Moritz Eggert über die Rückschrittlichkeit des Opernbetriebs

Am Samstag startet die Biennale - Moritz Eggert kritisiert die Rückschrittlichkeit des Opernbetriebs
Robert Braunmüller |
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Die Tonhalle des Schweizers Ruedi Häusermann auf dem Max-Joseph-Platz vor dem Nationaltheater ist einer der Spielorte der Münchener Biennale. Ab Sonntag wird hier ein Stück für einen Schauspieler und ein Streichquartett gespielt.
Robert Braunmüller Die Tonhalle des Schweizers Ruedi Häusermann auf dem Max-Joseph-Platz vor dem Nationaltheater ist einer der Spielorte der Münchener Biennale. Ab Sonntag wird hier ein Stück für einen Schauspieler und ein Streichquartett gespielt.

Ab heute sorgt die Münchener Biennale für frisches neues Musiktheater an diversen Spielstätten in der ganzen Stadt. Jenseits dieses städtischen Festivals sind die Spielpläne der Opernhäuser stark überaltert. Moritz Eggert - selbst Komponist von 15 abendfüllenden Opern – hat die Spielpläne der Theater im deutschen Sprachraum durchforstet und festgestellt, dass sich jenseits der Klassiker von Mozart, Verdi, Wagner und Puccini nicht viel tut.

AZ: Herr Eggert, könnte es sein, dass Sie keine Klassiker mögen? Die sind doch der Rückgrat jedes Spielplans.
MORITZ EGGERT: Im Gegenteil. Ich persönlich liebe und verehre auch die alten Opern. Ich verstehe nur nicht, warum die Oper – und die klassische Musik insgesamt - die mit Abstand konservativste und rückschrittlichste aller heutigen Kunstformen sein muss.

Wie schlimm ist es denn? Sie haben die Spielpläne statistisch durchforstet.
Die durchschnittliche Oper auf dem Spielplan wurde vor 139 Jahren uraufgeführt. Die meisten Opernhäuser leisten sich eine Uraufführung pro Spielzeit, manche auch zwei. Aber das bleibt ohne Auswirkungen auf das Repertoire. Bei meiner Berechnung habe ich übrigens den Median zugrunde gelegt. Das macht die Berechnung genauer, und Ausreißer aus der Frühzeit der Oper wie etwa Monteverdis „L’Orfeo“ verfälschen die Zahlen nicht. Komponierende Frauen kommen übrigens auch nicht vor.

Mir würde jetzt nur Francesca Caccinis „Alcina“ einfallen.
Diese Oper wird auch höchstens als Rarität bei einem Festival gespielt. Die Männerlastigkeit bleibt auch langfristig erhalten. Denn Oper ist die einzige Kunstgattung, in der Frauen als Schöpferinnen nie eine große Rolle gespielt haben.

Zurück zum Durchschnittsalter. Ist das so wichtig? Regisseure können doch auch mit einer alten Geschichte etwas Gegenwärtiges erzählen.
Das hat doch so einen Bart! Ich sehe kein Neuerungspotential in weiteren Varianten eines Stoffs. Bei „Così fan tutte“ hat mittlerweile jede Figur etwas mit jeder gehabt. Das Regietheater hat sich totgelaufen. Es ist verkrampft.

Was schlagen Sie vor?
Ich bin dafür, die alten Opern als Zeitdokumente zu verstehen. Daneben möchte ich mehr neue Opern zu heutigen Themen. Auf diese Weise könnte man den konservativen Teil des Publikums halten und neue Zielgruppen gewinnen.

Viele Zuschauer haben aber Angst vor neuen Opern.
Es muss doch nicht immer gleich Lachenmann sein. Ich könnte Dutzende guter neuer Opern nennen und Namen von Komponisten und Komponistinnen, die neue und zugängliche Werke schreiben können.

Ein paar Namen, bitte!
Etwa Louis Andriessen oder Olga Neuwirth mit ihrer Oper „Lost Highway“. Und George Benjamin. Seine eben in London uraufgeführte Oper „Lessons in Love and Violence“ kenne ich noch nicht, aber „Written on Skin“ war auch in München bei einem Gastspiel ein großer Erfolg. Oder Thomas Adés. In Deutschland etwa Detlev Glanert oder Anno Schreier. Es gibt nicht nur den ganz radikalen avantgardistischen Ansatz.

Warum schaffen es solche Opern trotzdem kaum ins Repertoire?
Das ganze System krankt daran, dass es immer nur um das Prestige von Uraufführungen geht. Ich sehe nicht, wie in den großen Häusern das Umdenken beginnen könnte. Die Wiener Staatsoper ist ohnehin mehr Touristenattraktion als Opernhaus. Die Revolution müsste in der Provinz beginnen.

Was macht denn eine gute moderne Oper aus?
Im Moment dominieren Formen des zeitgenössischen Musiktheaters, die vom Erzählen und von dramatischen Charakteren wegführen. Man sieht immer Entwürfe, Konzepte und Verrichtungen. Ich sehne mich nach lebendigen, emotional aufgeladenen Opern, die starke Persönlichkeiten in den Mittelpunkt rücken. Das ist vielleicht noch wichtiger als das Erzählen von Geschichten. „Carmen“ ist doch nicht ohne Grund eine Dauerbrenner.

Wenn ich dann aber eher traditionalistische neuen Opern sehe, hinterlassen die bei mir fast immer einen schalen Beigeschmack.
Bei zeitgenössischen Komponisten gehört es zur Karriere, auch mal eine Oper zu schreiben. Das geht dann entweder schief oder wird ein Erfolg. Beides ist egal: Es wird trotzdem nicht gespielt. Deshalb gibt es zu wenig gesunde Konkurrenz und zu wenig Diskurs. Ich bin sicher: Wenn es mehr Wiederaufführungen gäbe, würde auch die Qualität der Werke und die Qualität der Aufführungen steigen.

Gibt es denn Länder, in denen es besser läuft?
In Finnland werden viel mehr heimische Komponisten und neuere Opern gespielt. Die Szene in ganz Skandinavien ist viel gesünder, aber wir kriegen wenig davon mit.

Am heutigen Samstag beginnt die Münchner Biennale für neues Musiktheater. Kann dieses Festival zur Erneuerung der Oper beitragen?
Ich habe großen Respekt vor dem, was Daniel Ott und Manos Tsangaris machen. Ich finde vieles auch richtig und werde mir alles ansehen. Aber der Werkstattcharakter tendiert dazu, dass man hin und wieder daran denkt, es handle sich um eine Beschäftigungstherapie für junge Talente. Wenn ich das Programm durchblättere, verstehe ich vor lauter Künstlerkollektiven manchmal nicht, wer es komponiert und wer den Text geschrieben hat.

Nichts davon wird in einem der Münchner Opernhäuser uraufgeführt.
Wenn ich mich bei einem der Projekte als Zuschauer drei Monate vorher anmelden musste, um eine Aufführung in einer Wohnung zu sehen, wird davon nicht viel ausgehen. Ich finde, dass wir unsere Spielstätten, unsere Theater und unsere Orchester nutzen sollten.

Die Münchener Biennale für neues Musiktheater beginnt heute um 16 Uhr mit der Uraufführung von Yasutaki Inamoris „Wir aus Glas“ in der Muffathalle. Um 18.30 Uhr folgt Clara Ianottas „Skull ark, upturned with no mast“ in der whiteBOX.art. Bis zum 12. Juni gibt es 14 weitere Uraufführungen zum Thema „Privatsache“. Infos unter www.muenchenerbiennale.de

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