"Extrawurst" in der Komödie: Der gut versteckte Rassist in uns allen

In der Komödie im Bayerischen Hof brutzelt eine schmackhafte "Extrawurst".
Mathias Hejny |
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Yael Hahn, Gerhard Wittmann und Thomas Stegherr (v.l.) bei der Vereinssitzung.
Sebastian Back Yael Hahn, Gerhard Wittmann und Thomas Stegherr (v.l.) bei der Vereinssitzung.

München - Heribert will zum gemütlichen Teil der Vorstandssitzung seines Tennisclubs übergehen und ermahnt Matthias augenzwinkernd, sich bei der Powerpoint-Präsentation der neuen Anschaffung kurz zu fassen, denn "es ist ja nur ein Grill". Eine gute Weile später ist das Buffet mit Helgas Nudelsalat noch immer nicht eröffnet. Dafür hat Heribert den Vereinsvorsitz hingeschmissen und tobt, als ihm vorgeworfen wurde, seine Haltung geändert zu haben: "Wir haben eine Krise. Da kann man sich Haltungen nicht erlauben. Es geht doch nur um einen verdammten Scheiß-Grill!"

"Extrawurst" feiert bundesweit Erfolge

Landauf, landab geht das Stück "Extrawurst" gerade durch die Decke. Das Ohnsorg-Theater in Hamburg oder das Renaissance-Theater in Berlin spielen es und überall zwischen Trier und Bautzen hilft die Kleinstadtposse, die von den Corona-Lockdowns angerichteren Schäden ein wenig abzumildern. Jetzt brutzelt die "Extrawurst" lustig in der Komödie im Bayerischen Hof und duftet nach Hit des Münchner Theatersommers.

Die Autoren Jacobs und Netenjakob haben "Stromberg" erfunden

Die beiden Autoren Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob haben das grandiose Büro-Ekel "Stromberg" erfunden und beliefern satirische TV-Formate wie "Extra 3" oder die "Heute-Show" mit treffsicherem Material. Mit der "Extrawurst" - die mit der gleichnamigen österreichischen Verwandten der bayerischen Lyoner nichts zu tun hat - suchten sie nach dem Rassisten, der sich in den meisten von uns mehr oder weniger gut versteckt hält.

Sie fanden einen Mikrokosmos gut erzogener, bestens ausgebildeter und wirtschaftlich solide aufgestellter Freizeitsportler: Heribert (Gerhard Wittmann) führt den Tennisclub jovial, aber mit untrüglichem Sinn für Hierarchie. Das spürt vor allem sein Stellvertreter Matthias (Thomas Stegherr). Torsten (Heiko Ruprecht) wiederum hält sich die Kleinlichkeiten des Vereinslebens mit arrogant-süffigem Sarkasmus vom Leib und erst sehr spät im bis zu körperlicher Gewalt ausartenden Eklat gesteht er sich selbst ein, auf Erol (Jörg Pauly) eifersüchtig zu sein.

Selbst "der Türke" ist ein ganz normaler Rassist

Der Rechtsanwalt türkischer Herkunft hat als Doppel-Partner von Torstens Ehefrau Melanie (Yael Hahn) die Regionalmeisterschaft erkämpft. Die Schriftführerein bringt die Debatte in Schwung, als sie anregt, für Erol und seine Familie einen separaten Grill anzuschaffen, damit auch Muslime Würste ohne Kontakt zu Schweinefleisch zubereiten können. Erol findet das überflüssig, aber Melanie will alles richtig machen. Am Ende des Abends wissen wir eine Menge über jeden und auch, dass selbst "der Türke" ein ganz normaler Rassist ist.

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Es sind grimmig pointierte Sketche, die Jacobs und Netenjakob mit viel Gespür für humoristische Effizienz zu einem abendfüllenden Gesellschaftspanorama komponierten, das immer wieder neue, überaschende, sogar irritierende Ausblicke auf die Abgründe gewährt, die sich im Alltag auftun können. Regisseur Michael von Au hat bei seiner Zeit als Ensemblemitglied bei Dieter Dorn das genaue Hinlesen geübt. Jede Figur erhält ihre individuell maßgeschneidete Aura, in der sie sich mit authentisch wirkender Lebendigkeit bewegen kann. Da machen sogar die ultrarechten Sprüche wie "Das wird man doch noch sagen dürfen" richtig Spaß, denn völkischer Kleingeist wird hier als das vorgeführt, was er ist: Lächerlich. Es geht ja nur um einen Grill.


Komödie im Bayerischen Hof, bis 24. Juli, 19.30 Uhr, sonntags 18 Uhr, Telefon 089/29161633

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