Figurentheaterfestival wunder.: Höhenflüge der Fantasie
Dass leblosen Dingen Leben eingehaucht wird - das ist beim Internationalen Figurentheaterfestival wunder. ein Phänomen, das man als Zuschauer natürlich in praktisch allen Produktionen erleben darf. Wie Javier Aranda diese Animationskunst in seinem Stück "Vida" vollzieht, ist aber besonders anschaulich, wobei der gut gelaunte Spanier sogar im Nu noch ein paar Lebensjahre vergehen lässt.
Einen Luftballon bläst Aranda auf, bis dieser prall mit seinem Atem gefüllt ist. Dann hebt er den Ballon an eine zusammengesunkene Handpuppe, und während er die Luft entweichen lässt, lässt er gleichzeitig die Puppe zu voller Größe aufsteigen. Schwupps ist aus dem Kind ein quicklebendiger Teenager geworden, dem Aranda nicht nur seinen Atem schenkt, sondern auch eine dunkle, brüske Kauderwelsch-Stimme verleiht. Klar, die Pubertät ist angebrochen, für die Eltern keine spaßige Sache.
Aranda kann virtuos mit zwei Händen zwei Puppen zum Leben erwecken
Die Geschichte seiner Mutter erzählt Aranda in "Vida" (Leben), als Näherin hat sie gearbeitet, ihr altes Nähkörbchen ist ein Hauptrequisit der einstündigen Performance, die im Instituto Cervantes gastierte. Aus dem Körbchen holt Aranda so einiges heraus, seine Handpuppen zum Beispiel, ihre Haare strähnig und struwwelig, als ob für ihre Herstellung der ein oder andere Wischmopp dran glauben musste. Die Gesichter sind holzartig, die Nasen gnubblig, die Augen liegen tief. Es sind im Grunde Halbmasken, die Aranda mit zwei, drei Fingern hält. Die freibleibenden Finger bilden die unteren Gesichtshälften, bewegen sich als Münder, oder sie können ganze Unterkörper darstellen. Das männliche Handpuppen-Kind darf da auch mal über den dritten Finger staunen, der zwischen seinen Fingerbeinen baumelt.
Javier Aranda kann virtuos mit zwei Händen zwei Puppen zum Leben erwecken und in Kontakt bringen. Frau und Mann begegnen sich, spielen Theater, sind Clowns, haben Sex, was dank des Korbes vor neugierigen (Kinder-)Augen verborgen werden kann (auch wenn Aranda dazu sehr eindeutig stöhnt). Schnell hat die Frau einen Schwangerschaftsbauch, mächtig wölbt er sich unter ihrem Kinn und entpuppt sich auf den zweiten Blick als das nackte Knie des Puppenspielers. Solche Einfälle hat Aranda en masse; "Vida" ist eine originelle Figurentheater-Variante in Sachen (auto)biografisches Erzählen.
Klare Worte braucht es nicht. Ein bisschen Stimmgequietsche, tolles Handpuppenspiel und ein paar Requisiten reichen aus, um ein paar grundlegende Dinge des Lebens vor Augen zu führen. Mit einem Luftballon schwebt der Sohn davon, es ist wohl ein Abschied von den Eltern, ein Fliegen in die nächste Lebensphase.
Am Ende fliegt eine Puppe durch die Luft
Ähnlich wie Javier Aranda lässt auch Tibo Gebert auf der Bühne des HochX eine Puppe am Ende durch die Luft fliegen. Es ist eine lebensgroße Kinderpuppe, so strohblond wie er selbst, was darauf schließen lässt, dass sie ein junges Alter Ego darstellt. In diesen letzten, dank Gebert schwerelosen Momenten trägt sie ein dunkles Superhelden-Cape und eine Maske mit spitzen Ohren, was stark nach Batman aussieht - dem wohl gebrochensten aller Helden, Bestandteil mancher Kinder- und Jugendzimmer.

"Hero" heißt die Performance der Numen Company, die der in Berlin und dem französischen Charleville-Mézières ausgebildete Puppenspieler Gebert im Jahr 2013 gründete. Laut Programmheft beleuchtet er in "Hero" seine eigene queere Biografie, was sich bei alleinigem Anschauen der Performance nicht unbedingt erschließt. Vielmehr sieht man in stimmungsvollen Bildern, in langsam-eindringlichem Tempo und schlaglichtartigen, mit atmosphärischer Musik untermalten Szenen die Annäherung des dunkel gekleideten Puppenspielers Gebert an die von ihm gebaute Kinderpuppe.
Es ist ein Spiel mit Licht und Schatten; gleich zu Beginn werden die Umrisse des Künstlers in die Schärfe gebracht. Und es ist ein Spiel aus Distanz und Nähe, bei dem es ganz einfache, stille Momente der (gegenseitigen) Betrachtung gibt. Die Bewegungsmöglichkeiten der Puppe testet Gebert mitunter aus, mittels seiner Animation macht sie Fitness-Übungen, Klimmzüge, wischt sich den Schweiß von der Stirn. Vielleicht soll gezeigt werden, wie der blonde Junge sich dem üblichen Muskeltraining - wie man es von Jungs erwartet - unterwerfen musste. Vielleicht geht es auch vor allem darum, dass Gebert sich mittels der Puppe im Nachhinein mit sich, seinem Körper, seiner Psyche auseinandersetzt, mit den Maskierungen, die gegenüber einer - hier völlig ausgeblendeten - Umwelt notwendig erschienen.
Das Ende könnte man vielleicht als einen Moment der Befreiung deuten. Was einst womöglich ein Kindertraum war, kann nun auf der Bühne auf gewisse Weise verwirklicht werden. Die Puppe kann fliegen. Wie lebensecht sie wirkt, sowohl, wenn sie Tibo Gebert in Bewegung bringt, als auch, wenn sie einfach nur zwischen Licht und Schatten gut positioniert dasitzt, ist gleichermaßen beeindruckend wie unheimlich. Ein Bild der Einsamkeit entsteht, aber im Theater, gerade beim Applaus löst es sich auf.
Figurentheaterfestival wunder., noch bis zum 8. November; Programm unter www.wunderpunktfestival.de
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