"Jedermann" in Salzburg: Der Abgesang aufs Patriarchat

Die Salzburger Festspiele eröffnen mit ihrem Traditionsstück "Jedermann", den Lars Eidinger heuer zum letzten Mal spielt
Georg Etscheit |
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Jedermann (Lars Eidinger) mit seiner Buhlschaft (Verena Altenberger) in der Traditionsaufführung auf dem Domplatz.
Jedermann (Lars Eidinger) mit seiner Buhlschaft (Verena Altenberger) in der Traditionsaufführung auf dem Domplatz. © SF/Matthias Horn

Kein Premierengewitter diesmal: Nach einer gefühlten Ewigkeit konnte die erste Aufführung der aktuellen Neueinstudierung des "Jedermann" bei den Salzburger Festspielen am letzten Montag endlich wieder, wie es sich gehört, auf dem Domplatz stattfinden. Laue Sommerluft umflorte das zu erheblichen Teilen festlich tätowierte Publikum, dazu wehte eine angenehm kühle Brise, die Sterne funkelten und die Fassade des Domes ragte hinter der Bühne wie eh und je auf in ihrer erhabenen, weißen Schlichtheit. Das muss schon ein mächtiger Ignorant sein, der diesem magischen Ort nichts abzugewinnen weiß.

Regisseur orientiert sich an ursprünglicher Inszenierung 

Glücklicherweise hatte der Regisseur Michael Sturminger seine aus dem Jahre 2017 stammende, fröstelnd-modernistische Hightech-Inszenierung mit Tobias Moretti als "Jedermann" vergangenes Jahr zum Dienstantritt von Lars Eidinger als Titelfigur restlos entsorgt und eine bühnentechnisch minimalistische und sehr sinnliche Version ersonnen, die sich im Äußeren eng an Max Reinhards Ursprungsinszenierung von Hugo von Hofmannsthals Dauerbrenner orientiert. Und die schaurigen "Jedermann"-Rufe von den Türmen der Stadt und der Festung Hohensalzburg, die dem Titelhelden das nahe Ende ankündigen, sind auch wieder an ihren angestammten Platz während des Festbanketts gerückt.

Vielleicht um nicht dem Verdikt restaurativer Umtriebe zu verfallen, hat Sturminger das Stück vorschriftsmäßig gegendert und die Frauenquote in vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem Zeitgeist sogar übererfüllt. Gott der Herr ist weiblich, trägt Rauschebart und erinnert bei seinem kurzen Auftritt zu Beginn an den irren Eremiten aus Monty Pythons "Das Leben des Brian", der Teufel ebenfalls feminin, wobei Mavie Hörbiger in dieser Knallchargenrolle auch dieses Jahr eher wie die Aufwartefrau der Unterwelt, nicht deren Herrscher daherkommt.

Lars Eidinger zeigt vollen Körpereinsatz

Altstar Edith Clever als Tod in einem asiatisch angehauchten Priesterornat läuft indes, was Präsenz und Diktion anbelangt, weit außer Konkurrenz und selbst dem Berliner Film- und Fernsehstar Lars Eidinger den Rang ab. Der formuliert zwar oft schlampig, zeigt aber nebst reichlich nackter Haut extremen Körpereinsatz. Nach nur zwei Spielzeiten steht er nächstes Jahr nicht mehr für die Knochenbrecher-Rolle mit Saunatemperaturen bei den Nachmittagsvorstellungen zur Verfügung.

 

Die gesamte Festgesellschaft ist genderfluid, der Mammon eine exaltierte Trümmertunte und der Glaube ein Transmensch mit Merkmalen von Jesus Christus und der schwangeren Gottesmutter. Und selbst bei der Buhlschaft, verkörpert von der Salzburgerin Verena Altenberger, wusste man zunächst nicht so recht, welches Geschlecht sie repräsentieren sollte. In diesem Jahr ist ihre anfängliche Stoppelglatze einem modischen, blonden Kurzhaarschnitt gewichen, was im Zusammenspiel mit einem roten Flattergewand nun das Pendel eindeutig Richtung Frau ausschlagen lässt.

Für nächstes Jahr braucht es eine Neubesetzung

Eidinger verkörpert in Stöckelschuhen und angedeutetem Büstenhalter den sich seiner Männlichkeit nicht mehr sicheren Typ Großstadtschluffi mit Baby auf dem Bauch, der im besten Erwerbsmannesalter der Elternzeit frönt. Er selbst sieht seine Rolle, wie er in einem ORF-Interview kundtat, als "Abgesang aufs Patriarchat". Vielleicht ist er ja der Übergang zur ersten "Jederfrau", die schon nächstes Jahr ins Haus stehen könnte, wenn das Stück abermals neu inszeniert wird und die Titelrolle neu besetzt werden muss. Oder man wagt gleich den beherzten Schritt zum Jedertrans.

Insgesamt folgt der Fortgang des "Mysterienspiels" von der Bekehrung des reichen Noch-Mannes angesichts des nahenden Todes weitgehend der Textvorlage, wobei Sturmingers Idee einleuchtend ist, den Plural der "Werke" wörtlich zu nehmen und einen ganzen Trupp Wimmelwerke auf die Bühne zu schicken.

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Ende der Vorstellung ist emotional

Der slapstickhafte Boxkampf zwischen Jedermann und seinem Schuldknecht zu Beginn wirkt ein wenig überinszeniert, dafür ist sein wortloser Abschied von der Buhlschaft in Form einer letzten Liebesnacht umso intimer. Wenn der Titelheld zum Schluss dem Tod friedlich in die Arme sinkt, erklingt zu diesem berührenden Bild einer Pietà der tröstliche Bachchoral "Komm, o Tod, du Schlafes Bruder". Wer hier einen Kloß im Hals verspürt, muss sich nicht schämen.

Domplatz, 12 Vorstellungen bis 26. August, ausverkauft, Infos zu Restkarten: salzburgfestival.at

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