Interview

US-Präsident Trump und seine Amtszeit: "Morbide Faszination"

Politikwissenschaftler Stephan Bierling zieht im Buch "America First" eine Bilanz von Trumps Amtszeit.
Volker Isfort
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US-Präsident Donald Trump bei einer Veranstaltung mit dem Titel "Latinos für Trump".
US-Präsident Donald Trump bei einer Veranstaltung mit dem Titel "Latinos für Trump". © Ross D. Franklin/AP/dpa

München - Vorsichtig formuliert könnte man wohl von der ungewöhnlichsten Präsidentschaft sprechen, die Donald Trump ausübt. Wie aber sieht seine bisherige politische Bilanz im Weißen Haus wirklich aus? Politikwissenschaftler Stephan Bierling hat mit "America First" ein überaus packendes Buch verfasst, das er heute im Amerikahaus vorstellt.

AZ: Herr Bierling, frühmorgens am 9. November 2016 stand fest, dass Donald Trump die Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte. Was dachten Sie damals?
STEPHAN BIERLING: Ich war erstaunt und auch entsetzt, aber nicht nur darüber, dass Trump es wirklich geschafft hatte. Ich war entsetzt, dass wir in der Politikwissenschaft, in der Amerikaforschung und auch im Journalismus offenbar das Phänomen nicht richtig verstanden oder unterschätzt hatten.

Und dann dachten Sie, es wird wohl nicht so schlimm werden?
Trump war ja ein politischer Nobody, der niemals ein Amt innegehabt hatte oder über militärische Erfahrung verfügt hätte. Zum ersten Mal war ein amerikanischer Präsident so unbeleckt ins Amt gekommen. Wir kannten alle seine hetzerischen Reden aus dem Wahlkampf, glaubten aber trotzdem, dass die Granden aus der Republikanischen Partei, die Profis aus der Bürokratie, die starken Leute aus dem Kabinett ihn etwas eindämmen würden.

Ihr Buch liest sich wie ein Schauermärchen, Trumps Präsidentschaft als kontinuierliche Steigerung des Wahnsinns.
Die Hoffnung, dass sich eine gewisse Einordnung des Präsidenten in das politische System vollziehen würde, ist rasch kleiner geworden. Jimmy Carter kam auch als Rebell gegen die Hauptstadtelite, Ronald Reagan wollte von Kalifornien aus Washington aufmischen, beide haben sich aber sehr schnell Berater aus dem Kongress geholt, weil sie wussten, dass sie mit den politischen Institutionen zusammenarbeiten müssen, um effektiv zu sein. Trump ist einen ganz anderen Weg gegangen, indem er die Republikanische Partei und das politische System völlig auf sich ausgerichtet hat. Er interpretiert seine politische Kompetenz sehr extensiv, manche sagen: fast bis an die Grenze zum Verfassungsbruch. Dass er so weit gehen würde, haben wir uns als politische Beobachter nicht vorstellen können.

Stephan Bierling.
Stephan Bierling. © privat/dpa

Bierling: Diese drei großen Gruppen bedient Donald Trump

Bis Corona kam, hatte er zumindest Teilerfolge vorzuweisen: ein wirtschaftlicher Boom, nahezu Vollbeschäftigung.
Seine ureigenste Wählerklientel, die Trump ins Weiße Haus gehievt hat, damals mit 46 Prozent der Stimmen, hat er im Grunde recht gut bedient. Es handelt sich hierbei um drei große Gruppen: die Wirtschaftsliberalen, die weniger Regulierung und Steuern wollten, die Evangelikalen, die in Trump die letzte Rettung gegen die Säkularisierung der Welt sehen, und natürlich die Wutbürger, die vom politischen System enttäuscht sind. Alle drei Gruppen hat Trump bedient, er hat nie versucht, ein Präsident für das ganze Land zu werden.

Die "Washington Post" hat bislang 20 000 Lügen von Donald Trump in seiner Präsidentschaft gezählt. Das stört seine Anhänger nicht?
Nein, Trump kann machen, was er will, es stört seine Anhänger nicht. Wir leben nicht mehr in den Zeiten, als es noch eine große Mitte an Wechselwählern gab. Die Polarisierung hat sich in den USA in den letzten Jahrzehnten dramatisch verstärkt - auch schon vor Trump. Wir haben, überspitzt gesagt, zwei "Stämme", den der Trump-Anhänger und den der Demokraten. Das Schreckliche für die Demokratie ist, dass sich beide Seiten nichts mehr zu sagen haben, unterschiedlichste Medien konsumieren, um ihr Weltbild zusammenzuhalten, und sich kaum noch begegnen. Trump-Anhänger wohnen auf dem Land, sind weiß und älter, demokratische Anhänger leben in den Großstädten und sind ethnisch vielfältiger und jünger. Diese beiden Gruppen treffen weder in Bars noch in Kirchen aufeinander, es bleibt nur noch das Stadion bei Sportereignissen.

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Corona-Krisen-Missmanagement: Sargnagel für Trumps Kampagne?

Wer ist denn nun im Wahlkampf der größere Gegner für Trump - Joe Biden oder Corona?
Vielleicht ist Joe Biden nicht der inspirierendste und dynamischste Kandidat. Ich werde bei meinen Vorträgen oft gefragt, warum die Demokraten überhaupt so einen aufstellen konnten. Er wird, falls er gewählt wird, der älteste Präsident sein, der je ins Weiße Haus eingezogen ist. Aber Biden hat einen großen Vorteil: Er hält die Partei zusammen, die inzwischen in sehr viele Flügel und Partikularinteressen zerfällt. Biden ist eine der ganz wenigen Figuren, der wählbar für alle Flügel der Partei ist, und deshalb ist er für Trump ein viel gefährlicherer Gegner als Hillary Clinton, die er relativ leicht als Überfeministin und Linksradikale diffamieren konnte. Und zu Corona kann man nur sagen: Sein Missmanagement in der Krise kann der Sargnagel für seine Kampagne sein.

Woran machen Sie das fest?
Am Anfang des Jahres stand er bei Meinungsumfragen ein bisschen hinter den Demokraten, als noch gar nicht klar war, wer dort ins Rennen gehen würde. Dann stürzte die Wirtschaft ab und mit ihr Trumps Umfragewerte. Der bayerische Ministerpräsident ist durch Corona auf unglaubliche Popularitätswerte gekommen, zwischenzeitliche 94 Prozent. Trump aber hat sich nie als Landesvater, Kümmerer oder kompetenter Krisenmanager inszeniert, das fällt ihm jetzt auf die Füße.

Trump hat die EU, aber auch Deutschland konkret als "Feind" bezeichnet. Wie ernst sollten wir das nehmen?
Das ist natürlich eine Sprache, die wir so überhaupt noch nicht kannten. Es gibt aber lange gewachsene Bande, die auch Trump nicht so schnell zerstören kann. Er hat die Nato mal für obsolet erklärt, aber das auch nicht weiterverfolgt. Auf der operationellen Ebene läuft die Zusammenarbeit mit Amerika noch immer gut. Aber so spalterisch und unverhältnismäßig die Reden von Trump auch sind, in vielen Punkten geben ihm Deutschland und Europa Anlass zur Klage.

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Bierling: "Amerikas Weltmachtstellung war auch eine ideelle"

Was meinen Sie konkret?
Denken Sie nur an Nord Stream 2, das ist eine "Germany First"-Geschichte, die auch die Interessen unserer osteuropäischen Freunde knallhart untergräbt. Und dass wir die von Trump angemahnten zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in die Verteidigung investieren sollen, haben wir 2014 in einem Communiqué unterschrieben und nie realisiert.

Trump möchte, wie sein Vorgänger, den Friedensnobelpreis. Gestern gab es die Unterzeichnung des Abkommens zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Israel im Weißen Haus. Das hätte Trump niemand zugetraut, oder?
Es ist ein gewisser diplomatischer Erfolg, der sich aber relativ lange abzeichnete, weil die Annäherung zwischen den arabischen Staaten und Israel schon 15 Jahre zurückgeht. Beide haben panische Angst vor einem aggressiven und atomar bewaffneten Iran. Das schweißt Jerusalem und die arabischen Staaten zusammen. Aber der große Erfolg für Trump ist ausgeblieben, das wäre ein Abkommen mit Israel und Saudi-Arabien gewesen. Außerdem ist das Hauptproblem der Region, das Verhältnis zwischen Israel und Palästina, weiterhin völlig ungelöst.

Trump will seine Soldaten von überall her zurück nach Hause holen. Außenpolitisch waren die USA seit 1945 noch nie so schwach wie jetzt. Sind die USA überhaupt noch die führende Weltmacht?
Amerikas Weltmachtstellung war nie nur eine militärische und ökonomische, sondern auch eine ideelle. Bislang hat Trump am stärksten den ideellen Bereich beschädigt. Amerika war immer mehr als ein sowjetisches oder chinesisches Imperium. Verbündete haben sich Amerika immer aus freiem Willen angeschlossen, weil die gleichen Werte geteilt wurden. Das hat sich massiv geändert. Und damit verspielt Trump den größten Vorteil, den er heute noch gegenüber Moskau und Peking hat, nämlich ein gigantisches Allianzsystem, das die Amerikaner nach 1945 aufgebaut haben. Das zu hegen und zu pflegen wäre eine realistische Politik. Wenn der Westen im Handelsstreit mit China geschlossen auftritt, ist die Position viel stärker, als wenn es Trump alleine macht.

Bierling: "Wir müssen die Spaltung der Gesellschaft verhindern"

Hält die US-Demokratie Trump noch vier weitere Jahre aus?
Ich würde sagen ja, aber natürlich mit schweren Schrammen. Je länger Trump regiert hat, desto deutlicher hat er gegen die ungeschriebenen Regeln und Rituale der amerikanischen Verfassung verstoßen. Durch einen Wahlsieg könnte er sich nochmal ermächtigt und gepusht fühlen, dieses Ausloten aller Grenzen noch weiter zu treiben. Das Repräsentantenhaus wird in demokratischer Hand bleiben, aber sollte Trump die Mehrheit im Senat behalten, dann kann er vor allem durch die Besetzung der Richterstellen ein Vermächtnis schaffen, das über vielleicht zwei Generationen andauert.

Was schützt uns eigentlich vor so einer Entwicklung?
Ich habe letztendlich gar nicht so viel Vertrauen in Verfassungen, dass diese ein System schützen können. Das System kann nur durch einen aktiven, aufmerksamen Teil der Bürger geschützt werden, der auch verhindert, dass sich eine Gesellschaft so polarisiert und auseinanderfällt, wie das in Amerika oder zum Teil in England geschehen ist. Wir schauen auf Trump auch deswegen mit dieser fast morbiden Faszination, weil wir nicht mehr so tun können wie damals unter George W. Bush: Wir sahen in ihm einen Cowboy aus Texas, der Krieg im Irak will. Mit dem wollten wir nichts zu tun haben, wir hielten uns für zivilisatorisch weiter und überlegen. Jetzt sehen wir, dass Trump ein Phänomen ist, das den ganzen Westen längst umfasst. Der Brexit war ein halbes Jahr vor Trumps Wahl in einer parlamentarischen Demokratie. Wir kennen Salvini, Strache, Le Pen und die AfD bei uns.

Deren Einfluss scheint derzeit aber eher zu schwinden.
Unser Glück ist bisher, dass wir noch keinen so geschickten Instinktpolitiker wie Trump hatten, der es schafft, eine Partei zu übernehmen, auf seine Figur zuzuschneiden und das politische System zu vereinnahmen. Die größte Verpflichtung für uns ist, dass wir die Spaltung der Gesellschaft verhindern müssen. Wir dürfen die Menschen, die von den gewaltigen Veränderungen der letzten Jahrzehnte eingeschüchtert oder überfordert sind, nicht den Rattenfängern überlassen. Demokratische Parteien müssen auch für diese Menschen wählbar bleiben. Das haben die Demokraten 2016 in den USA einfach übersehen. Da hatte man den Eindruck, dass ihnen Transgender-Bathrooms wichtiger seien als die Zukunft der heimischen Stahlwerke.

Stephan Bierling stellt "America First" (C.H. Beck, 270 Seiten, 16,95 Euro) am Mittwoch um 19 Uhr im Gespräch mit Stefan Kornelius im Amerikahaus vor (die Veranstaltung ist auch auf Youtube zu sehen); Infos zur Lesung unter www.amerikahaus.de

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