Ein Gesamtkunstwerk wie Wagner es wollte

Brigitte Fassbaenders "Walküre"-Inszenierung fasziniert bei den Tiroler Festspielen in Erl.
Wolf-Dieter Peter |
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Irina Simme als Sieglinde.
Irina Simme als Sieglinde. © Xiomara Bender

Wagner - das bedeutet in vielen Theatern Überwältigung durch die Musik aus dem Orchestergraben und fulminante Aktion auf der hochtechnisierten Bühne dahinter. Im Erler Passionsspielhaus ist dieses Verhältnis umgedreht: Hinten das Orchester auf einer hohen Tribüne, durch einen Gazevorhang zu ahnen, eine breite Spielfläche, direkt vor dem Publikum, mit begrenzten technischen Möglichkeiten. Genau daraus hat die Wagner- und "Walküre"-erfahrene Brigitte Fassbaender faszinierenden Gewinn gezogen und Ovationen geerntet.

Hundings Zuhause zeigt eine spätbourgeoise Sitzgruppe in weiter Halle mit passendem Tapetenmuster, hinten begrenzt durch einen Baumstamm, aus dem ein toter Ast ragt - es ist der Schwertknauf. Sieglinde sitzt ängstlich im Gewittersturm und schaut im alten Röhrenfernseher eine Wolfs-Doku. Zum kurzen "Wonnemond" erscheinen beiden Liebenden die Wände mit hell-lila Blütenzweigen überzogen. Wotan sitzt dann inmitten von projizierten Steinquadern-Mauern am Arbeitstisch. Eine kleine Bodensenke wird zum Kabinett, in dem er angesichts seines Scheiterns zusammenbricht und von Brünnhilde liebevoll zu neuer Scheingröße aufgebaut wird. Dort liegen Siegmund und Sieglinde vor seinem Ende ein letztes Mal liebevoll beieinander, ehe Kampf, Tod und Flucht im Blackout enden.

Die weite Bühne umgrenzt mit rotem Feuerrauch

Zum "Walküren-Ritt" toben acht wilde Mädels umher und immer wieder kleine Schrägpodien vor dem Publikum hoch - "Punk" und "Gothic" enorm textverständlich hautnah. Zur finalen Abrechnung lässt Wotan einen kleinen Felssockel hochfahren: Verhandlungstisch und Schlafliege für Brünnhilde, ehe der längst alles beobachtende Loge mit großer Feuerzeugflamme eine Lösung signalisiert und die weite Bühne mit rotem Feuerrauch umgrenzt.

Doch nicht diese gelungen "kleinen" Szenerien und zeitlos heutigen Kostüme Kaspar Glarners prägen den Abend, sondern die detailreiche, mehrfach neue und immer wieder anrührende Feinzeichnung dieser exemplarischen Figuren durch Fassbaenders Personenregie. Das gipfelt nach vielen kleinen Reaktionen darin, dass Sieglinde ihr Kleidchen auszieht - und dann wirft sich ein jahrelang unterdrücktes zartes Wesen im Unterkleidchen ihrem Liebeserlöser in die Arme. So wird die oft "lange" Welt-Erzählung Wotans im 2. Aufzug zu einem vielfach intimen, oft mitleidenden "Dialog" durch das Miterleben, Nachempfinden und Kommentieren Brünnhildes. Ihre Wandlung zur vermeintlichen Retterin der Liebenden war nachvollziehbar.

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Irina Simmes zartgliedrige Sieglinde wird nicht nur vokal nach ihren überwältigenden Ausbrüchen in eine Weltkarriere führen: Brünnhilde ahnt sofort ihre Schwangerschaft und das zuvor wütende Mannsbild Wotan wagt ihren Körper beim Trauern um den toten Siegmund nicht tröstend zu berühren - und hält nur fassungslos den ermordeten Sohn in den Armen. Unter den vielfältigst gezeichneten Walküren begehrt eine wiederholt trotzig auf: Waltraute, die ja dann in der "Götterdämmerung" noch eine Wende versucht. Brünnhildes und Wotans Abschiedsringen: ein Drama auf Ibsen-Kammerspiel-Niveau wie es sonst derzeit nur ein Christof Loy mit Sängern zu inszenieren vermag. Und am Ende geben sich Wotan und Loge die Vertragshand: ein Männer-Deal… und wir ahnen, wie alles enden wird…

In Erl war dieser Schicksalsumbruch auch frappierend textverständlich und vor allem mit so viel Wagner-Piano wie seit Jahren nicht mitzuerleben. Eine Leistung auch von Erik Nielsens Dirigat, dem dann nur bis in die Mitte des 2. Aufzugs oft der klangliche Biss, das düstere Blech-Drohen und das dramatische Vorwärtsdrängen fehlte. Dennoch war der Schlussjubel einhellig: mit Simon Baileys hin- und hergerissenem Wotan, der wissend reifenden Brünnhilde Christiane Libors, die mit strahlendem "Hojotoho" Wotans Hand zur Kämpferischen Faust formte, mit Clay Hilleys bulligem Siegmund und entsprechend virilen "Wälse"-Rufen, mit Anthony Robin-Schneiders Hunding-Riesen hin zu Claire Barnett-Jones wuchtiger Fricka und alle Walküren war da ein exzellentes Ensemble versammelt - bei aller Differenzierung gelang eine Gesamtleistung, die Wagner als "Gesamtkunstwerk" anstrebte.

Festspiele Erl, wieder am 17. Juli, weitere Programmpunkte: www.tiroler-festspiele.at

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