"Dracula" im Deutschen Theater: Die Attraktion des Bisses
Lustvoll schleckt der Herr Graf das Rasiermesser ab, mit dem sich sein Gast gerade geschnitten hat. Das ist einer der wenigen Momente des mehr als zweieinhalbstündigen Abends, in denen sich die Inszenierung von Alex Balga mit dem guten alten Vampir-Grusel ein wenig Spaß gönnt.
Der Scherz fehlt
Natürlich wird in dem Musical "Dracula" nach dem 1897 erschienenen Horrorklassiker von Bram Stoker auch viel und auch sehr mitreißend getanzt, aber der übermütige Scherz, den Roman Polanski in "Tanz der Vampire" trieb, fehlt in der pünktlich zur Halloween-Saison im Deutschen Theater angekommenen Produktion.
Dafür wird von der erotischen Macht der Untoten über die Lebenden erzählt, wenn auch im Rahmen züchtiger Jugendfreiheit. Die drei Geschöpfe der Nacht, mit denen sich Graf Nosferatu in seinem transsilvanischen Spukschloss umgibt, könnten allerdings auch bei Frank'n'Furter aus der "Rocky Horror Show" ausgeliehen sein. Der Rechtsanwalt Jonathan Harper (Philip Schwarz), der ein Immobilien-Deal in London für den rumänischen Adligen abwickeln soll, erliegt den Reizen gerne, wenn auch jäh unterbrochen vom erzürnten Hausherrn.
Der Vampir wickelt alle um den Finger
Der verliebt sich indes buchstäblich unsterblich in Harpers Verlobte Mina, nach dem er ihr Porträt gesehen hat. Thomas Borchert spielt und singt den nachtaktiven Zombie bei bester Gesundheit und mit viel Testosteron im knappen Blut. Als Nosferatu in London eintrifft, gehört Minas beste Freundin Lucy (Valerie Luksch) zu seinen ersten Opfern.
Doch auch Mina (Roberta Valentini) kann dem Werben des Vampirs nicht widerstehen. Zwischen hochemotionalen Songs wie "Die Verführung" und dem finalen "Es gibt immer ein Morgen" entfaltet sich eine dramatische Liebesgeschichte nach dem Schöne-und-Biest-Muster.
Die Musik des 2001 im kalifornischen San Diego uraufgeführten Werks schrieb Frank Wildhorn als Hybrid aus kratzbürstigem E-Gitarrenrock und wohlklingend breiter Symphonik. Naheliegende Zutaten aus Klängen der viktorianischen Zeit oder Karpaten-Folklore hat sich der Komponist verkniffen. Doch Nummern, die als Ohrwürmer haften bleiben, gibt es auch nicht. Das 17-köpfige Orchester unter Leitung von Andreas Kowalewitz, einst ein Kapellmeister am Gärtnerplatz, treibt das Geschehen energisch voran.
Lichtdesign unterstützt Ortswechsel
Das passt zum enormen Tempo, das Balgas Inszenierung vorlegt. Selbst die Verführungsszene zwischen Nosferatu und Mina steht unter Zeitdruck. Intimität braucht die Beziehung zwischen ihnen freilich nicht, denn sie sind von nun an telepathisch miteinander verbunden.
Die vielen Schauplätze wie Vampirschloss, Irrenanstalt, Friedhof oder großbürgerlicher Salon finden im Einheitsbühnenbild von Sam Madwar statt, das vor allem durch Michael Gruners Lichtdesign stimmungsvoll umdekoriert wird.
Trotz mancher Schwächen bleibt am Ende eine durchaus spannend und effektsicher ausgebreitete Story von einer Liebe gegen alle Widerstände. Der mit Kruzifix und Hostien bewaffnete Vampirjäger van Helsing (Patrick Stanke) wirkt dabei furchterregender als das Monster. Dem Professor gehört auch die schönste Liedzeile der Show, wenn er sich vor der ultimativen Begegnung mit dem Bösen in Kampflaune singt: "Die Biene stirbt, wenn sie sticht, aber Nosferatu nicht!"
Deutsches Theater, Schwanthalerstraße 13, noch bis 31. November, dienstags bis freitags, 19.30 Uhr, samstags auch 15 Uhr, sonntags 14.30 Uhr, 089/ 55 23 4444