"Gier unter Ulmen" im Residenztheater: Haben und Nichthaben
München - Am Ende seines Lebens möchte man nicht mit leeren Händen dastehen, das ist ganz klar, aber im Drang nach Besitz steckt auch eine zerstörerische Kraft.
In Eugene O'Neills "Gier unter Ulmen" zersprengt das Habenwollen eine sowieso schon zerfasernde Familie noch weiter in ihre Einzelteile. Das Stück, uraufgeführt 1924 in New York, spielt Mitte des 19. Jahrhunderts im ländlichen Neuengland. Die zwei älteren Söhne des Farmers Ephraim Cabot wollen die Heimat verlassen, der Goldrausch in Kalifornien lockt sie fort.
Der jüngste Sohn, Kind aus zweiter Ehe, möchte bleiben und eines Tages die Farm erben, die mit dem Geld seiner toten, im Haus noch geisterhaft präsenten Mutter aufgebaut wurde. Der Vater bringt jedoch eines Tages eine neue, junge Braut mit, die auch ein Auge auf die Farm geworfen hat.
Schon vor einem Jahr probte Evgeny Titov an dem Stück - dann kam eine Corona-Pause
Obwohl das Stück in einer bestimmten Epoche der US-Geschichte verankert ist, kann es als zeitlose Parabel über die titelgebende Gier gelesen werden, die als menschliche Antriebsfeder offenbar kein Verfallsdatum hat. Schon vor einem Jahr probte Evgeny Titov im Residenztheater an dem Stück, dann funkte ihm die Pandemie dazwischen. Jetzt findet die Premiere endlich statt, in einer Zeit, in der die Corona-Krise durch den Krieg in der Ukraine aus den Nachrichten und Köpfen verdrängt wurde.
Für Evgeny Titov, der 1980 in Kasachstan geboren wurde, kam der Einmarsch Russlands ins Nachbarland völlig überraschend: "Das hat, glaube ich, keiner für möglich gehalten. Ob man nun politisch links oder rechts stand, pro Putin, contra Putin - alle haben gedacht, dass das auf keinen Fall passieren wird."
Titov: "Das ist nicht Russlands Krieg. Russland ist nicht Putin"
Vor allem über den unabhängigen Moskauer Kanal "TV Rain" (Dozhd), dessen Videos auf Youtube abrufbar sind (und der kurz nach dem Interview, am Donnerstag, von der Staatsmacht geschlossen wurde), hat sich Evgeny Titov über den Krieg in der Ukraine informiert. "Wobei in Russland von einer 'speziellen Militäroperation' zur Verteidigung des Landes gesprochen wird. Das Wort 'Krieg' darf man ja gar nicht verwenden. Ich war übrigens sehr froh, als Bundeskanzler Scholz am letzten Samstag von 'Putins Krieg' sprach. Das ist nicht Russlands Krieg. Russland ist nicht Putin."
Titov über Putin: "Wie ein Regisseur, der kurz vor der Premiere sein Bühnenbild verbrannt hat"
Insgesamt findet Titov "toll, dass Europa so schnell und entschlossen reagiert hat. Normalerweise wird erstmal gezögert, weil es auch um wirtschaftliche Interessen geht, aber die Sanktionen kamen sofort. Putin dachte wohl, dass Europa viel länger braucht, und er hat offenbar auch den Kampfgeist der Ukrainer unterschätzt."
Ende der 1990er, noch bevor Putin Regierungschef wurde, begann Evgeny Titov ein Schauspielstudium an der Theaterakademie St. Petersburg. Der Zustand Russlands sei damals "furchtbar" gewesen: "Nichts hat funktioniert, die Wirtschaft lag am Boden. Mit Putin sollte sich dann alles ändern, er stand ja sogar für Demokratie und war in den Augen einiger zu liberal!" Über die Jahre hat sich das offensichtlich verändert. Was Putin sich nun eigentlich mit seinem Krieg in der Ukraine ausrechnet, weiß auch Evgeny Titov nicht. "Er ist wie ein Regisseur, der kurz vor der Premiere sein Bühnenbild verbrannt, die Kostüme zerrissen und sich mit allen Schauspielern zerstritten hat. Was soll da überhaupt noch gespielt werden? Dann kannst du eigentlich nur noch das Theater sprengen lassen."
Nachdem er einige Zeit als Schauspieler in Russland gearbeitet hatte, zog es Titov nach Europa. Am Max Reinhardt Seminar in Wien studierte er Regie und legte 2016 mit Gogols "Die Heirat" eine Inszenierung vor, die zum Körber Studio für Junge Regie nach Hamburg eingeladen wurde.
Weitere Werke russischer Autoren hat er seither auf deutschsprachigen Bühnen inszeniert - 2019 zum Beispiel Michail Bulgakows "Hundeherz" am Schauspielhaus Düsseldorf oder Gorkis "Sommergäste" für die Salzburger Festspiele -, aber als eine Art Kulturvermittler möchte er sich nicht verstanden wissen. "Diese Inszenierungen machen ja nur 20 Prozent meiner Regiearbeiten aus. Im Grunde ist die Auswahl der Stücke zufällig, ich verfolge da keinen konsequenten Plan."
Elementarer Grundstoff des Bühnenbilds von Duri Bischoff ist Stein
Möchte man Linien ziehen, so kann man das eher hinsichtlich seines Stils: Für seine bildmächtigen, oft düsteren Inszenierungen ist Titov bekannt geworden. Dass er sich der Regie zuwandte, hatte unter anderem damit zu tun, dass er bereits als Schauspielstudent beim Lesen der Stücke immer wieder auch eigene inszenatorische Einfälle hatte.
Seine Inszenierung von "Gier unter Ulmen" sei nun "ganz anders: reduziert, pur, streng. Eugene O'Neill erzählt eine Geschichte, die brutal, krass, erschütternd ist, aber auch poetisch, ein dunkles Gedicht". Elementarer Grundstoff des Bühnenbilds von Duri Bischoff ist dabei Stein. Von Steinmauern ist auch in O'Neills Stück immer wieder die Rede, der alte Ephraim Cabot spricht zudem von der Härte Gottes.
Titov: "Dieser Begriff des 'alten weißen Mannes' ist wahnsinnig verallgemeinernd"
Den Härten menschlichen Daseins weicht Titov in seinen Inszenierungen nicht aus und fahndet in den alten Stücken nach heutigen Abgründen. Zuletzt brachte er am Hessischen Staatstheater Wiesbaden "Der Vater" von August Strindberg auf die Bühne; ein Werk, das als reaktionär und misogyn gilt und daher selten gespielt wird. Strindberg erzählt von einer Frau, die mit ihrem Mann über die Zukunft ihrer Tochter streitet und boshaft bei ihm den Verdacht streut, dass er gar nicht der Vater des Kindes sei. Die weibliche Intrige zerrüttet seine Nerven, bis er am Ende an einem Schlaganfall stirbt.
In Titovs Inszenierung wird der Vater am Ende kastriert. Und damit das Patriarchat genüsslich zerstört? "Ich wollte dieses Stück als Anlass für eine Polemik nehmen, die sich an alle richtet. Dieser Begriff des 'alten weißen Mannes' ist doch wahnsinnig verallgemeinernd. Und letztlich ist doch beides schlecht, sowohl das dominante patriarchale Verhalten als auch die Ansage: Haltet die Klappe, wir canceln euch jetzt!"
Auch in "Gier unter Ulmen" wird die Macht von Ephraim Cabot, gespielt von Oliver Stokowski, allmählich untergraben, nicht nur von seinen Kindern. Abbie (Pia Händler), seine neue Braut, möchte zunächst die Farm erben, geht dann mit seinem jüngsten Sohn heimlich eine Liaison ein. Und verliebt sich?
Titov erkennt in O'Neills Stück eine tiefgehende Parabel über das menschliche Wesen
"Ich glaube nicht, dass jemand in diesem Stück aufrichtig Liebe empfindet. Die sagen Sätze wie ,Ich liebe dich', wollen aber letztlich nur den anderen besitzen." Titov erkennt in O'Neills Stück eine tiefgehende Parabel über das menschliche Wesen: "Die Tragödie spielt sich hier auf einer elementaren Ebene ab, die man nicht auf ,männliches' oder ,weibliches' Verhalten reduzieren kann. Sondern es kommt etwas essentiell Menschliches ans Licht: grundlegende, dunkle Gefühle und Bedürfnisse wie Neid, Gier, Begierde. Das hat eine Wucht, eine Archaik, die ich sehr spannend und ergreifend finde."
Während der Proben hatte Evgeny Titov eine Legende über Alexander den Großen im Hinterkopf. Der zu Lebzeiten unermüdliche Eroberer soll sich kurz vor seinem Tod einen Sarg mit zwei Löchern gewünscht haben, damit seine beiden leeren Hände herausragen könnten. "Er wollte damit zeigen: Letztlich kannst du nichts mitnehmen, es kann dir nichts gehören", erzählt Titov. "Je mehr du im Leben etwas haben willst, desto mehr zerrinnt dir alles und am Ende liegst du da, alleine, mit Nichts."
Für die Premiere am heutigen Samstag, 19.30 Uhr, gibt es noch wenige Karten. Reservierung unter www.residenztheater.de oder Telefon 089-2185 1940