Christian Stückl über seinen ersten Wagner
In diesem Dorf sei alles „über jede Beschreibung hinaus schön“, meinte Richard Wagner 1871 nach einem Besuch in Oberammergau. Dort hat heute seine romantische Oper „Der fliegende Holländer“ im Passionstheater Premiere. Christian Stückl inszeniert, im Orchestergraben spielt die Neue Philharmonie München, ein vorwiegend mit jungen Musikern besetztes Orchester. Ainars Rubikis, der künftige Musikchef der Komischen Oper Berlin, dirigiert. Die Titelpartie singt der ungarische Bass Gábor Bretz.
AZ: Herr Stückl, inszenieren Sie den „Fliegenden Holländer“ mit oder ohne Schiff?
CHRISTIAN STÜCKL: Mit Schiff. Eigentlich müssten es sogar zwei Schiffe sein: das von Daland und das Geisterschiff des Fliegenden Holländers. Aber nur das letztere wird angesungen, und deshalb haben wir uns auf eines beschränkt. Die eigentliche Bühne, in der beim Passionsspiel die lebenden Bilder erscheinen, ist für ein Schiff sehr niedrig. Aber wir haben es geschafft: Ich inszeniere den „Fliegenden Holländer“ mit Schiff. Und wir zeigen sogar seine Annäherung an die Küste.
Ist das Ihr erster Wagner?
Ja. Ich habe vor Jahren Dieter Dorns Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ in Bayreuth gesehen. Aber das ist ganz weit weg, ich erinnere mich nur noch an das Haus, das sich um seine eigene Achse drehte. Das ist meine einzige Wagner-Erfahrung.
Passt der „Holländer“ nach Oberammergau?
Unser „Nabucco“ vor zwei Jahren war ein ziemliches Wagnis – mit dem jungen Orchester aus 18 Nationen, den Solisten aus der ganzen Welt und einem großen Chor, der zu 80 Prozent aus Oberammergauern besteht. Aber es hat funktioniert. Deshalb haben wir wieder ein Stück mit viel Chor gesucht – und kamen wir auf den „Fliegenden Holländer“.
Sind Sie dadurch zum Wagnerianer geworden?
Ich dachte: O Gott, Wagner! Es gibt zwar eine große Fangemeinde. Der Name löst aber Ängste aus, weil die Musik als schwierig gilt. Die hatte ich ursprünglich auch, aber beim Inszenieren sind solche Gefühle verflogen. Ich finde die Musik manchmal schräg, aber insgesamt schön und süffig.
Wie kriegt man die Geschichte vom erlösungsbedürftigen Seemann in die Gegenwart?
Ich gebe zu, dass mir der Chor der Spinnerinnen etwas verstaubt vorkommt. Das Frauenbild dahinter halte ich kaum aus. Die junge Leuten hier in Oberammergau kennen den „Fliegenden Holländer“ entweder aus der Zeichentrickserie „Sponge-Bob“. Oder sie fragen sich, ob das was mit „Fluch der Karibik“ zu tun hat. Interessant finde ich das kleinstädtische Milieu, in dem Senta und Erik leben. Und es ist spannend, wenn über sie die Welt des Märchens einbricht und ein Segelschiff aus vergangenen Zeiten im Hafen anlegt.
Ist Senta eigentlich ganz normal? Sie verliebt sich in das Bild des Holländers.
Wenn man die Geschichte als Märchen erzählt, kann jeder daraus mitnehmen, was er mitnehmen will. Ich habe beim Inszenieren schon den Eindruck bekommen, dass Senta eigentlich die Hauptfigur ist, und nicht der Fliegende Holländer. Hat sich Wagner nicht wie Senta aus der Tristesse der Normalitär hinausgewünscht und die Erlösung in einer Fantasiewelt gesucht? Das interessiert mich mehr als die Suche des Holländers nach ewiger Treue.
Etwas Passion steckt auch im Holländer – der hat sich mit Gott angelegt und hofft in seiner Arie auf eine Ende seiner Irrfahrt im Weltuntergang.
Da sehe ich eher eine Nähe zu Faust und dem Teufelspakt. Ich habe aber absichtlich keinen Bezug zum Religiösen hergestellt. Die Sache mit der Erlösung geht mir bei Wagner und in den Büchern über Wagner etwas zu weit. In unserer Religion ist die Theologie der Erlösung schon kompliziert genug.
Spielen Sie den von Wagner erweiterten Erlösungsschluss?
Der Dirigent Ainars Rubikis wollte die Version mit der Harfe. Ob wir die Oper als Einakter spielen, entscheide ich nach dem ersten Durchlauf mit Orchester. Aber ich denke, wir spielen die Oper mit Pause. Im Moment machen mir die Proben auf der Freiluftbühne viel Spaß: Es ist wunderbar, wenn zwischen den hohen Tönen der Arien eine Kuh im Hintergrund schreit.
Premiere heute, 20 Uhr. Auch am 2., 14., 16., 21. und 23. Juli im Passionstheater. Karten von 29 bis 94 Euro bei Münchenticket. Bustransfer zu jeder Vorstellung ab ZOB, Hackerbrücke 16.30 Uhr, Karten 19,50 Euro
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