Kritik

"Das schlaue Füchslein" in der Staatsoper: Tiere ohne Mitleid

Bayerische Staatsoper: Leos Janaceks Oper "Das schlaue Füchslein" neu inszeniert von Barrie Kosky und dirigiert von Mirga Grazinyte-Tyla.
Michael Bastian Weiß |
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Elena Tsallagova und Angela Brower als Fuchspaar in Barrie Koskys Inszenierung im Nationaltheater.
Elena Tsallagova und Angela Brower als Fuchspaar in Barrie Koskys Inszenierung im Nationaltheater. © Wilfried Hösl

München - Die lustigste Szene ist die mit den Hühnern. Cancan-Tänzerinnen in kükengelben Kleidern sitzen auf der Stange und schlagen gackernd die Beine übereinander, angefeuert vom Tenor Andres Agudelo, mit seinem Zylinder eindeutig der Hahn im Korbe. 

Beim munteren Massaker zerstieben die Federn

Als das titelgebende Fuchsmädchen Schlaukopf, von Elena Tsallagova mit kindlichem Übermut gespielt, die Unterdrückung der Hühner durch den Hahn erkennt, ruft es gleich zur Revolution auf. Dann aber setzt sich der tierische Instinkt durch. Beim munteren Massaker zerstieben die Federn und fliegen abgerissene, bestrumpfte Hühnerschenkel herum (Kostüme: Victoria Behr).

Erotik im tschechischen Zauberwald: Elena Tsallagova und Angela Brower als Fuchspaar in Barrie Koskys Inszenierung im Nationaltheater.
Erotik im tschechischen Zauberwald: Elena Tsallagova und Angela Brower als Fuchspaar in Barrie Koskys Inszenierung im Nationaltheater. © Wilfried Hösl

Barrie Kosky ist da zunächst einmal guter Slapstick gelungen, handwerklich keine der leichtesten Aufgaben. Die Gleichzeitigkeit von Komik und Gewalt stimmt aber auch mit dem Geist von Leos Janaceks Oper "Das schlaue Füchslein" überein.

Bei den Tieren setzt kein menschliches Mitleid ein

Die Grausamkeit der Füchsin Bystrouska ist unschuldig, weil sie natürlich ist. Koskys Inszenierung bleibt jedoch bei dieser Aussage nicht stehen.

Nach dem fröhlich-brutalen Kehraus des ersten Aktes rennt ein halb geschlüpftes Küken in Eierschalen panisch kreischend über die Bühne des Nationaltheaters. Das ist schon nicht mehr so lustig. Denn beim Menschen setzt etwas ein, was die Tiere zumindest so nicht zeigen können: Mitleid.

Klingt philosophisch? So ist es auch gemeint. In Janaceks Oper werden nicht etwa die Tiere vermenschlicht. Eher werden die Fehler der Menschen als natürlich entschuldigt. Pfarrer und Schulmeister (Martin Snell/Jonas Hacker) sind dem Alkohol bedenklich zugetan. Der Lehrer will vergessen, dass seine Liebste einen anderen heiratet, einen Rivalen, den Milan Siljanov mit entmutigender baritonaler Attraktivität auftreten lässt.

Barrie Kosky geht es  nicht um die Diffamierung der Figuren

Der Förster linst Zigarette rauchend aus dem Fenster auf die spielenden Mädchen in ihren Kleidchen. Gut, dass die lyrischen Qualitäten des Heldenbaritons von Wolfgang Koch ihn davor bewahren, wie ein schmutziger alter Mann auszusehen.

Wolfgang Koch als Förster.
Wolfgang Koch als Förster. © Wilfried Hösl

Denn es geht Barrie Kosky nicht um die Diffamierung der Figuren. Umgekehrt: Am Ende wird Koch von der allgegenwärtigen Dunkelheit verschluckt wie in den Tiefen des Alls (Licht: Franck Evin). Die Situation des Menschen, so die Botschaft, ist ein Gesetz von geradezu kosmischer Dimension.

Bild- und Farbdramaturgie verhindert ein Abgleiten ins Kitschige

Auf der Bühne von Michael Levine macht sich aber keine graue Allgemeinheit breit. Lametta-artige Fäden regnen oder schneien von der Bühne, den Wechsel der Jahreszeiten symbolisierend.

Wenn das Füchslein erschossen wird, senkt sich ein roter Vorhang über die Szene wie frisches Blut. All dies ist wunderschön anzuschauen, immer kurz davor, in den Kitsch zu kippen, was allein die hoch reflektierte Bild- und Farbdramaturgie verhindert.

Sicherheit steht für Dirigentin Mirga Grazinyte-Tyla an erster Stelle

Barfuß, blass, im kurzen Leibchen, erinnert auch Elena Tsallagova daran, dass das Füchslein an der Schwelle zur Füchsin steht. Die Sopranistin beginnt die Szene, in der sie den netten Fuchsjungen (hinreißend angeberisch: Angela Brower) kennenlernt, als Mädchen und beendet sie als Frau.

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An diesen Momenten müsste eigentlich die Musik aufrauschen. Es ist aber nicht der Ansatz der Dirigentin Mirga Grazinyte-Tyla, sich in Janaceks hypnotischer Klangphantasie zu verlieren. Sicherheit steht für die gebürtige Litauerin an erster Stelle, die sie mit eindeutigem Schlag garantiert.

Dass das Bayerische Staatsorchester geschmeidiger klingen kann, dass die geläufige Technik in Routine zu münden droht, dass Frau Grazinyte-Tyla die Höhepunkte der so bedeutenden Orchesterzwischenspiele nicht langfristig vorbereitet und somit einiges an Effekt verschenkt, sei nicht verschwiegen. Das Kippeln zwischen komischem Slapstick und kosmischer Weisheit, das Barrie Kosky so virtuos beherrscht, ist ihre Sache nicht.


Weitere Aufführungen am 3., 10. Februar (19.30 Uhr), 6. Februar (17 Uhr), 7. Februar (11 Uhr), 12. und 15. Februar (19 Uhr) im Nationaltheater. Karten unter Telefon 2185 1920 und unter www.staatstheater-tickets.bayern.de. Am 3. Februar wird die Oper ab 19 Uhr auf BR-Klassik übertragen.

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