Aribert Reimann über seine Oper "Lear"

Ein Gespräch mit Aribert Reimann über seine Oper „Lear“, die ab Sonntag bei den Salzburger Festspielen zu sehen ist
von  Michael Bastian Weiß
Aribert Reimanns "Lear" in der Felsenreitschule.
Aribert Reimanns "Lear" in der Felsenreitschule. © Thomas Aurin

Ein Gespräch mit Aribert Reimann über seine Oper „Lear“, die ab Sonntag bei den Salzburger Festspielen zu sehen ist

Vor fast 40 Jahren wurde Aribert Reimanns „Lear“ nach William Shakespeare an der Bayerischen Staatsoper uraufgeführt. Der Komponist erlebte mit dieser Oper seinen Durchbruch. Sie wurde seither fast 30 Mal neu inszeniert. Die Premiere am Sonntag in Salzburg dirigiert Franz Welser-Möst. Gerald Finley singt den Lear, Simon Stone inszeniert.

AZ: Herr Reimann, bevor Sie mit dem „Lear“ begannen, schien ein Fluch auf dem Stoff zu lasten, an dem Giuseppe Verdi gescheitert ist. Hat Sie das beeinflusst?
ARIBERT REIMANN: Das hat mich natürlich beim Schreiben ein bisschen belastet, aber ich habe das dann letztlich von mir weggetan. Ich wollte ja das Stück schreiben und habe mich dann von diesem Damoklesschwert getrennt.

Was war Ihre eigene Motivation dafür, dieses Projekt in Angriff zu nehmen?

Was mich damals am meisten bewogen hat, das zu machen, war die Szene in der Heide. Aber bis dahin ist es natürlich im Stück ein langer Weg, das ist ein Echo auf das, was vorher geschieht, und ich musste das ja erst einmal so aufbauen, dass es dann zusammenbrechen kann. Den Sturm aufzubauen, war eines der ganz großen Probleme während des Schreibens. Man hat eine Vorstellung, ich höre ja absolut, aber es ist eine andere Sache, diese zu Papier zu bringen.

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Wie haben Sie das dann gemacht?
Den spezifischen Klang für den Sturm hatte ich schon vorher im Kopf, und es war die Frage, wo beginne ich damit, was ist der Auslöser dafür. Das hat mich immer wieder beschäftigt. Es gibt einen Moment, wenn der Lear merkt, dass auch sein Gefolge nicht mehr an seiner Seite ist, markiert durch den Satz: „Was steht ihr da und glotzt?“. In diesem Moment fängt der Sturm an, er steigt in Lear hoch und kommt als Element auf ihn zurück. Von da an baut sich das auf und alles andere wird da hineingesetzt und fängt an, sich zu bewegen.

Hat Sie die immense, körperliche Intensität des ersten Teils damals selbst überrascht, als Sie die Oper das erste Mal in voller Gestalt gehört haben?
Das war schon so konzipiert. Ich konnte erst richtig zu komponieren beginnen, als ich ganz genau wusste, wie das Stück aufhört. Das Ende habe ich vorher schon im Kopf gehabt. Ich musste den Bogen dahin spannen, das ist bei meinen anderen Opern auch der Fall. Das gibt mir die Möglichkeit, darauf hinzuzielen, natürlich mit Zwischenzielen, man zieht ja dann sozusagen Pflöcke ein. Die Frage lautet immer: Wie komme ich dahin?

Ist es für Ihre gegenwärtige kompositorische Arbeit ein Problem, dass Sie durch die vielen Neuinszenierungen des „Lear“ immer wieder mit Ihrer bereits geschriebenen Musik konfrontiert werden?
Nein, eigentlich nicht. Zwischen „Lear“ und meiner neuen Oper „L’invisible“ nach Maurice Maeterlinck, die im Oktober in Berlin uraufgeführt wird, liegen fünf Opern, und jede ist anders. Ich selbst kann es ja selbst nicht so gut beurteilen, aber ich vermute, dass man immer wieder meine Sprache entdeckt. Entweder man hat als Komponist eine Sprache, oder man hat sie nicht. Aber der kompositorische Umgang mit dem Material hat sich immer wieder in eine andere Richtung verschoben.

Der „Lear“ ist nicht zuletzt durch das Riesenorchester ein sehr komplexes Stück.
Es gab beispielsweise immer wieder Probleme mit der großen Schlagzeugbesetzung. Hier in der Felsenreitschule in Salzburg, einem sehr großen Raum, ist das Schlagzeug auf einer Seite oben postiert, was klanglich geradezu ideal ist. Der „Lear“ war ja meine erste Oper mit so viel Schlagzeug, später habe ich das wieder reduziert.

Ist im „Lear“ das Schlagzeug auch jene Ebene, auf der die indischen Einflüsse stattfinden, die für das Stück behauptet wurden? Ich finde es schwer, diese zu entdecken.
Das verfolgt mich immer wieder, weil ich 1958 in Wien ein Semester Musikwissenschaft studierte und wir dort am ethnologischen Institut indische Rhythmen übertragen haben. Jeder hatte sein eigenes Notensystem. Ich habe viel dabei gelernt, besonders über rhythmische Vielfalt, aber ansonsten hat das mit meiner musikalischen Sprache nichts zu tun.

Charakteristisch für die Partitur Ihrer Oper „Lear“ ist die Gleichzeitigkeit von rhythmisch frei notierten Passagen, gerade in den Gesangsstimmen, und den überaus genau notierten Rhythmen im Orchester.
Davon habe ich mich später verabschiedet, weil es sehr viel Probenzeit frisst. Jeder Dirigent findet da seinen eigenen Weg hinein. Aber innerhalb des Taktgefüges ist es manchmal ein kleines Problem, das zu koordinieren. Es gibt auch mittlerweile mehrere Aufnahmen, an denen man sich orientieren kann.

Sind die Aufnahmen nicht auch ein Problem, gerade die erste Einspielung mit dem Sänger der Uraufführung, Dietrich Fischer-Dieskau, der ja eine sehr starke erste Interpretation der Rolle vorlegte?
Jeder Sänger reagiert darauf anders. Manche wollen sich gar nichts anhören, manche hören sich das an. Für viele ist das eine kleine Stütze. Ich habe auch nichts dagegen. Eine Kopie entsteht dabei nie, weil jeder Sänger das anders empfindet und es dann anders macht. Hier in Salzburg sind die Sänger hervorragend und jeder findet seinen eigenen Weg hinein.

Premiere am Sonntag, 20. August, 19.30 Uhr. Weitere Aufführungen am 23., 26., 29. August, Karten unter Telefon (00 43) 662 8045 500 oder auf der Homepage www.salzburgfestival.at

 

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