Interview

"Figaro"-Neuinszenierung in München sorgt schon vor der Premiere für Protest

Evgeny Titov spricht in der AZ über seine Inszenierung von Mozarts "Le nozze di Figaro" an der Bayerischen Staatsoper in München.
Marco Frei |
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Konstantin Krimmel (Figaro, l.) und Huw Montague Rendall (Graf) und der ominöse Luststuhl in Evegny Titovs Mozart-Inszenierung im Nationaltheater.
Konstantin Krimmel (Figaro, l.) und Huw Montague Rendall (Graf) und der ominöse Luststuhl in Evegny Titovs Mozart-Inszenierung im Nationaltheater. © Wilfried Hösl

In München debütierte er bereits im März 2022 mit Eugene O'Neills "Gier unter Ulmen" am Residenztheater. Nun inszeniert Evgeny Titov im Nationaltheater Mozarts "Le nozze di Figaro" neu: mit Huw Montague Rendall (Graf), Elsa Dreisig (Gräfin), Louise Alder (Susanna) und Konstantin Krimmel (Figaro). Stefano Montanari dirigiert. Die Facebook-Seite "Against Modern Opera Productions" rief Anfang Oktober zum Boykott auf: wegen "Sadomaso-Elementen". Nach einem Statement von Titov wurde der Eintrag allerdings gelöscht.

Evgeny Titov stammt aus Kasachstan. Er studierte an der Theaterakademie St. Petersburg, war Schauspieler und wechselte für ein Regiestudium an das Wiener Reinhardt-Seminar. 2019 inszenierte er Gorkis "Sommergäste" bei den Salzburger Festspielen, 2020 folgte in Wiesbaden eine erste Opernregie.
Evgeny Titov stammt aus Kasachstan. Er studierte an der Theaterakademie St. Petersburg, war Schauspieler und wechselte für ein Regiestudium an das Wiener Reinhardt-Seminar. 2019 inszenierte er Gorkis "Sommergäste" bei den Salzburger Festspielen, 2020 folgte in Wiesbaden eine erste Opernregie. © Thomas Rabsch

AZ: Herr Titov, was halten Sie von solchen Boykott-Aufrufen?
EVGENY TITOV: Ich bin sehr froh, dass ich Russland verlassen habe und in Deutschland wohne. Wir leben hier in einem freien Land. Es ist toll, dass sich die Menschen frei ausdrücken dürfen, dass man verschiedene Meinungen und Geschmäcker haben darf. Mich stimmt nur eines bedenklich: Die Proben sollten ein geschützter Raum sein, in dem Künstler sich öffnen, Risiken eingehen und üben können, bevor es zu einer Aufführung und Beurteilung durch das Publikum kommt.

Evgeny Titov: "Es geht um die universell gültige Frage, was unumschränkte Macht aus Menschen macht"

Gibt es denn "Sadomaso-Elemente" in Ihrem "Figaro"?
Nein, und selbst wenn es welche gäbe – was ist denn schlimmer? Ein Mann, der seine Machtposition ausnutzt, um Frauen zu missbrauchen, oder irgendwelche möglichen "Sadomaso-Elemente" in einer Regie? Der Fokus sollte nicht sein, ob der Graf seine Vorstellungen von sexueller Lust und Spaß in lupenreiner Missionarsstellung vollzieht oder etwas ausgefallener. Sein Handeln ist menschenverachtend. Das sollte im Mittelpunkt stehen.

Elsa Dreisig (Gräfin) und Avery Amereau (Cherubino).
Elsa Dreisig (Gräfin) und Avery Amereau (Cherubino). © Wilfried Hösl

Bei der Premierenmatinee haben Sie gesagt, dass für Sie im "Figaro" Macht und Machtspiele im Fokus stünden. Da würden doch "Sadomaso-Elemente" als visuelle Assoziation passen, oder?
Es geht um die bis heute universell gültige Frage, was unumschränkte Macht aus den Menschen macht, sowohl aus den Herrschenden als auch aus den Unterdrückten. Bevor sich die Leute über irgendetwas vor der Premiere aufregen und gleich das ganze Operngenre retten wollen: Es ist überhaupt nicht wichtig, ob der Graf eine Lederhose trägt oder nicht, sondern welche Geschichte wir mit dem gesamten Ensemble erzählen. Es ist kein radikaler Angriff auf die Oper. Wer dies bei unserem "Figaro" erwartet, wird enttäuscht werden.

"Le nozze di Figaro" in München: "Für ein gutes Ergebnis muss man offen und flexibel sein und sich selbst infrage stellen"

Sondern?
Dieser "Figaro" wird witzig sein, auch pikant im französischen Sinn. Alles bleibt ganz im Geiste Mozarts. Dass der Graf auffallende Kleidung trägt, Masken vorkommen oder Figaro einen Lustsessel des Grafen entdeckt, das ist kaum der Rede wert.

Aus der Sitzfläche sollen laut Gerüchten Dildos ragen. Stimmt das?
Es ist nie ein guter Rat, seine Meinung auf Gerüchten aufzubauen. Jeder kann sich nach der Premiere seine Meinung dazu bilden.

Noch einmal der Luststuhl.
Noch einmal der Luststuhl. © Wilfried Hösl

In Salzburg hat im Sommer Ihr einstiger Lehrmeister Martin Kušej den "Figaro" inszeniert – mit wenig Erfolg. Warum scheitern so viele Regisseure an dieser Oper?
Es ist generell schwierig, gutes Theater zu machen. Man muss offen und flexibel sein, sich selbst und die Tradition immer infrage stellen, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Vielleicht nimmt manch einer die Geschichte von "Figaro" nicht so ernst, weil man meint, dass sie ohnehin bestens bekannt sei. Was aber an diesem einen Tag alles an Wahnsinn passiert, das sollte die Regie aufzeigen und sich dem im guten Sinn beugen. Das Stück verlangt nach einer unglaublich dynamischen Plastizität, um die Situationen präzise auf- und abzubauen. Es ist wie bei einer Matrjoschka: Man öffnet sie, und es geht immer weiter. Es darf und soll nicht aufhören. Wenn das nicht passiert, bleibt es langweilig.

Haben Sie das zugleich für sich selber vom "Figaro" gelernt?
Bei den Proben ist mir klar geworden, dass man nicht nur ein Konzept, eine Idee für eine Szene haben muss. Man muss die Ausübenden auch dahin bringen, sich zu öffnen und etwas zu riskieren. Wenn das bei Mozart nicht passiert, wenn man die Gefühle nicht auf extremstem Level im Körper hat und nicht mit Lust nach außen transportiert, ist die Oper tot. Riskieren, darum geht es bei Mozart!

Mozart im Nationaltheater: "Durch die Oper kann man eine andere Dimension von Leben schaffen"

Sie kommen aus dem Sprechtheater. Arbeiten Sie lieber mit Schauspielern oder Sängern?
Ich liebe das Musiktheater und freue mich, dass ich zu dieser Kunst gekommen bin. Die Ausübenden in einer Oper nenne ich übrigens Künstler oder Darsteller, und nicht Sänger. Ich liebe die Musik. Jede Kunst versucht, Musik zu werden, weil Musik die höchste Kunst ist. Ich weiß nicht, wer das gesagt hat, vielleicht Schopenhauer. Als hier die Ouvertüre geprobt wurde, war ich total hingerissen. Durch die Oper kann man eine andere Dimension von Leben erschaffen.

Konstantin Krimmel und Louise Alder singen Figaro und Susanna.
Konstantin Krimmel und Louise Alder singen Figaro und Susanna. © Wilfried Hösl

Inszenieren Sie diese andere Dimension schon in der Ouvertüre?
Nein, weil in ihr die ganze Quintessenz der Oper steckt. Sie muss ganz allein für sich stehen. Das kann man nicht toppen. Die Ouvertüre ist wie eine Einstimmung auf den Abend. Es wäre peinlich, das zu bebildern oder zu illustrieren.

Bei der Matinee haben Sie gesagt, dass Cherubino nicht einfach als Hosenrolle präsentiert werde. Was heißt das konkret?
Diese Rolle ist eine Persönlichkeit. Ich muss sie nicht irgendwie verkleiden, sondern sie ernst nehmen. Diese Person hat das Recht, sich so zu geben, wie sie sich fühlt und ausdrücken möchte. Es geht nicht darum, dass hier eine Frau einen jungen Mann darstellt. Diese Person hat einen weiblichen Körper, fühlt sich wie ein Mann und steht auf Frauen.

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Und wenn Cherubino von einem Countertenor gesungen würde?
Dann wäre die Rolle ein Mann, der Frauen liebt. Es gibt ja auch Männer, die eine tiefe oder hohe Stimme haben. Für mich wäre es das Schlimmste und absolut peinlich, bei Cherubino die Brüste flach zu machen und einen Bart aufzukleben. Unser Cherubino ist ein interessanter Charakter.

Muss man Noten lesen können, um eine Oper zu inszenieren?
Nein. Es ist schön, wenn man es kann, aber es ist keine Garantie für ein gutes Ergebnis. In der Kunst ist Intuition viel wichtiger als Wissen. Das heißt natürlich nicht, dass man dumm und arrogant sein soll. Man kann aber Noten lesen und trotzdem Aspekte in einer Oper gar nicht kapieren.


Premiere am Montag, 30. Oktober um 19 Uhr im Nationaltheater, Restkarten an der Abendkasse. Weitere Vorstellungen am 1., 5., 9., 12. und 14. November sowie bei den Opernfestspielen im Juli 2024. Die Premiere wird live im Hörfunk auf BR-Klassik übertragen

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