Kritik

"Atemprotokolle" in den Kammerspielen: Vor allem zuhören

Miriam Tscholls szenische Lesung über das Leben und Sterben mit dem Corona-Virus in den Kammerspielen.
Michael Stadler |
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Die Lesung der "Atemprotokolle" in den Kammerspielen.
Die Lesung der "Atemprotokolle" in den Kammerspielen. © Judith Buss

Es kann schon sehr überraschend sein, wenn ein Mensch sich einfühlsam zeigt. Und manchmal kommt die Empathie von unerwarteter Seite. Da ruft eine Ärztin früh morgens die Frau eines Corona-Kranken an. Er liegt schon länger auf der Intensiv-Station, und da die Ärztin das Gespräch mit "Es tut mir wahnsinnig leid…" beginnt, weiß die Frau schon genau, dass jetzt ganz schlechte Nachrichten kommen werden. Aber was sagt sie zur Ärztin? "Ach Gott, Sie Arme, jetzt müssen Sie diesen Anruf machen."

Roswitha heißt die Dame - so wird sie jedenfalls genannt in der szenischen Lesung, die Miriam Tscholl im Schauspielhaus der Kammerspiele eingerichtet hat. Tscholl hat 25 Interviews im Klinikum Nürnberg Nord geführt, mit Menschen, deren Leben von Covid existenziell beeinflusst wurde und weiterhin wird: Klinikpersonal, Angehörige von Verstorbenen, Genesene. Das üppige Gesprächsmaterial hat Tscholl dann zu einem 90-minütigen Abend verdichtet, der nicht viel der Inszenierung bedarf, um zu berühren.

Atemgeräusche in der gespannten Stille des Saals

So sitzen sieben Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Bühne, es ist ein zusammengewürfeltes Team aus Ensemblemitgliedern der Kammerspiele, der Schauburg und des Staatstheaters Nürnberg. Gemeinsam blättern sie die Seiten um, lesen den Text im Wechsel vor, während Konstantin Ischenko am Akkordeon musikalische Intermezzi einstreut, einzelne Stellen behutsam untermalt und mitunter, durch Langziehen des Akkordeonkörpers, Luft einholt: Atemgeräusche in der gespannten Stille des Saals. Aus den Interviewpartnern werden regelrechte "Figuren" konturiert. Annette Paulmann ist zum Beispiel Roswitha, die einfühlsame Dame, deren Mann sich durch seinen Humor auszeichnete, ja, wenn ihm alleine im Auto langweilig wurde, hat er sich sogar selbst Witze erzählt - und lachte darüber!

Solche Details lassen die Opfer der Pandemie noch plastischer vor Augen treten; noch schmerzlicher lassen sich die Verlustgefühle der Angehörigen nachvollziehen. Virus-Geschichten hat man ja eigentlich genug gehört. Und der Titel des Abends, "Atemprotokolle - Über das Leben und Sterben mit Covid auf der Intensivstation", ist auch nicht gerade eine attraktive Headline, die ins Theater lockt. Aber der Besuch lohnt sich, denn, so sagte es auch ein Zuschauer beim Publikumsgespräch nach der Premiere: Dadurch, dass hier nicht die Betroffenen selbst erzählen, sondern andere ihre Sätze übernehmen, kann man sich in diese sehr privaten Geschichten umso leichter hineinfallen lassen.

Eine Virus-Erkrankung ist nun mal keine Privatsache

Die theatralische Vermittlung hilft also der Einfühlung auf die Sprünge; die ganze Pandemie ist ja auch ein einziger Empathie-Test: für das Personal der Intensivstation, dass auch immer wieder damit ringt, in den Menschen, die da künstlich beatmetet vor ihnen in den Betten liegen, nicht irgendwann nur noch Objekte zu sehen. Und für uns alle, die wir dazu aufgerufen sind, über den eigenen Tellerrand zu schauen, weil eine Virus-Erkrankung nun mal keine Privatsache ist. Zu den Impfverweigerern haben die Ärzte und Pfleger eine recht einhellige Meinung. Von Wut ist die Rede, von der Befürchtung, im Umgang mit den Ungeimpften ein Arschloch zu werden.

Aber auch davon, dass jede und jeder gleichbehandelt werden muss. "Es ist ja nicht so, dass die morgens aufwachen und sagen: 'Ah, zurzeit ist Covid, ich lasse mich nicht impfen.'", meint ein Klinik-Seelsorger. "Alle haben ja eine Geschichte."

Und so sollte man vor allem zuhören. Eine szenische Lesung, so gut gebaut und performt wie hier, bringt einem das Zuhören auch (wieder) bei. So hört man, recht heiter, von Bestechungsversuchen gegenüber dem Personal mittels Geschenkekörben ("Meine Frau MUSS das überleben!"), von Pflegekräften, die ermüdet von einer langen Schicht abrupt in Gesang ausbrechen - und die in völlig überfordernde Multi-Tasking-Situationen geraten, so dass sie einem sterbenden Menschen nicht mal fünf Minuten die Hand halten können. Das Fazit liegt, wenig überraschend, nahe: "Ich muss kündigen."

Atemprotokolle: Es gibt auch positive Momente

Oder man hört die Geschichte zweier Schwestern, gesprochen von Leoni Schulz und Pius Maria Cüppers, von denen die eine virus-erkrankt ins künstliche Koma versetzt werden muss, so dass die andere schon in der Patientenverfügung nachschaut. Und froh ist, dass ihre Schwester doch am Leben gehalten wurde, weil die wie durch ein Wunder wieder erwachte und gesund wurde.

Solche positiven Momente gibt es durchaus, der technische Fortschritt erweist sich sogar als Segen: Im Klinikum Nürnberg Nord zählte man zu den Ersten, die Tablets einsetzten, damit die stark isolierten Virus-Erkrankten wenigstens per Bildschirm mit ihren Lieben da draußen kommunizieren konnten.

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Der Abend handelt auch von Abschieden, die aufgrund der Corona-Bestimmungen nicht im direkten Kontakt stattfanden - oder ganz ausblieben. Das einsame Sterben auf der Intensivstation erscheint als tragisches Ende, traurig und wütend kann man da werden. Oder wie Roswitha eine tröstliche Perspektive finden: "Lange dachte ich: Gott, warum war ich nicht bis zum Schluss bei ihm? Inzwischen denke ich, das war okay. Für ihn war das vielleicht die Ruhe, die er brauchte."


Eine weitere Vorstellung gibt es in den Kammerspielen am Montag, 21. Februar, 20 Uhr; Karten unter muenchner-kammerspiele.de und Telefon 089 233 966 00; Aufführungen am Nürnberger Staatstheater: 9. und 17. März, jeweils 19.30 Uhr, Karten unter staatstheater-nuernberg.de

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