Kritik

Im Avantgardemuseum: "Le Grand Macabre" im Nationaltheater

Die Opernfestspiele beginnen mit der sehr späten Erstaufführung von György Ligetis einziger Oper in München
Robert Braunmüller
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Benjamin Bruns als Piet vom Fass in György Ligetis Oper "Le Grand Macabre" im Nationaltheater.
Wilfried Hösl 4 Benjamin Bruns als Piet vom Fass in György Ligetis Oper "Le Grand Macabre" im Nationaltheater.
Benjamin Bruns und Michael Nagy (rechts) in "Le Grand Macabre".
Wilfried Hösl 4 Benjamin Bruns und Michael Nagy (rechts) in "Le Grand Macabre".
"Le Grand Macabre" im Nationaltheater
Wilfried Hösl 4 "Le Grand Macabre" im Nationaltheater
"Le Grand Macabre" im Nationaltheater
Wilfried Hösl 4 "Le Grand Macabre" im Nationaltheater

Wenn die Bayerische Staatsoper vor vier Jahrzehnten diese 1978 in Stockholm uraufgeführte Oper von György Ligeti nachgespielt hätte, wäre das ein Knaller gewesen. Inzwischen hat jedes größere Opernhaus zwischen Frankfurt, Dresden und Wien "Le Grand Macabre" aufgeführt, ohne dass eine dieser Inszenierungen nachhaltigeres Interesse erregt hätte.

Nun, ein Jahr nach dem 100. Geburtstag des Komponisten, darf auch München die Erfahrung machen, dass die vom Dirigenten Elgar Howarth eingerichtete Konzert-Kurzfassung "Mysteries of the Macabre" die beste Version bleibt, weil sie eine Inszenierung der Fantasie des Zuschauers überlässt.

An den musikalisch Beteiligten liegt es nicht, dass die erste Premiere der Münchner Opernfestspiele weitgehend enttäuscht. Kent Nagano lässt das Bayerische Staatsorchester klar, kühl und transparent klingen. Die nicht seltenen Ausbrüche bleiben elegant: Sie besitzen die nötige Schärfe, ohne jemals übersteuert zu wirken. Und auch die vielen Instrumentationsgags werden nicht wie in einer Faschingsvorstellung herausgestellt, sondern bleiben in den musikalischen Zusammenhang integriert.

Eine sehr gute Besetzung

Gesungen wird besser und vor allem auch genauer als in früheren Aufführungen, weil auf das früher bei dieser Oper übliche Engagement von Stimmruinen verzichtet wurde.

Alle singen so frisch wie Michael Nagy, der dem dubiosen Weltuntergangsprediger Nekrotzar eine fast heldenbaritonale Wucht verleiht. Die Tenor-Charakterrolle Piet vom Fass ist mit Benjamin Bruns lyrisch und luxuriös besetzt. Sarah Aristodou meistert die Koloraturen der Geheimpolizeichefin mit höchster Präzision, der Countertenor John Holiday übertreibt es als Fürst Go-Go nicht mit der Groteske.

Benjamin Bruns und Michael Nagy (rechts) in "Le Grand Macabre".
Benjamin Bruns und Michael Nagy (rechts) in "Le Grand Macabre". © Wilfried Hösl

Warlikowski zeigt seine Lieblingsfilme

Auch bei den kleineren Rollen bleibt kein Wunsch offen. Was ist also das Problem? Die unheilige Dreifaltigkeit aus Ligeti, der öden Vorlage und dem seit Jahren lethargisch-lustlosen Regisseur Krzysztof Warlikowski, der die Figuren über die Bühne schlurfen lässt und dem Zuschauer nur ein paar wohlfeile Assoziationen hinwirft.

Am Beginn sieht es für Momente ganz gut aus. Das paradiesische Breughelland hat eine dezente Ostblockanmutung, wenn Piet vom Fass mit einer Einkaufstasche herumläuft.  Nekrotzar sitzt als mächtiger Bürokrat vor einem Computer, die übrigen Figuren warten ziellos vor sich hin. Auch der Einfall, dass sich das Liebespaar Amanda (Seonwoo Lee) und Amando (Avery Amereau) mit Hilfe einer Schönheitsoperation der Zeitlichkeit zu entziehen versucht, hat vieles für sich.

Dass alles vordergründig Spaßige zurückgedrängt und die Sadomaso-Erotik zwischen dem Astrologen (Sam Carl) und seiner Gattin (Lindsay Ammann) unterspielt bleiben, ist begrüßenswert. Aber der Regisseur ergeht sich mit Koffern und Grenzsicherungsanlagen nur in Andeutungen darüber, was eine Apokalypse heute bedeuten könnte.

Lieber zeigt er ein paar Lieblingsfilme - in diesem Fall "Intolerance" von David W. Griffith, "Napoleon" von Abel Gance und eine Doku über György Ligeti. Am Ende spazieren drei Astronauten über die Bühne, ohne dass sich das alles zu einer Deutung runden würde. Aber ein intellektuell forderndes Assoziationsfeuerwerk ist es leider auch nicht.

"Le Grand Macabre" im Nationaltheater
"Le Grand Macabre" im Nationaltheater © Wilfried Hösl

Allerdings ist der Regisseur bei dieser Oper generell nicht zu beneiden. "Le Grand Macabre" beruht auf einem Drama von Michel de Ghelderode, das mit seinem Gymnasiastenhumor zu den schwächsten Hervorbringungen der nicht ganz zu Unrecht vergessenen Epoche des Absurden Theaters zählt.

Die Politik-Parodie der beiden Minister (Kevin Conners, Balint Szabó) ist von einer geradezu bestürzenden Einfallslosigkeit. Auch der alberne Volksaufstand gegen den Fürsten Go-Go dürfte unrettbar sein wie die meisten anderen ranzigen Gags.

Flops mit Ansage

Ligeti hat den unsäglichen deutschen Text der Uraufführung in der zweiten Fassung hinter halbwegs erträglichem Englisch versteckt. An der Art und Weise, wie die Oper wie ein bunter Abend von Episode und Episode holpert, merkt man deutlich, dass ihn das Theater wenig interessierte. Bezeichnenderweise hat die berühmt gewordene Autohupen-Ouvertüre ebenso wenig eine szenische Entsprechung hat wie ihre Varianten für Blechbläser und Wecker. Sie bleibt ein Gag.

Und so kunstvoll die Partitur auch Uhren ticken lässt, wenn von der Zeit die Rede ist, so sehr neigt sie zur verdoppelnden Bebilderung, die sich so rasch abnützt wie der die Sängerinnen und Sänger rücksichtslos fordernde Gesang in extremen Höhen und Tiefen.

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Teile des Publikums verließen dieses leicht staubige Avantgardemuseum bereits während der pausenlosen zweistündigen Aufführung. Der verbleibende Rest klatschte kurz und heftig - wie immer, wenn nach der Festspielpremiere ein Staatsempfang lockt.

Übrigens: Ligeti war ein kluger Mann. Er hat auf weitere Opern verzichtet. Man sollte daher die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Intendanten zwischen Paris, München und Salzburg irgendwann einsehen, dass der einst genialische Warlikowski ausgebrannt ist. Aus unerfindlichen Gründen hetzen sie ihn als Jean-Pierre Ponnelle des modernen Regietheaters von Premiere zu Premiere. Und so steht der nächste Flop mit Ansage bereits vor der Tür: Mieczyslaw Weinbergs "Der Idiot" am 2. August in der Felsenreitschule der Salzburger Festspiele.

Wieder heute, 4. 7. Juli sowie am 20., 23. und 26. Oktober im Nationaltheater. Karten vorhanden

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