Drei Uraufführungen zum Auftakt
Eine Fotografie der Krupp-Werke ergibt beinahe nichts über diese Institute, hat Bertolt Brecht einmal bemerkt. Und so verhält es sich auch mit der Privatheit: Es ist nicht besonders erhellend, wenn sie Eins zu eins auf die Bühne gebracht wird.
Das passiert in der Kammeroper „Wir aus Glas“, mit der am Samstag die Münchener Biennale für Neues Musiktheater in der Muffathalle eröffnet wurde. Man darf fünf Menschen mittleren Alters und mittlerer Interessantheit beim Schlafen, Zähneputzen und beim Leiden an der Welt zuschauen. Das ist bekanntlich nicht abendfüllend und dauert in der Muffathalle auch nur 75 Minuten. Eine der Damen weint zwar bei der Mail-Lektüre an einem Laptop, die ondulierten Haare und das Rollenverhalten deuten eher auf ein Biedermeier vor Facebook und Cambridge Analytica, die im Programmbuch eine große Rolle spielen.
Irgendwann ruft der Mann mit dem Hipsterbart „Can we have some fucking music now?“. Ja, Musik gibt es. Yasutaki Inamori hat altmodische kurze Liebesduette, ein Quartett und ein Quintett komponiert. Dazu ahmt eine Handvoll Instrumentalisten Geräusche vom Müslirühren bis zum Küssen nach. Gefühlte 20 Minuten dauert eine nette neobarocke Tafelmusik, bei der man sich fragt, ob es einen nicht versehentlich zu den Landshuter Hofmusiktagen verschlagen hat.
Die Hauptrolle, der „Traurige Mann“, ist eine Sprechrolle. Er hält sich für einen überflüssigen Menschen. Man denkt dabei unwillkürlich an die Figuren von Michel Houellebecq und ist angesichts der gedrechselten Poesie von Gerhild Steinbuch verstimmt. Es ist halt schwer, Mittelmäßigkeit interessant darzustellen. Da wirkt es als etwas billige Aufhübschung, wenn der Zuschauer zusammen mit einem Kammerchor auf beweglichen Tribünen sitzt. Das macht was her, trägt zur Wahrheitsfindung in Sachen Privatheit aber wenig bei.
Ein performativer Stadtrundgang
Danach in die Fürstenstraße zu Lam Lais Performance „Bubble<3“. Ein weiß gekleideter Herr führt einen dreimal zur Post an der Ecke Amalien- und Theresienstraße. Irgendwo wird gesungen, von einem Baum tropft Wasser, die Vögel zwitschern und ein Paar streitet am Mobiltelefon über in die Cloud hochgeladene Nacktfotos.
Zuletzt darf man in den ersten Stock und sich über den Leerstand einer schönen Altbauwohnung wundern, die hier für Zwecke des Ästhetischen vorgehalten wird. Ein von zwei schwarzen Gestalten geführter Mensch sitzt in einem transparenten Luftballon. Der wiederum drängt das Publikum an die Wände des Wohnzimmers.
Dazu ertönt spacige, aber beliebig austauschbare Musik. Eine Fleißarbeit zum Thema, die das Wort von der Filterblase vordergründig ins Bild setzt. Und Studententheater der nachgeholten Avantgarde aus Hongkong, das hier ohne jeden Bezug zum Spielort aufgeführt wird.
Tinnitus und Knacken
Die dritte Uraufführung hält sich in der abgedunkelten whiteBOX des Werksviertels fern von wohlfeilen Assoziationen zum Thema „Privatsache“. Clara Iannottas „skull ark, upturned with no mast“ stellt vier Performerinnen in ein Gestänge von Anna Kubelik. Dazu gibt es 40 Minuten Tinnitus-Pfeifen, lautes Brummen und Knacken.
Inwieweit die Darstellerinnen mit Bürsten und Mikrofonen zum Klang beitragen, bleibt unklar. Die Musik könnte aus der Konserve kommen, vielleicht wird sie aber auch live erzeugt. Das bleibt bis zum Ende ein Rätsel, und das ist besser als jede Eindeutigkeit. Und mit einer auf den Leib rückenden Kraft, die das laue „Wir aus Glas“ und und die noch abgestandenere „Bubble<3“ vermissen lassen.
Rückzug ins Private
Mit ersten Eindrücken heißt es vorsichtig zu sein. Dennoch: Daniel Ott und Manos Tsangaris nehmen ihr Motto „Privatsache“ wörtlich. Es gibt mehr Aufführungen für noch weniger Leute. Die Neue Musik verschwindet bei dieser Biennale aus der Öffentlichkeit. In der Muffathalle sitzen bei „Wir aus Glas“ pro Aufführung 160 Zuschauer, bei Iannotta in der whiteBOX weniger als die Hälfte, in der Fürstenstraße wird für 25 Leute performt. Klangkunst tritt an die Stelle von Theater.
Das ist vorerst nur eine Feststellung, keine Wertung.
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