Castorfs "Götterdämmerung" spaltet das Publikum
Bayreuth/München - Das lässt sich Frank Castorf nicht entgehen. Sich nochmal so richtig in die Buh-Brandung zu werfen, mit dieser gelangweilten „Ihr schnallt's doch eh nicht“-Miene. Bald zeigt er wieder mal auf seine Uhr, den Viertelstunden-Rekord nach der „Götterdämmerungs“-Premiere im letzten Jahr muss er nicht mehr überbieten , trotzdem soll sich hier bloß keiner zu früh freuen: Seelenruhig bedankt sich der Volksbühnen-Haudegen bei jedem Einzelnen seines Regieteams per Handschlag, salutiert ins Publikum, man verteilte gestische Spassetl, während Entrüstung und Zustimmung zu orkanartigem Tumult hochkochen.
Schlau, wer solches in die Länge ziehen kann, so geht man in die Festspielgeschichte ein. Bei Patrice Chéreaus „Ring“ in den Siebzigern kam es zu Schlägereien, für Wagner-Gänger, egal auf welcher Seite sie damals handgreiflich wurden und schrien, entstand ein Heldenepos, das bis heute mit glänzenden Augen deklamiert wird. Machen wir uns nichts vor, in ein paar Jahren wird man lächeln. Aber zur Legende taugt Castorfs „Ring“ nicht. Auch wenn der alte Mythen-Metzger davon insgeheim träumen mag.
Dafür drückt ihm just der Mann, der hier ganz Großes entstehen ließ, einen dicken Schmatz auf die Wange: Kirill Petrenko kann eben teilen. Was man dem Herrscher über die Bühne kaum nachsagen mag. Zu oft vereinnahmt Castorf diesen „Ring“, ballert mit Bildern und einem Hin und Her der Schauplätze, die immer wieder von der Musik ablenken – und nicht selten ganz andere Geschichten erzählen. Nur: Mit der langsamen, bis ins letzte Detail durchdachten Steigerung vom leise sich entfaltenden Es-Dur-Akkord im „Rheingold“ bis zum mächtigen Weltenbrand am Ende der „Götterdämmerung“ hat sich der Graben dann doch durchgesetzt. Und man lernt durch Petrenko ja auch, neu zu hören, auf Mikrostrukturen zu reagieren.
Was am Anfang streckenweise noch zum Verpuzzelten tendierte, weitete sich, nahm Raum ein, ohne je übermächtig zu werden. Schon, weil der Stoff, der allzu leicht süchtige machen kann, stets durchsichtig blieb, jede Instrumentengruppe auszumachen war, fassbar und doch aus einer anderen Galaxie. Das ist unerhört, im umfassenden Wortsinn. Und damit hat Petrenko mit seinen sagenhaft konzentrierten Musikern alles und jeden gerettet.
Mancher aus dem illustren „Götterdämmerungs“-Personal wollte das nicht erkennen und bretterte gnadenlos drauf los. Lance Ryan etwa dröhnt als Siegfried problemlos durch jeden Ohrstöpsel und gefiel allenfalls als tiefergelegter Gunther auf dem Wohnwagen-„Walkürenfelsen“ zwischen gammligem Berliner Hinterhof mit Döner-Bude und dem DDR-Charme von Plaste und Elaste. Catherine Foster konnte es gelassener nehmen als in den letzten beiden Vorstellungen, wenn's drauf ankommt, findet diese Brünnhilde zu glimmenden Höhen.
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Und sonst? Machen vor allem die Damentrios Freude, also die Nornen und Rheintöchter, die in beiden Runden durch die wunderbare Okka von der Damerau verstärkt werden. Gutrune ist mit Allison Oakes ordentlich besetzt, Waltraute (Claudia Mahnke) geht dagegen nicht nur ihrer verliebten Schwester auf den Keks. Und Attila Jun ist nicht nur als Bayreuther Hagen Geschmackssache, mit allzu mächtigem, eindimensionalen Gedröhn schlägt er sich durch seine Intrigen. Alberichs Gebell (Oleg Bryjak) reibt immer noch wie ein Topfreiniger im Gehörgang, und Alejandro Marco-Buhrmester hatte als Gunther einfach einen schlechten Tag.
Da ist tatsächlich Luft nach oben, wie Christian Thielemann zum Auftakt der Festspiele verlauten ließ. Und er sprach bei der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth ganz allgemein vom Sänger-Niveau auf dem Hügel. Für den „Ring“ gilt das in besonderem Maße. Leider. Kirill Petrenko hätte allererste Sahne verdient. Und selbst Castorfs nur bedingt unterhaltsamer Wagner-Schredderei wäre das gut bekommen.
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