"Der fliegende Holländer" von Richard Wagner - die AZ-Kritik
Richard Wagners „Fliegender Holländer“, inszeniert von Christian Stückl im Passionstheater von Oberammergau
Ist der bleiche Seemann das Wahngebilde einer erotisch-neurotischen Frau? Oder ein Vormärz-Revolutionär, der in die Bürgerlichkeit zurückwill? Regisseur Christian Stückl betonte diesbezüglich fröhlich, dass er kaum jemals eine Wagner-Oper gesehen habe.
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Aus dem Tal der Ahnungslosen kommend, griff Stückl das Modell „Sentas Fixierung“ auf und ließ sie bis zum Treueschwur mit dem Holländer durchweg auf sein Bild fixiert agieren. Auf der cinemascope-breiten Passionsspielbühne hatte Stefan Hageneier einen nachtblauen, kahlen Hallen-Raum gebaut. In der Mitte kreiste eine mit wüsten Wellengebirgen bemalte, bühnenhohe Trommel.
Zum Auftritt des Holländers blieb sie halboffen stehen und zeigte ein graugrünes Segelschiff. Zur Heimkehr Dalands mit dem Holländer stand darin die Steuerbrücke eines Seglers, aus dessen Unterbau später die Geistermannschaft auftrat. Auf diese Steuerbrücke stürzte Senta dem Holländer nach.
Der Chor ist eine Wucht!
Ohne Lichtregie erzählte Stückl die Haupthandlung in bürgerlichen Kostümen schlicht und gradlinig. Gewinner des Abends war die musikdramatische Realisierung. Mehr als die gekonnt gegen eine Verkühlung ansingende Senta von Liene Kin(c)a beeindruckte die gute Tonanlage: unverfälschte vokale Timbres, Gänge der Sänger stereophonisch verfolgend. Sämtliche Männerrollen waren bis hin zu Guido Jentjens Daland gut besetzt, überragt von Gábor Bretz in der Titelrolle: ein „Anderer“ mit kernigem, dunklem Bassbariton. Sie alle führte Ainars Rubikis, eine Dirigier-Begabung aus Riga: straffe Tempi, feine Abstufungen mit den Nachwuchsmusikern der Neuen Philharmonie München. Zusätzlich hatte er eine „Wucht“ zu leiten: Wie beim Passionsspiel machen alle begabten Oberammergauer des Ortes und der Umgebung mit – was einen Laien-Chor von über 180 Mitwirkenden ergibt!
Auch der erfahrene Wagnerianer wird wohl „Mit Gewitter und Sturm…“, den „Spinnstuben-Chor“, „Steuermann lass die Wacht…“ und das gespenstische, so bislang „unerhörte“ Wettsingen zwischen Dorfgemeinde und Holländer-Mannschaft kaum wieder so hören: eine die 2800 Besucher in der Passionstheaterhalle überflutende Klang-Woge voll sicht- und hörbarer Sing- und Spiel-Begeisterung, beeindruckend einstudiert von Markus Zwink.
Da waren Stückls Freiheiten, fast alle alles singen zu lassen, amüsiert hinzunehmen. Oberammergaus „Fliegender Holländer“ also weniger ein Interpretations-, denn ein umjubeltes Klangerlebnis.
Wieder am 2., 14., 16., 21. und 23. Juli im Passionstheater. Karten von 29 bis 94 Euro bei Münchenticket. Bustransfer zu jeder Vorstellung ab ZOB, Hackerbrücke 16.30 Uhr, Karten 19,50 Euro