"Heldenplatz" in den Kammerspielen: Noch lange nicht bewältigt
Als Falk Richter im Sommer 2020 Hausregisseur an den Kammerspielen wurde, hat er sich zunächst mit Berührungsängsten in Zeiten der Pandemie auseinandergesetzt: Mit "Touch" begann Barbara Mundels Intendanz, die dann gerade aufgrund der Seuche nicht so richtig in die Gänge kommen konnte.
Als zweite Regie-Arbeit hat Richter sich Thomas Bernhards letztes Stück "Heldenplatz" vorgenommen. Die Inszenierung sollte bereits im letzten Frühjahr Premiere haben, war aber dann erstmal nur ausschnitthaft als Stream zu sehen. Am Samstag wird wird Richters "Heldenplatz"-Variante endlich im Schauspielhaus gezeigt.
AZ: Herr Richter, die Uraufführung von "Heldenplatz" fand am 4. November 1988 im Wiener Burgtheater statt. Intendant Claus Peymann hatte das Stück bei Thomas Bernhard anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Hauses in Auftrag gegeben. Peymanns Inszenierung löste einen der größten Skandale in der österreichischen Theatergeschichte aus. Wobei der Skandal schon vor der Premiere los ging...
FALK RICHTER: Ja, ein Teil des Textes wurde vorab an die Presse geleakt. Die "Wochenpresse" und "Kronen Zeitung" veröffentlichten Passagen aus dem Stück, was einen Mordsaufruhr auslöste. Rufe wurden laut, dass Peymann entlassen werden soll, obwohl die Premiere noch gar nicht stattgefunden hatte. Das Stück sollte verboten werden, es gab diverse Drohungen, das Burgtheater sollte in Flammen aufgehen!

Die Premiere fand dann trotzdem statt…
… und es kam natürlich zu Tumulten im Zuschauerraum. Was damals geschah, ist sehr gut dokumentiert, wir zeigen die Filmaufnahmen auch in der Inszenierung. Zu denen, die am lautesten "Buh" gerufen haben, gehörte übrigens Heinz-Christian Strache, der damals noch ein junger Mann war und später über die Ibiza-Affäre stolpern sollte. Es waren vor allem Mitglieder der FPÖ und Teile der konservativen ÖVP, die sich von dem Stück und Peymanns Inszenierung angegriffen fühlten. Die politische Situation in Österreich war ja auch absurd: 1983 hatte die Sozialdemokratische Partei Österreichs ausgerechnet mit der rechtspopulistischen FPÖ eine Regierung gebildet. Drei Jahre später wurde diese Verbindung aufgelöst, die SPÖ bildete dann eine große Koalition mit der ÖVP.
Ehemaliger Offizier der Wehrmacht Bundespräsident
Und mit Kurt Waldheim wurde ein ehemaliger Offizier der Wehrmacht Bundespräsident.
In den Achtzigerjahren hatte der jüdische Weltkongress in New York begonnen, Waldheims Verstrickungen in diverse Säuberungsaktionen nachzuweisen - etwas, was er immer verleugnet hatte. Es kamen immer mehr Details zu Tage, die klar machten, dass Waldheim ein Kriegsverbrecher ist. In dieser aufgeladenen politischen Situation hat Thomas Bernhard dann sein Stück geschrieben.
Dabei hielt er sich typischerweise überhaupt nicht zurück und legte seinen Figuren Sätze in den Mund wie jenen, dass es jetzt in Wien mehr Nazis gäbe als 1938. Was auch heute noch Bestand hat?
Das ist heute wie damals eine literarische Setzung, die stimmt und auch nicht stimmt. Das ist eine Übertreibung von Bernhard, aber er hat nun mal versucht, etwas so pointiert auszudrücken, dass es bei den Zuschauern etwas bewirkt. Außerdem sagt er das ja nicht, sondern eine Figur in seinem Stück.

Sie selbst mussten mit Anfeindungen und gerichtlichen Klagen der AfD zurechtkommen, als sie 2015 an der Berliner Schaubühne mit "Fear" ein Stück über den heutigen Rechtspopulismus inszenierten.
Richtig, auch da musste ich bei Gerichtsverhandlungen erstmal erklären, was der Unterschied zwischen einer Figurenrede und einem journalistischen Text oder einer Rede bei einer Demonstration ist. Leute wie Gabriele Kuby oder Beatrix von Storch, die uns verklagten, meinen ja bei ihren Reden auch immer genau das, was sie sagen. Wenn ich aber als Dramatiker unterschiedliche Figuren in einem Stück gegenüberstelle und sprechen lasse, möchte ich einen Diskurs in seiner Gesamtheit abbilden. Natürlich habe ich auch eine eigene Meinung, aber die würde ich öffentlich ganz anders ausdrücken.
Bei Bernhard wird oft vermutet, dass seine Figuren auch seine Ansichten vertreten.
Ja, aber seine Stücke sind völlig überspitzt, weil sie nun mal fürs Theater geschrieben sind. Wir müssen auch bei den Proben häufig lachen, weil seine Texte diesen absolut düsteren Humor haben.
Zu den eher tragischen Einfällen des Stücks gehört, dass die Frau des verstorbenen jüdischen Professors Josef Schuster unter akustischen Halluzinationen leidet. Beide haben eine Wohnung am Heldenplatz. Sie glaubt zu hören, wie die Massen den Einzug Hitlers 1938 auf eben jenem Platz bejubeln.
Auch dazu gibt es historische Aufnahmen, die wir in der Inszenierung verwenden. Man sieht, wie ganze Menschenmengen darauf warten, dass Hitler endlich kommt, und dabei schreien: Wir wollen unseren Führer sehen! Wenn Hitler dann erscheint, ähnelt das dem Auftritt eines Pop-Stars: Alle jubeln und sind begeistert. Gerade das wollte Thomas Bernhard mit seinem Stück auch zeigen: Dass die Österreicher eben nicht nur Opfer, sondern auch Täter waren.
Skandal bei der Uraufführung
Was dann wohl auch für den Skandal bei der Uraufführung gesorgt hat.
Ja. Wir haben für die Inszenierung mit dem Dokumentarfilm-Regisseur Lion Bischof zusammengearbeitet. Er hat für uns einiges an Archivmaterial entdeckt, auch Interviews in den Straßen von Wien in den 1980ern, wo ältere Männer sagen, dass sie mit den Gräueltaten von einst überhaupt nichts zu tun haben. Das sagte übrigens auch Kurt Waldheim mehrfach: Dass die österreichischen Soldaten alle anständige Jungs waren und nur ihren Dienst geleistet hätten. Diese Lebenslüge hat Bernhard mit seinem Stück aufgedeckt, deswegen wurde er auch so stark angefeindet.
Sie führen "Heldenplatz" nun nicht in Österreich, sondern in Deutschland auf. Wobei man nicht lange nachdenken muss, wieso das Stück auch hierzulande Relevanz hat.
Ja, die Behauptung, dass wir Deutschen unsere Vergangenheit verarbeitet haben, ist doch eine ähnliche Lebenslüge. Allein dieses Wort "Vergangenheitsbewältigung" - die Vergangenheit ist ja nicht abgeschlossen, sondern es gibt offensichtlich weiterhin einige Teile in der Bevölkerung, die unglaublich empfänglich für faschistisches Gedankengut sind. Dass ich das Stück inszenieren wollte, hat vor allem mit der Frage zu tun, was denn wäre, wenn die Situation tatsächlich wieder so kippen würde, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen sich gefährdet fühlen müssen, ganz konkret auch körperlich.

Antisemitische Übergriffe gibt es ja unter anderem auch in München wieder.
Und wir müssen miterleben, wie die AfD immer stärker und einflussreicher wird. Die gesetzliche Situation in Deutschland könnte ja tatsächlich kippen, wenn die Konservativen sich mit den Neurechten zusammenschließen. Was bislang nicht oder nur in Ansätzen passiert ist. Aber es gibt auf jeden Fall Teile in der CDU, die das sogar interessant fänden oder regelrecht darauf hinarbeiten.
Selbst verfasster Akt in der dritten Szene
Sie haben vor die dritte Szene von Bernhards Stück einen selbst verfassten Akt eingeschoben, in dem Sätze fallen wie "Die CDU/CSU hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg geradezu an Nazis überfressen. Jetzt kotzt sie sie alle als sogenannte Alternative für Deutschland wieder aus". Ist es nicht vermessen, dem Klassiker Bernhard etwas Selbstgeschriebenes hinzuzufügen?
Ich weiß nicht, ob das vermessen ist. Es sollte einfach der Versuch sein, das Stück noch mehr in unser Heute zu transportieren und dabei im Stil von Bernhard zu schreiben, seinen Sound zu erwischen, diese Vehemenz, mit der seine Figuren ihre Wutreden halten. Ich habe wie gesagt gar kein Problem damit, meine Meinung zu äußern, dafür brauche ich keine Maskierung. Die Bühne erfordert aber nun mal eine andere Sprache, eine Form der Zuspitzung.
Thomas Bernhard kam einst bei der Uraufführung selbst auf die Bühne und hat die Tumulte hautnah mitbekommen. Könnte es sogar sein, dass ihm dieser "Skandal" eine gewisse Freude bereitet hat?
Das kann schon sein. Letztlich konnte er ja sagen: Schaut her, ihr seid genau der antidemokratische Pöbel, den ich in meinem Stück beschrieben habe.
Wäre es ein Erfolg für Sie, wenn sich die AfD und CDU/CSU über Ihre Inszenierung echauffieren?
Ich glaube nicht, dass wir dieses Ausmaß an Reaktionen im Theater heute noch erreichen können. Das ist auch kein Ziel von mir. Wir wollen keinen Skandal auslösen, sondern zur Diskussion anregen.
Die Premiere am Samstag, den 4. Dezember, um 19 Uhr ist ausverkauft. Restkarten evtl. an der Abendkasse.
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