"Blaubart-Variationen": Der Bart muss ab
Was verboten ist, weckt natürlich erst recht die Neugier. Im Märchen über den reichen Blaubart darf man aufs Neue lernen, dass ein Bruch mit den – von einem Mann gemachten – Regeln fatale Folgen haben kann. Da nimmt Blaubarts junge Braut eben doch den verbotenen Schlüssel, schließt die verbotene Tür auf und blickt in die Kammer, die von Blaubart zur Tabuzone erklärt wurde.
Ein brutaler Mörder im Deckmantel
Im Innern sieht sie dann ihre sechs Vorgängerinnen tot von der Decke baumeln. Die Blutflecke lassen sich trotz heftigen Bemühens nicht wegputzen. "Warum nimmt sie nicht Chlorbleiche?" wirft Lucca Züchner auf der Kulturbühne Spagat ein und bringt ihren Erzählpartner Thorsten Krohn ins Stutzen. "Mit Chlorbleiche kriegt man alles weg!"
Wer ein altes Märchen aus heutiger Sicht, mit pragmatischem Sinn näher beleuchtet, kann das, was in Stein gemeißelt schien, schon sehr leicht und witzig aushebeln. Erzählt wird hier von einem Mann, der mit seinem blauen Bart zwar auffällt, aber damit nicht gerade den Schönheitsidealen entspricht.
Aufgrund seines Reichtums wirkt er dennoch auf Frauen attraktiv, um sich letztlich jedes Mal als brutaler Mörder zu entpuppen.
Behandelter Stoff regt zum Nachdenken an
Der Märchenstoff bietet sich dazu an, über Geschlechterverhältnisse und insbesondere Gewalt gegenüber Frauen nachzudenken. Unter der Regie von Jochen Strodthoff spielen Lucca Züchner und Thorsten Krohn einige, teils von Strodthoff selbst geschriebene "Blaubart Variationen" durch. Dabei befinden sie sich an einem Ort, der gerade dem Schutz von Frauen und deren Kinder dient.
Die Kulturbühne Spagat liegt im Horizont-Hauses Domagkpark, wo 48 obdachlose Familien einen festen Wohnplatz gefunden haben. Horizont-Initiatorin und Kulturbühnen-Gründerin Jutta Speidel, 2016 mit dem AZ-Sozialstern des Jahres ausgezeichnet, wohnte der Premiere mit spürbarer Freude bei.
Und es gab allen Grund zur Begeisterung, denn Lucca Züchner und Thorsten Krohn, beide bis 2017 Ensemble-Mitglieder an der Schauburg, erwiesen sich als hervorragend eingespieltes Duo. Das Prinzip der Wiederholung durchzieht den ganzen Abend, nicht nur, weil Blaubart immer wieder nach demselben Prinzip seine Bräute zur Neugier verleitet, um sie dann umzubringen, sondern auch, weil der Stoff immer wieder Kreise in diversen kreativen Köpfen zog.
Choreographie unterstützt den gesprochenen Text
Vor allem die Variante von Alfred Döblin, seine Erzählung "Ritter Blaubart" von 1911, wird in Häppchen nacherzählt, im Wechsel mit Gesangsnummern und Sprechpassagen aus anderer Feder. Während sie Döblins feine Prosa auf der Zunge zergehen lassen, vollziehen Züchner und Krohn eine Choreographie in ständiger Wiederholung; Gesten und Bewegungen, die überraschend zur Erzählung passen, sie illustrieren oder Assoziationsräume öffnen, und insgesamt den Eindruck eines Kreislaufs ergeben, der sich ähnlich wie die Rotationen der Gewalt nicht so leicht durchbrechen lässt.
Besonders einprägsam ist eine Geste Züchners, bei der sie sich seitlich neigt und mit der Hand einen unsichtbaren Vorhang hochzieht, um irgendwo hinein zu spicken. Es geht beim Blaubart-Stoff vor allem ums Sehen, ob nun der erzählerische Blick über die Natur streift, oder in geheime Räume eindringt, in wild sprudelnde Fantasien.
Als massive Blickblockade steht auf der kleinen Spagat-Bühne ein großer, farbig leuchtender Kubus. Hinter ihm verschwinden die Darstellenden mitunter, so dass ihre Körper nur von den Schuhen bis zu den Knien zu sehen sind.
Verschiedene Charakterzüge werden dargestellt
Auch wenn so ein großer Klotz den Spielraum eher ungünstig einschränkt, macht das konzeptionell durchaus Sinn. Als Projektionsfläche für ein paar Videos dient der Kubus zudem; Jürgen Reiter, Musiker des Abends, ist dann zu sehen, wie er seinen Bass zupft, sein Bart blaugefärbt, weil ja Blaubart hier auch den Ton angibt.
Oder nicht? So hellwach, frisch und selbstbewusst, wie Lucca Züchner auftritt, kann man schwerlich von einem weiblichen Opfer sprechen. Ihr gegenüber spielt Thorsten Krohn verschiedene fragile männliche Positionen durch – vom leicht aufdringlichen Spielpartner zum nerdigen Grübler bis hin zum aufrechten Ritter und üblen Gewalttäter.
Selbstbestimmung ist das Wort der Stunde
Die ungleichen Geschlechterverhältnisse mitsamt der darin lauernden männlichen Gewalt gehören aufgelöst. Gegen Ende zerschneidet Thorsten Krohn die Vorderwand des Kubus, was bedrohlich aussieht, aber letztlich nimmt er seinen eigenen Raum auseinander. Zuvor hat das Duo sich teils gegenseitig die Gesichter eingeschäumt und den Schaum wegrasiert.
Die Botschaft ist klar: Der patriarchalische (Blau-)Bart gehört endlich ab. Elegant kann Lucca Züchner übrigens auch an der Stange schweben. Pole-Dance ist das, wirkt aber nicht wie ein Spektakel, das für den männlichen Blick gedacht ist, sondern eher wie eine genussvolle Körperübung in Eigenregie, selbstbestimmt und befreit.
Kulturbühne Spagat im Domagkpark, Bauhausplatz 3, wieder am 28. und 29. Oktober, jeweils 20 Uhr, sowie am 30. Oktober, 18 Uhr, Karten 089 540 46 37 47, www.kulturbuehne-spagat.de
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