Figurentheater: Puppen dürfen küssen
München - Freud und Leid können selbst in einem einzigen Wort nahe beieinanderliegen. Fügt man ein Satzzeichen hinzu, wird sogar ein Wortspiel daraus. So trägt das Internationale Figurentheaterfestival, das alle zwei Jahre in München stattfindet, jetzt den Namen "Wunder."
Festival trotz Corona-Pandemie
Tatsächlich ist es ein Wunder, dass es das Festival trotz der Corona-Pandemie heuer gibt. Aber auch der Begriff "wunder Punkt" steckt ja in diesem Titel, was man auf die verschärften Spielbedingungen beziehen kann. Mehr als 30 Personen sind pro Vorstellung selten erlaubt, weil das Festival eher in intimen Räumen stattfindet: im Münchner Stadtmuseum, in der Schauburg, im HochX, im Giesinger Bahnhof oder in der Pasinger Fabrik.
Größere Räume anzumieten, kam nicht in Frage, meint Festival-Leiterin Mascha Erbelding. "Figurentheater spielt sich nun mal bewusst in kleineren Räumen ab, weil die Figuren selbst oft klein sind und sich ein Sichtproblem ergibt, wenn die Leute weiter von der Bühne wegsitzen. Und mit Online-Übertragungen wollten wir nicht arbeiten, weil das Spiel gerade von der physischen Präsenz der Spieler und ihrer Figuren, der Magie, die sich dabei ergibt, lebt."
30 Produktionen aus unterschiedlichen Ländern
Gemeinsam mit Schauburg-Intendantin Andrea Gronemeyer sowie Conny Beckstein und Marion Schäfer vom Verein Kultur und Spielraum hat Erbelding ein Programm zusammengestellt, das durch seine Breite und Vielfalt besticht: Über 30 Produktionen sind auf dem Festival bis zum 1. November zu sehen, darunter sind auch Arbeiten aus Tschechien, Slowenien, Frankreich, Israel oder der Schweiz zu finden."
Gute Nerven mussten Erbelding und ihre Mitstreiterinnen bereits im März diesen Jahres bewahren: Das Festivalprogramm stand komplett fest mit einem Budget von 185.000 Euro, weil die Stadt diese Ausgabe mit 90.000 Euro bezuschusste. Dann kam aber die Pandemie und alles stand auf der Kippe.
"Wir haben dann erstmal eine Pause eingelegt und überlegten gemeinsam mit dem Kulturreferat, ob wir das Festival überhaupt stattfinden lassen sollen. Letztlich war es uns aber allen wichtig, dem Publikum etwas zu bieten und den Künstlerinnen und Künstlern die Stange zu halten. Wir haben dann unser Konzept leicht verändert, haben verstärkt auf Co-Produktionen gesetzt und nach Produktionen gesucht, die unter den neuen Gegebenheiten möglichst stattfinden können."
Neu erarbeitete Produktionen auf der Bühne
Teilweise stehen nun Gruppen, die vor dem Ausbruch der Pandemie eingeladen waren, mit anderen, teils neu erarbeiteten Produktionen auf der Bühne.
Das Ensemble Materialtheater aus Stuttgart präsentiert beispielsweise unter dem Titel "Im Notfall nicht die Scheibe einschlagen!" eine Performance, bei der einige Mitglieder der Truppe sich in Glaskästen mit dem Thema soziale Distanz auseinandersetzen (Freitag, 30. Oktober, 18 und 21 Uhr im HochX).
Oder die Truppe United Puppets aus Berlin lässt ihn dem Online-Theaterstück "Weil heute mein Geburtstag ist…" eine Schildkröte ihr neues Lebensjahr auf Zoom begehen - Kinder ab 4 Jahren und Erwachsene können an den Bildschirmen mitfeiern (Sonntag, 1. November, 15 Uhr, Karten über www.wunderpunktfestival.de).
Materialen von Wachs bis Papier
Vor allem aber lädt das Festival zur physischen Ko-Präsenz von Publikum, Künstlerinnen und, eben, den Figuren und Objekten im Theater ein. Materialien wie Wachs kommen dabei zum Einsatz ("Wa-xen" im HochX, am 22. und 23. Oktober, 20 Uhr) und immer wieder Papier. Das geht schon bei der Eröffnung los: In "Geschichtenverwirrung" nehmen sich Martin Ellrodt und Johannes Volkmann aus Nürnberg den Turmbau zu Babel vor und erörtern in einem Mix aus Erzähl- und Papierkunst die Frage nach der Wahrheit von Geschichten (Samstag, 14 und 17 Uhr, Sebastiansplatz, bei schlechtem Wetter im Münchner Stadtmuseum).
Zudem kooperiert das Figurentheaterfestival in diesem Jahr noch enger mit dem Münchner Papiertheaterfestival, das vom 22. bis 25. Oktober im Bürgerpark Oberföhring stattfindet.
Theaterstück zu Halloween
Einen roten Faden im Programm erkennt Erbelding gerade im Zusammenspiel von wunden Punkten - und Wundern: "Wir haben einige Inszenierungen, die sich mit dem Tod oder mit Zwischenzuständen zwischen Leben und Tod auseinandersetzen. Das Théâtre de l'Entrouver aus Frankreich lädt zum Beispiel in "Traversées" zu einer Reise in eine Geisterwelt ein, auf der Schwelle zwischen unserer Realität und einem wunderbaren Jenseits (Sa, 24. Oktober, 19 und 21 Uhr; So, 25. Oktober, 18.30 und 20.30 Uhr, Innenhof des Münchner Stadtmuseums; bei schlechtem Wetter im HochX).
Oder wir haben mit "Happy Bones" vom tschechischen Teatro Matita ein regelrechtes Halloween-Stück (Sonntag 1. November, 19.30 Uhr, Innenhof des Münchner Stadtmuseums, bei schlechtem Wetter im Saal). Darin wird dem die Animation einer Handpuppe durch den Spieler thematisiert: Ein Stoff-Panda merkt, dass er eine Hand im Hintern hat und möchte die loswerden. Was ihm auch gelingt, aber das bedeutet eben auch seinen Tod."
Die Puppen küssen und umarmen sich - ohne Angst vor einem Virus
Bei solistischen Abenden wie den "Happy Bones", mit denen das Festival am 1. November endet, spielt Corona von vorneherein keine Rolle. Und die Puppen können sich berühren, umarmen, küssen, schlagen, ohne dass über ihnen die Gefahr einer Virus-Übertragung schwebt. "Ansonsten sind die Gruppen sowieso in der Regel klein und arbeiten im Atelier so eng zusammen, dass sie schon kleine, enge Gemeinschaften bilden. Wobei einige zwischendurch auch Masken tragen.
In vielen Fällen sind die Spieler auch Lebenspartner oder Familienmitglieder wie beim Théâtre de Movement: In "Aeterna" (Mittwoch, 21. Oktober, 19 Uhr; Donnerstag, 22. Oktober, 10 und 16 Uhr, Schauburg) spielen Mutter und Tochter zusammen, die Mutter ist Puppenspielern, die Tochter Musikerin und Tänzerin, weshalb es dann auch eine musikalisch-tänzerische Performance ganz ohne Worte wird. Dabei geht es genau um das Verhältnis von Müttern und Töchtern, von der Geburt bis hin zum Tod."
16 Meter hohe Puppe
Während die Puppen meistens kleiner als ihre Erbauer sind, gibt es doch eine große Ausnahme: "Punch Agathe" ist eine 16 Meter hohe Puppe, die mitsamt ihrer acht Meter langen "Money Mouse" vielleicht sogar den Marienplatz besuchen wird: "Wir freuen uns sehr über die Genehmigung von der Stadt, die wir schließlich bekommen haben. Geplant ist, dass Punch Agathe am Montag erstmal am Stachus, am Dienstag dann im Innenhof des Münchner Stadtmuseums und am Mittwoch auf dem Marienplatz auftaucht," sagt Mascha Erbelding. "Punch Agathe wird ihre Money Mouse dann hoffentlich zum Shoppen schicken und das Geschenk Frau Habenschaden auf dem Balkon des Rathauses überreichen."
"Wunder": Internationales Figurentheaterfestival, Stadtmuseum, Schauburg, HochX, Giesinger Bahnhof, Pasinger Fabrik. www.figurentheater-gfp.de
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