"Cinderella" im Nationaltheater: Dynamisches Funkeln

Einfallsreich, perfekt: Das Staatsballett tanzt Christopher Wheeldons "Cinderella" im Nationaltheater.
Vesna Mlakar |
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Ein Ensemblebild mit Prinz, Freund und letztlich gar nicht mehr so böser Tochter.
Ein Ensemblebild mit Prinz, Freund und letztlich gar nicht mehr so böser Tochter. © Wilfried Hösl

Mehr Märchen als in Christopher Wheeldons "Cinderella"-Ballett geht kaum. Da schluckt zum großen Finale des ersten Akts der Stamm eines eigenwillig lebendigen Baums das bodenständig-aufrichtige, herzensgute mutterlose Mädchen, um es kurz danach wieder freizugeben - verwandelt in eine wunderschön gekleidete Ballprinzessin. Aus Zweigen geflochtene Räder lösen sich aus dem üppigen, magisch schillernden Grün von Ästen, die sich bis zum Boden herabsenken.

Timing ist alles

Cinderellas vier sanfte Schicksalslenker kommen mit Pferdeköpfen daher - und los geht eine rasante Kutschfahrt: Ein kurzes, aber fantastisches Bild. Der Trick ist das Timing: eine unabkömmlich-notwendige, vom Ensemble fabelhaft gestemmte Qualitätskonstante in Wheeldons choreografischem Wunderwerk, das - gerade weil es vor allem märchenhaft sein will - herrlich unterhaltsam berührt.

Ein Aufgebot an beeindruckenden Solisten ergänzt den Plot. So wird Cinderella vor ihrem Erscheinen auf dem Ball von Geistern der Jahreszeiten unterwiesen - angeführt von Marina Duarte (zart wie der Frühling), Shale Wagman (strahlend wie eine gewichtlose Feder im Sommer), António Casalinho (ein feuriger Staatsballett-Neuzugang als Herbst) und Kristina Lind (geheimnisvoll zurückhaltend für das, was der Winter bedeuten mag).

Darstellung der Cinderella lädt zum Schwärmen ein

Letztlich übertragen diese famosen Hingucker und ihre Entourage auf Cinderella all ihre Leichtigkeit, Großmut und Klasse in einem Strudel aus Farben. Obwohl Madison Young in der titelgebenden Hauptrolle der Cinderella das eigentlich gar nicht braucht. Über ihre durchweg anmutige und lebensnahe Darbietung kann man nur schwärmen.

Inszenierung mit verspielten Details - einfach perfekt

Einfallsreich ist die ganze Inszenierung und dank vieler Überraschungsmomente einfach perfekt. Zudem ist das Ganze mit multimedialem Beiwerk und einer Fülle phantasievoller Kostüme angereichert, deren Träger sich von Szene zu Szene in einem offenen Bühnenambiente nonstop die Türklinke in die Hand drücken, so dass ein dynamischer Ereignisreigen entsteht - Rückblicke in die Kindheit und damit Auftritte dreier selbstsicherer Akademieschüler inbegriffen. Mit gewaltigem Tempo ziehen eine Menge unglaublich verspielter Details am Zuschauer vorbei.

Mit den neuen Corona-Beschränkungen zieht für Kulturgänger gerade eine dunkel-düsterere Weihnachtszeit herauf. Was interessanter Weise dazu passt, dass Sergej Prokofjews mal unheilvolle, mal heiter-optimistische Ballettmusik vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs, also höchst dramatischer Umstände komponiert wurde.

Die Moral der Geschicht' nimmt man mit

Auf den Nachhauseweg oder nach dem Streamen kann man daher die beiden das Stück bestimmenden Grundideen mitnehmen: Über den Verlauf seines Lebens kann jeder selbst entscheiden. Und: Vergebenkönnen ist ein anspruchsvoller Charakterzug, der aber - Gott sei Dank - mit Glück und Glücksgefühl auf einen selbst zurückwirkt.

Auf der Bühne agierten fast zwei Drittel des gesamten Bayerischen Staatsballetts völlig eins mit den ihnen zugewiesenen Rollen. Vorneweg technisch sehr akkurat Jinhao Zhang als Prinz und Jonah Cook als dessen bester Freund. Vom Heiraten halten die beiden wenig und widersetzen sich den elterlichen Plänen erstmal durch den Tausch ihrer Funktionen und Klamotten.

Stiefschwester bekommt den Freund des Prinzen

Das Pendant zu diesem spitzbübischen Paar sind Cinderellas Stiefschwestern. Edwina (Elvina Ibraimova) und Clementine (Bianca Teixeira) sind eine Schau. Die erste kommt nach der Mama, die sich beim Ball schamlos betrinkt (Prisca Zeisel): Von Edwina wird das garstige Tun der Schwester mitbestimmt.

Diese aber verliebt sich wirklich und bekommt - trotz Brille und peinlicher Zankeinlagen den Freund des Prinzen zum Mann. Am Schluss eines irrwitzigen Bräute-Defilees kann die Stiefmutter mit ihrem Kochlöffel auf Elviras Fuß mit dem goldenen Schuh draufhauen, wie sie will. Sie bringt dadurch nur den bis dahin gebrochen-hörigen Vater (Javier Amo) aus der Reserve.

Hochzeitsfest mit beseeltem Tanzen zum Schluss

Nachdem sich alle konflikthaften Zustände entwirren, klingt der dritte Akt bei einem Hochzeitsfest aus unter dem großen, einst aus Cinderellas Tränen gewachsenen Baum: ein von Glück beseeltes Tanzen unter Funkeln und Leuchten. Die Umarmung zum Schluss: die Erfüllung aller langgehegten Hoffnung.

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Nur bei den Vier Schicksalen, deren Bein- und Sprungvariationen weite, nachtblau-schwarze Hosen umspielen, hätte man sich etwas mehr Scheinwerferpräsenz für die aus der Dunkelheit heraus auftretenden Interpreten gewünscht. Das erste Mal tauchen sie in der Eröffnungsszene auf und heben Cinderellas plötzlich verstorbene Mutter einem Vogel gleich gen Himmel. Ab da greifen Nikita Kirbitov, Vladislav Kozlov, Sergio Navarro und Robin Strona immer wieder genau in jenen Momenten als Schicksal ein, in denen es eine Wendung zum Besseren geben kann.

Das Staatsorchester musizierte voller Energie

Dabei als Schicksalswaltende stets unsichtbar für die über ihren Armen und Köpfen dahinschwebende Cinderella. Ein originelles Alleinstellungsmerkmal unter den zeitgenössischen choreografischen Adaptionen ist sowas zwar nicht, die Power des gesamten Abends aber beflügelt. Und musiziert wurde im Nationaltheater volle Kanne. Zu Recht gab es Bravos für Dirigent Gavin Sutherland und das von Dynamik sprühende Bayerische Staatsorchester.


Nächte Vorstellungen: Donnerstag, 25. November, sowie 3. (mit Livestream-Übertragung) und 12. und 26. Dezember,  21 85 19 20. Der Livestream vom 3. Dezember ist auch im Falle einer Theaterschließung zu sehen.

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