Es könnte alles herrlich sein: Kammerspiele-Intendantin Barbara Mundel blickt auf den Saisonstart

Eine recht turbulente Spielzeit hat das Team der Kammerspiele unter Intendantin Barbara Mundel hinter sich. Die Corona-Pandemie hatte weiterhin Auswirkungen auf sämtliche Planungen, die Auslastungszahlen waren nicht wirklich gut.
Jetzt startet das Haus in die nächste Saison: Am Donnerstag eröffnen die Kammerspiele die Spielzeit mit "Die Möglichkeit von Zärtlichkeit" des chilenischen Theaterkollektivs La Resentida in der Therese-Giehse-Halle, am Samstag gibt es mit Jan Bosses Adaption von Sasha Marianna Salzmanns Roman "Im Menschen muss alles herrlich sein" die erste große Ensembleproduktion der Spielzeit.

AZ: Frau Mundel, die Ferien sind leider vorbei. Seit wann sind Sie wieder im Einsatz?
BARBARA MUNDEL: Seit Dienstag vor zwei Wochen. Es ging bei uns wie bei den anderen Theatern parallel zum Schulzeitbeginn los. Am ersten Tag hatten wir morgens wie üblich unsere große Personalversammlung, bei der das gesamte Team inklusive Ensemble versammelt ist. Dabei werden auch alle neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorgestellt, was schon eine beträchtliche Anzahl ist, um die 20 bis 25 Leute. Außerdem habe ich noch einmal ein paar Dinge, die in der letzten Saison passiert sind, ins Gedächtnis gerufen und eingeordnet.
"Wir sind als Haus zuletzt immer besser zusammengekommen"
Und, wo stehen die Kammerspiele im Moment?
Ich finde, dass wir ein gutes letztes Vierteljahr hingelegt haben, mit "Die Vaterlosen" als tolle, erfolgreiche Ensemblearbeit. Das war eine späte Premiere, die uns noch mal richtig viel Schwung gegeben hat für eine Zeit – sechs, sieben Wochen vor den Ferien –, in der normalerweise die Luft raus ist. Außerdem sind wir als Haus zuletzt immer besser zusammengekommen. Corona sitzt uns doch noch allen in den Knochen, dem muss man auch Raum geben, aber selbst wenn es jetzt wieder einige Krankheitsfälle gibt, kann das Team jetzt ungestört zusammenwachsen. Unsere größte Herausforderung ist es, noch mehr auf das Publikum zuzugehen und den erhofften Auslastungs-Turnaround hinzukriegen. Ich denke, wir können guten Mutes sein, das zu schaffen!
Weil die Auslastungszahlen bei 58 Prozent lagen, hat die Stadt in der letzten Spielzeit einen Kammer-Rat vorgeschlagen, in dem Sie, die Dramaturgie und einige Stadträte sich regelmäßig treffen, um sich über den Status quo der Kammerspiele auszutauschen. Hat dieser Kammer-Rat bereits getagt?
Letzte Woche gab es die erste, konstituierende Sitzung. Wir werden uns schätzungsweise zwei bis vier Mal im Jahr treffen, öfter lässt sich das mit unseren verschiedenen Terminplänen gar nicht organisieren. Dabei hat der Kammer-Rat eine rein beratende Funktion, es gibt da keine bindende rechtliche Wirkung.
"Ich bleibe optimistisch, dass wir keine Einsparungen hinnehmen müssen"
Der Kammer-Rat ist also keine Nanny für die Kammerspiele?
Nein, überhaupt nicht!
Müssen die Kammerspiele weiterhin einen starken Sparkurs fahren?
Das wissen wir erst im Dezember 2023 mit der Verabschiedung des Haushaltes der Stadt. In den vergangenen Spielzeiten haben die Kammerspiele 4,3 Millionen Euro aus eigenen Mitteln eingespart. Für uns sind die wichtigen Fragen, ob wir die Tariferhöhungen in der laufenden Spielzeit ausgeglichen bekommen und ob wir an einer stadtweiten Konsolidierung beteiligt werden. Dabei geht es um über zwei Millionen Euro. Ich bleibe optimistisch, dass wir den Tarifausgleich erhalten und keine Einsparungen in der laufenden Spielzeit vornehmen müssen.
Es steigen nicht nur die Löhne, sondern auch sämtliche Kosten…
Ja, die Energie- und Materialkosten sind immens gestiegen. Wenn wir früher ein Bühnenbild-Etat von 15.000 bis 20.000 Euro hatten, müsste der jetzt bei 30.000 Euro stehen. Diese gestiegenen Kosten alleine zu tragen können wir nicht leisten, insofern gibt es da auf jeden Fall ein Sparthema, beziehungsweise müssten auch diese Teuerungsraten von der Stadt aufgefangen werden.

Ist der Sparzwang ein Grund, dass das Spielzeitheft so handlich und wenig luxuriös daherkommt? Im Gegensatz dazu wirkt etwa das Spielzeitheft des Wiener Burgtheaters, an dem Martin Kušej noch Intendant ist, wie ein Prachtband für den Couchtisch.
Ich habe solche "Prachtbände" früher auch gemacht, will das aber nicht mehr und halte es auch nicht für sinnvoll. Wie das Heft jetzt produziert ist, hat eher mit Nachhaltigkeit zu tun. Am Anfang haben wir gedacht, dass wir uns viel stärker auf unseren Online-Auftritt konzentrieren können, aber das ist nicht der Fall. Insofern bauen wir unseren Online-Auftritt weiterhin aus, gehen aber auch in den Print, wo aber die Kosten ebenfalls stark gestiegen sind. Wir haben zudem unsere Präsenz im öffentlichen Raum mit Plakaten erhöht. Insofern haben wir eine Mischkalkulation mit diversen Medien – und designen uns sicherlich nicht zu Tode.
"Diese Spielzeit ist die erste, die nicht von Corona gestört wird"
Die letzten Spielpläne wurden durch die Pandemie gehörig durcheinandergewirbelt. Konnten Sie die Inszenierungen jetzt in eine Reihenfolge bringen, die ihnen dramaturgisch sinnvoll erscheint?
Ich würde sagen, ja! Es gibt ganz viele Faktoren, die einen Spielzeitplan beeinflussen, allein schon, wann die Künstlerinnen und Künstler Zeit haben. Diese Spielzeit ist sicherlich die erste, die nicht oder nur wenig von Corona gestört wird. Mit dem polnischen Regisseur Lukasz Twarkowski wollten wir schon früher zusammenarbeiten, jetzt inszeniert er endlich im November "WoW – World on a Wirecard" in der Therese-Giehse-Halle. Oder mit Nora Abdel-Maksoud war von Anfang an eine Trilogie geplant, drei Inszenierungen, eine pro Jahr. Davon konnte eine Produktion sofort realisiert werden, "Jeeps", die sehr erfolgreich war. Im April nun kommt endlich eine weitere Uraufführung von ihr, "Doping", worauf wir uns sehr freuen.
Neben Lukasz Twarkowski lassen Sie mit der litauischen Regisseurin Kamilé Gudmonaité eine zweite zentrale Stimme aus Osteuropa an den Kammerspielen Regie führen. Zunächst klang es so, dass in "Xáta – Zuhause" (Premiere: 13.10.) Ukrainer und Russen gemeinsam auf der Bühne stehen werden.
Ja, das stand zunächst in den ersten Texten, die wir geschrieben haben, aber es war uns schon klar, dass das problematisch sein würde. Nach den ersten Proben konnten wir die Beschreibungen präzisieren: dass in der ersten Hälfte ein ukrainischer Chor, in der zweiten ein russisches Ballettensemble auftritt und so verschiedene Stimmen an diesem Abend zu Gehör kommen. Einen Schwerpunkt auf Mitteleuropa setzen wir schon mit unserer ersten großen Ensembleproduktion: In ihrem Roman "Im Menschen muss alles herrlich sein" hat Sasha Marianna Salzmann sehr hellsichtig anhand von Menschen und ihren Biografien über das Verhältnis der Ukraine und Russland, noch vor dem Krieg geschrieben, in Verbindung mit der ostdeutschen Geschichte. Das bleibt für uns eine wichtige Linie: uns mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, um die Gegenwart besser begreifen zu können.

Der Blick geht aber eher selten Richtung Theaterkanon: Shakespeares "Der Sturm" ist der einzige Klassiker, der sich im Spielplan findet. Ansonsten gibt es Romanadaptionen, Filmadaptionen…
… und Uraufführungen. Ich finde, dass die Kammerspiele sich schon immer verstärkt mit zeitgenössischer Literatur auseinandergesetzt haben. Diese Tradition wollen wir fortsetzen.
"Ich finde es für Theater derzeit wichtiger, sich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen"
Wobei es hier doch schon immer große Klassikerinszenierungen gab.
Ja, wobei es auch nicht stimmt, dass unter Dieter Dorn immer nur Klassiker zu sehen waren. Wenn man sich die Spielpläne von damals anschaut, gab es doch viel Neues, von Botho Strauß oder Franz-Xaver Kroetz zum Beispiel - Stücke, die heute als Klassiker gelten. Insofern gehören Uraufführungen für mich ganz klar zur Tradition der Kammerspiele. Und wir haben ja auch einige Klassiker im Spielplan, die wir von der letzten Spielzeit übernehmen, "Nora", "Die Vaterlosen" oder "Antigone" in Leichter Sprache.
Man könnte auch sagen, dass der eher von Männern bestimmte Theaterkanon nicht zur feministisch-diversen Ausrichtung Ihres Hauses passt. Beziehungsweise, es bedarf starker Überschreibungen…
… an denen ich nicht so interessiert bin, das ist schon richtig. Ich sage auch nicht, dass wir nicht hin und wieder Klassiker im Spielplan haben werden, aber das gehört im Moment nicht zu unserem Versuch, dieses Haus zu positionieren. Ich finde es für Theater spannender und derzeit wichtiger, sich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen, verstärkt auch über die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, wobei wir da vor allem auch vergessene, weibliche Stimmen wieder zu Gehör bringen wollen.

Einen ähnlich progressiven Kurs verfolgten Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg in Zürich und konnten diesen letztlich nicht durchziehen; nach dieser Spielzeit endet ihre Intendanz.
Ich denke, wir können unseren Kurs behaupten und die Leute werden kommen. Ich bin jetzt einfach optimistisch! Wir hatten letztes Wochenende eine Weiterbildung mit einigen Kolleginnen und Kollegen von anderen deutschen Theatern, die schon ein paar Wochen spielen und bereits über die Auslastung verzweifeln. Diese Situation ist noch nicht ausgestanden, aber wir werden weiterhin versuchen, unseren Service zu optimieren, dem Publikum unser Angebot näher zu bringen und ihm tolles Theater zu bieten, so dass es gerne und immer wieder zu uns kommt.
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