Corona-Regelungen zwingen Kleinkünstler zum Umdenken
München - Dornröschen freut sich schon auf den Kuss. Sagt jedenfalls Marc Linsenmeier. Der ist Vorstand des Rudolf-Steiner-Schulvereins in Schwabing und zuständig für das Leo 17. Leo 17? Hier kommt Dornröschen ins Spiel: Das Leo 17 hieß früher "Theater in der Leopoldstraße".
Das Leo 17 bietet Platz für 500 Zuschauer
Ursula Herking, Lach- und Schieß-Ensemblemitglied der ersten Tage, gastierte hier in den Sechzigern ebenso wie Werner Finck und Dieter Hildebrandt. Seit 60 Jahren finden auf der anderen Straßenseite des "Walking Man" sage und schreibe 500 Zuschauer Platz - was den frisch dunkelrot gestrichenen Saal, der ohne rechten Winkel auskommt (Anthroposophie!), in den vom Dämon Abstand geprägten Pandemiezeiten noch attraktiver macht.
Zum Beispiel für heftig kämpfende Kleinkunstveranstalter wie Till Hofmann, der in sein Lustspielhaus coronabedingt statt 260 nur 80 Leute reinbekommt. Oder in die Lach- und Schießgesellschaft statt 110 nur 34. Da braucht man keinen Taschenrechner, um festzustellen, dass der Spaß da ganz schnell ein teures Loch hat.
"Eulenspiegel Flying Circus" gastiert im Leo 17
Schon vor vier, fünf Jahren ist Hofmann hier mal vom Rad gestiegen und hatte sich nach dem großen Saal erkundigt. Was damals aus terminlichen Gründen nicht klappte, findet nun zusammen: Von 3. November an wird der in 150 Freiluftveranstaltungen erprobte "Eulenspiegel Flying Circus" im Leo 17 Kabarettabende und Unplugged-Konzerte gestalten. Die Branchengrößen Hader, Dorfer und Zimmerschied haben schon ihr Kommen zugesagt, und auch das neue Ensemble der Lach- und Schießgesellschaft wird am 21. November hier seine Premiere feiern.
Und das vor immerhin bis zu 160 Zuschauern. Im Wirtschafts-Teil würde man wohl von einer Win-win-Situation schreiben. Marc Linsenmeier formuliert es so: "Für uns ist diese langfristige Kooperation eine Riesen-Geschichte. Das Leo 17 darf sich ruhig stärker etablieren in der Stadt. Ich bin froh, dass es jetzt ein Münchner Theater wird."
Schwabing Institution unbekannt bei Münchner Theatergänger
In der Tat hat der gemeine Münchner Theatergänger diese Schwabinger Institution schon seit Jahrzehnten nicht mehr auf dem Schirm gehabt. Max Uthoff, der wie die Kollegen Luise Kinseher, Maxi Schafroth sowie Hans Meilhamer und Claudia Schlenger zur Verkündung der Frohen Botschaft in die neue Spielstätte gekommen ist, erinnert sich: "Hier habe ich vor 46 Jahren das ,Gespenst von Canterville' gesehen."
Tempi passati. Heute stehen andere Stücke auf dem Programm: "Herr der Diebe", nach dem Roman von Cornelia Funke hatte gerade Premiere. Auf der Bühne stehen dabei Achtklässler der Rudolf-Steiner-Schule.
Das Theaterspiel ist ein grundlegender Baustein der Waldorf-Pädagogik: "Wie kein anderes Schul-Projekt schult das Klassenspiel in vielen Bereichen durch effiziente Organisation von Rollenkenntnis, Kostümen, Kulissen, Requisiten, Plakat, Programmheft, Pressemitteilung und Zeit", heißt es auf der Theater-Website, "viele Tugenden wie Umsicht, Verantwortung, Verbindlichkeit, Vorausschau kommen dabei zum Tragen."
Hofmann beschäftigt sich seit Corona mir Erschließung neuer Räume
Zwar sei das Theater zu 60 bis 70 Prozent ausgelastet, sagt Linsenmeier, jedoch meist nur tagsüber: "Pro Jahr haben wir 60 bis 80 Abendveranstaltungen." Da bleiben genügend Abende übrig für einen Veranstalter wie Till Hofmann. Seit Corona ist der noch intensiver mit der Erschließung neuer Räume befasst: Deutsches Museum, Seidlvilla undundund.
Kommt er jedoch auf die Spielstättenförderung der Staatsregierung zu sprechen, bekommt er lange Zähne: "Die landet bei der Brauerei - die aber weiterhin die volle Pacht verlangt! Da stimmt was nicht." Ihm schwebt die Gründung einer Kulturgenossenschaft vor, vergleichbar der Sozialgenossenschaft im Bellevue di Monaco. Hofmann sagt: "Dieser Genossenschaftsgedanke nervt schon manchmal, aber der ist gut."
Luise Kinseher: "Geschichten von zerstörten Existenzen mehren sich"
Luise Kinseher weist auf die dramatische Situation vieler Künstler hin: "Es mehren sich die Geschichten von zerstörten Existenzen. Wir müssen unfassbar solidarisch sein." Max Uthoff macht sich wenig Illusionen: "Der Mietzins ist ja anscheinend unantastbar." Falle in München jedoch die Kultur weg, sei es mit der Attraktivität der Stadt auch nicht mehr weit her, so Uthoff: "Ich fürchte, dass viele Politiker nicht wissen, wie wertvoll das ist, was wir machen."