Als selbst Franz Josef Strauß keinen Rat mehr wusste

Peter Probst erinnert in seinem neuen Roman "Wie ich den Sex erfand" an das hormonelle Frühlingserwachenin Untermenzing.
Robert Braunmüller
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Peter Probst
Peter Probst © imago stock&people

Bei der Party gab es Salzletten und Ahoj-Brause, später Toast Hawaii. Als Getränke wurde Tri Top in den Geschmacksrichtungen Johannisbeere und Mandarine bereitgestellt - mit der Folge, dass bald der ganze Boden des Hobbykellers klebte. Ein Junge hatte zu Hause Eckes Edelkirsch geklaut. Fünf Mädchen teilten sich zwei Jungen, und der DJ legte nach einiger Zeit nur noch "Je t'aime auf".

Wovon der neue Roman von Peter Probst handelt, sagt der Titel überdeutlich: "Wie ich den Sex erfand" erzählt mit einer Körperflüssigkeiten einbeziehenden Direktheit von der Pubertät in den frühen Siebzigern in den ziemlich biederen Münchner Stadtteilen Ober- und Untermenzing. Das Product Placement diverser kursiv geschriebener Marken sorgt dabei für Lokalkolorit und genießerisches Zungenschnalzen beim lesenden Zeitgenossen.

Die Hauptfigur wächst in einem streng katholischen Elternhaus auf. Das Leibblatt des Vaters ist der "Münchner Merkur": "Da steht die Wahrheit drinnen". Er verdirbt dem Sohn den ersten Partybesuch durch die vorherige Zwangs-Lektüre eines Buchs über Geschlechtskrankheiten. Dann sprengt er im Trachtenanzug die harmlose Veranstaltung im Keller des Pfarrsaals und reicht dem von erwachenden Trieben geplagten Sohn Thomas von Kempens "De imitatione Christi" zur Stillung erotischer Sehnsüchte, weil ihm das Buch im Zweiten Weltkrieg sehr geholfen habe.

Anfangs spricht sogar die Muttergottes zu Peter, später ist es nur noch ein Plakat von Franz Josef Strauß, das ihm der Vater als Schmuck des Kinderzimmers geschenkt hat. Der Große Vorsitzende kann zwar zur Gründung der Schüler-Union raten, aber in sexualibus behält er seine Geheimnisse für sich. Peters Eltern sind auf diesem Gebiet völlig sprachlos, der Brockhaus liefert nur neue Rätsel, der Aufklärungsunterricht eines alten Biologielehrers hilft auch nicht weiter und in der Prä-Internet-Zeit bleiben die für 12-Jährige nur mit Mühe an einem Kiosk zu beschaffende "Neue Revue" und die selbst im "Münchner Merkur" gedruckten Sexkinoanzeigen.

Manches in diesem unterhaltsam-ironischen Roman mag autobiografisch sein: Die Hauptfigur heißt wie der Autor Peter, hegt literarische Ambitionen und schreibt Gedichte im Stil von Hans Carossa. Der damals in Gröbenzell lebende, heute vergessene Erfolgsschriftsteller Otto Zierer (30 Millionen Gesamtauflage) überreicht ihm bei einem Besuch eine Liste mit Namen wie Günter Grass, Max Frisch, Heinrich Böll und Uwe Johnson, die der Ich-Erzähler noch nie gehört hat. Er versucht sich die Namen einzuprägen, "für den Fall, dass wir auf dem Heimweg überfallen und ausgeraubt würden". Da entdeckt er auf der Rückseite des Zettels den Warnhinweis: "Autoren auf keinen Fall lesen - lauter Linke" und erkennt, dass FJS mit seiner Warnung vor der "roten Flut" nicht unrecht haben kann.

"Wie ich den Sex erfand" tritt lange ein wenig anekdotisch auf der Stelle. Gegen Ende führt der Roman allerlei Fäden zusammen und nimmt dann erzählerisch Tempo auf, wenn sich herausstellt, dass der Vater keinesfalls ein "Nazi" ist, wie sein Sohn denkt.

Der etwas jüngere Rezensent kann sich nicht erinnern, zu seiner Zeit ein ähnlich bigottes Milieu wahrgenommen zu haben, aber das mag am Stadtviertel liegen. Trotz mancher Überzeichnung erinnert das Buch aber glaubhaft an die Wege und Irrwege sexuellen Erwachsens, und feine psychologische Nuancen wie mutwillige Verletzung von Menschen, die man eigentlich liebt, wirken sehr plausibel.

Über den Umweg der Olympischen Spiele von 1972 und einer polizeilichen Räumung der Pädagogischen Hochschule in Pasing findet Peter doch noch den Sex. Der explodiert am Ende mit einem poetischen Feuerwerk an den Osterseen.

Der Leser denkt womöglich: Es hätte nicht geschadet, wenn das glückliche junge Paar kurz über Verhütung nachgedacht hat. Aber womöglich gehört das zum Realismus dieses Buchs, das auf seiner letzten Seite auch den Höhepunkt erreicht.

Peter Probst stellt "Wie ich den Sex erfand" (Kunstmann, 296 S., 22 Euro, auch als E-Book) heute um 20 Uhr im Innenhof des Deutschen Museums vor. Die ARD zeigt heute um 20.15 Uhr die Komödie "Schönes Schlamassel", deren Drehbuch von Probst stammt (siehe Seite 31)

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