Albtraumhafte Demontage: "Baumeister Solness" in den Kammerspielen
München - Der Mann, der vor den Eisernen Vorhang im Schauspielhaus der Kammerspiele tritt, wirkt leicht nervös im Scheinwerferlicht. Er rückt sich seine Brille zurecht, liest von einem Zettel eine Rede ab, in der er das eingeladene Publikum begrüßt und von seiner Karriere als Baumeister spricht. "Ich bin schon lange der Ansicht", sagt er, "dass ein Gebäude nicht nur schön aussehen soll, sondern den Menschen Sicherheit und Selbstvertrauen schenken und es erlauben soll, sich selbst zu verwirklichen."

Später, wenn die tiefliegenden Geheimnisse des Baumeisters Halvard Solness ans Licht gekommen sind, wird seine Gattin Aline ganz anders von der Architektur und dem Werk ihres Mannes sprechen. "Die ganzen Häuser helfen den Menschen gar nichts", ruft sie verbittert. "Er stellt sie in die Landschaft, stellt sich in die Landschaft, Traumhäuser für einen Schlaf, der in die Glieder kriecht und alles taub macht."
Zeitgenössische Perspektiven
Solche Sätze stammen nicht aus Henrik Ibsens Stück "Baumeister Solness", uraufgeführt 1892, sondern sie gehören zu den Texten, die Gerhild Steinbuch dem Klassiker hinzugefügt hat. Steinbuch war eine von drei Autorinnen, die Ibsens "Nora" für Regisseurin Felicitas Brucker um einige zeitgenössische Perspektiven erweitert hat.
Nun eröffnen Steinbuchs Texte auch in Bruckers nächster Ibsen-Inszenierung Einblicke in das Innere der Figuren. Es sind poetische, bruchstückhafte Texte voller klaffender Lücken, aus denen eine Verzweiflung herauskriecht, die beim Zuhören kaum auszuhalten ist.

Ibsens Figuren tragen von Anfang an eine erhebliche Last mit sich herum, die Vergangenheit steckt ihnen in den Gliedern. Man muss sich nur Katharina Bach anschauen, wie sie nach dem Heben des Eisernen Vorhangs im Dauerkreisen der Drehbühne als Aline in den Blick gerät. Das Trauma von Solness' Gattin hat Bach sich in ihren agilen Körper beklemmend hineingearbeitet, ihr blass geschminktes Gesicht ausdruckslos, die Augen auf einen Schrecken blickend, der permanent im Gedächtnis lauert.
Über allem liegt ein Trauma
Im Haus von Alines Mutter haben Halvard und Aline einst gewohnt. Zwei Jungen hatten sie, die ums Leben kamen, als das Gebäude eines Nachts niederbrannte. Elias Krischke und Konstantin Schumann tauchen als geisterhafte Erscheinungen in kurzbehosten Uniformen auf - Zwillinge aus dem Jenseits, die von der Brandnacht und ihrem Flammentod im verknappt-lyrischen Steinbuch-Sound berichten.
Das Feuer und mit ihm das Trauma ist ständig präsent auf Viva Schudts Bühne: Auf riesigen bemalten Prospekten dominiert in übereinander gelagerten farbigen Ebenen das Rot. Ein flammenartiges Gebilde fährt gegen Ende vom Bühnenhimmel herab. Aline hängt sich daran, hängt herab wie eine Tote.
Im Inneren eines Häuschens, dessen Konturen mittels leuchtender Neonlinien betont werden, stehen kleine Stühle und ein Haufen Puppen liegt darin, eine baumelt zwischendurch wie erhängt von der Decke. Neun Puppen besaß Aline Solness, sie waren ihr lieber als ihre beiden Söhne, und auch diese Puppen sind bei dem Feuer verbrannt. Schwarze, zentral gesetzte Stellwände künden von dem Werk des Baumeisters, der für Aline und sich gerade noch ein neues Haus baut. Zwei Kinderzimmer soll es darin geben wie in dem, in dem sie gerade leben, Zeichen dafür, dass beide nicht loslassen können.
Plagende Schuldgefühle
Das Leben als Baustelle zwischen tragischer Vergangenheit und vom Trauma bestimmter Gegenwart lässt sich in dieses Bühnenbild hineinlesen, das Bauen und Abbauen eignet sich als Metapher für die ganze Inszenierung. Gegen Ende puzzeln Bühnenarbeiter die schwarzen Stellwände auseinander und tragen sie hinaus, die Demontage des Baumeisters ist da schon im vollen Gange. Seine Karriere hat Solness auf dem damaligen Unglück aufgebaut, konnte er doch anstatt Kirchen endlich teure Wohnhäuser und Villen errichten, just auf dem Grundstück des verbrannten Elternhauses seiner Frau.

Dass er an dem Feuer nicht ganz unschuldig war, gibt Solness irgendwann zu. Die Schuldgefühle, die ihn plagen, macht Thomas Schmauser deutlich spürbar. Dank ihm wird Solness nicht zu einem Abziehbild toxischer Männlichkeit. Stattdessen entwirft Schmauser eine dreidimensionale Figur zwischen Machtgehabe, beharrlich gepflegten Lebenslügen und freimütig offenbarten Ängsten. So skrupellos und autoritär Solness ist, so bemitleidenswert ist er auch, Täter und Opfer der Umstände zugleich.
Als Mann um die 50 bangt Solness um seine Kräfte, er baut ab und hat Angst, von der aufstrebenden Jugend abgelöst zu werden. Sein alter Mitarbeiter Knut Brovik, dessen Chefposten Solness einst übernahm, ist krank und erwägt verschiedene Möglichkeiten des Freitods. Edmund Telgenkämper stattet ihn mit suizidaler Mattigkeit aus. Broviks Sohn hat indes eigene Entwürfe gezeichnet, aber Solness will ihm keine Chance geben. In einem furiosen Monolog entwickelt Elias Krischke eine rot beleuchtete Gewaltphantasie, die in dem Fazit endet: "Ich bin die Zukunft. Wenn man mich lässt."
Spielerische Luftigkeit
Die Jugend - und die Schuld - klopft noch in Gestalt einer weiteren Figur an: Hilde Wangel steht vor Solness' Tür, eine 22-Jährige, die Solness zehn Jahre zuvor "hintüber beugte" und "küsste". Annika Neugart spielt diese junge Frau im schwarzen Tüllkleid über der Jogginghose (Kostüme: Henriette Müller) mit der Ruhe eines Racheengels, der unerbittlich einen Plan verfolgt und mit dem Baumeister ein Spiel spielt, das sogar zu einem musikalisch-tänzerischen Moment zwischen den beiden führt.
Bei aller bedrückenden Schwere lässt Felicitas Brucker eine spielerische Luftigkeit zu, die den Abend jederzeit spannend und unberechenbar macht. In ihr sechsköpfiges Ensemble vermischt sich, passend zur Generationenkluft im Stück, ein eingespieltes Team um Thomas Schmauser, Katharina Bach und Edmund Telgenkämper mit jungen Schauspielern, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen und die Kammerspiele-Bühne für sich erobern.
Als zwei Traumatisierte finden Hilde Wangel und Aline Solness am Ende zu einer Suade zusammen, die fast schon zum Rap mit chorischen Passagen wird. Der Abend ist streckenweise furios und bedrückend, ein Albtraum von Schuld und erzwungener Sühne, von Daniel Murenas Musik düster angetrieben, hervorragend gespielt und interessant gebaut bis zum Schluss.
Nächste Aufführungen: 29.11. sowie 10., 12., 17.12., 20 Uhr; 26.12, 18 Uhr, Karten unter 233 966 00
- Themen: