noch an das Casting im März 2020: "Kann man sich überhaupt noch die Hand schütteln? Ja sowieso!" Es sollte erst mal der letzte Schüttler gewesen sein.
Die Entscheidung für das ungleiche Trio fiel noch im ersten Lockdown, der wiederum zu einem kuriosen Kennenlernen führte. Die drei kannten sich nämlich gar nicht, googelten einander, telefonierten und hatten ihr erstes Treffen vor dem Bildschirm, per Zoom - das etwas andere Beschnuppern. Über das erste Telefonat mit Sittenauer lacht sich Fritz heute noch schlapp: "Christl warf mir vor, dass ich ihr während des Telefonats keine einzige Frage gestellt habe. Aber sie wirkte auch nicht so, als ob man sie etwas fragen müsste, eher so, als könnte sie schon sehr gut selbst erzählen." Sittenauer schnaubt: "Ich frage ihn alles ab! Und er mich nix - so ein arroganter Lackel!"
Sven Kemmler: "Wir befinden uns im Land der Bauchentscheidungen"
Zur ersten Themenfindung geht man im Englischen Garten spazieren - mehr war im Lockdown I ja lange nicht drin. Nach einigen Kilometern stand die Richtung, Kemmler kam zum "Draufschauen" dazu, "so ein bisschen zur Sicherheit", sagt Fritz, "weil wir alle keine klassischen Kabarettisten sind". Sollen sie ja auch gar nicht, ebenso wenig den Vorgängern nacheifern.
"Die haben ja wirklich einen neuen Pfeiler gesetzt", sagte Kemmler, "das war ja ein Riesen-Schritt für das Ensemble-Kabarett. Jetzt heißt es sowohl 'Bloß nicht kopieren!' als auch 'Nicht ums Verrecken alles anders machen wollen!' Letztlich befinden wir uns da im Land der Bauchentscheidungen."
Zudem gelte es, mit dem immer noch hell leuchtenden Namen Lach- und Schieß-Ensemble umzugehen. Kemmler meint: "Für alle, die jemals dort waren, ist das im ersten Moment schon so: ,Puh, erst mal durchschnaufen. Jetzt bin ich also im Vatikan gelandet.' Es ist ein Prozess: die Mitte finden aus Heiligenverehrung, die ja angebracht ist, und Bilderstürmerei. Ein paar Mauern dürfen zusammengehauen werden. Der Respekt kommt eh meist von selbst, weil dieser Name einfach immer noch da ist."
"Die Decke der Zivilisation wird immer dünner"
Das Programm, das nun nach eineinhalb Jahren, zig Premierenabsagen und zahllosen Neufassungen im Garten der Seidlvilla zur Aufführung kommt, trägt den Namen "Aufgestaut" - und das nicht nur wegen Corona. Das Setting: eine Busreise. Aber: Es staut. Und wie! Man muss kein Eskalationsexperte sein, um zu wissen: Alles, was sich aufstaut, bricht sich irgendwann Bahn.
Wie heißt es so schön in der Ankündigung: "Die Decke der Zivilisation wird immer dünner." Henri Nannen hätte seine Freude an diesem Überraschungsei.
3. bis 5., 13./14. und 26./27.August, jeweils im Garten der Seidl-Villa. Karten unter Telefon 391997.
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